Junge Patienten, die nicht heilbar krank sind, werden vom Olgahospital auch ambulant versorgt. Im Januar startet das Kinder-Palliativteam. Um dessen Finanzierung wurde lange gerungen.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Den Kopf nach hinten gestreckt, die Augen halb geöffnet, liegt Max auf dem Sofa im Wohnzimmer. „Das Fieber ist zurückgegangen, aber er hat noch starken Durchfall“, sagt seine Mutter Christin Pauli. Die Oberärztin Claudia Blattmann aus dem Olgahospital setzt sich zu dem mehrfachbehinderten Jungen, holt in ruhigen, routinierten Bewegungen ihr Stethoskop aus der Tasche und untersucht den Sechsjährigen.

 

Sein Atem ist rasselnd, aber das ist bei dem mehrfachbehinderten Jungen immer so, weil er den Speichel nicht automatisch schluckt und den Kopf unnatürlich überstreckt. Max verzieht das Gesicht, als die Palliativmedizinerin ihm ein Stäbchen in den Mund steckt. „Ich höre ja schon auf“, sagt Claudia Blattmann, als sie es wieder herauszieht. Sie streichelt Max liebevoll den Bauch.

Normalerweise besuchen Ärzte des Olgahospitals ihre Patienten auf der Station. Doch die Palliativmedizinerin Claudia Blattmann kommt auch nach Hause – nun sogar deutlich häufiger. Das Angebot für betroffene Familien mit unheilbar kranken Kindern aus der Region verbessert sich 2016 spürbar. Das Olgäle startet jetzt im Januar die spezialisierte ambulante Palliativversorgung für Kinder und Jugendliche (SAPV), Claudia Blattmann leitet das sogenannte Kinder-Palliativ-Care-Team, das aus fünf Ärzten und sieben Pflegekräften besteht. Alle haben eine Weiterbildung in Palliativmedizin. Sie decken sogar eine Notfallbereitschaft rund um die Uhr ab. Das Ziel ist, Krankenhausaufenthalte zu vermeiden und den Kindern eine optimale Lebensqualität zu Hause zu ermöglichen. „Die Basisversorgung übernimmt weiter der Haus- oder Kinderarzt, wir sind dafür da, wenn es medizinisch kompliziert wird“, erklärt Claudia Blattmann. Kinderärzte hätten in der Regel keine Weiterbildung in der Schmerztherapie.

Bei Max kann sie, was die akute Situation angeht, Entwarnung geben. „Er hat ein bisschen Schleim in den Bronchien“, sagt Claudia Blattmann, „aber der Durchfall kommt nicht von der Lunge.“ Max hatte einmal eine Lungenentzündung, Christin Pauli erinnert sich nur ungern an den Klinikaufenthalt. Die Ärzte ließen den Jungen künstlich beatmen, was zu einem Konflikt geführt hatte. Die Mutter hätte der Beatmung nicht zugestimmt, wäre sie gefragt worden. Damals hat Christin Pauli auch Claudia Blattmann kennengelernt, die bisher zum Team der Sozialmedizinischen Nachsorge gehört hat. „Bei einer wichtigen Frage wende ich mich seither an sie“, sagt die Mutter.

Vor der Palliativmedizinerin muss sie sich nicht erklären

Eigentlich wollte Claudia Blattmann an diesem Nachmittag zu einer im Raum Pforzheim lebenden Familie fahren und nach einem Kind mit Hirntumor sehen. Doch es ist vor zwei Tagen überraschend schnell gestorben. Ihr Palliativteam kümmert sich um junge Patienten, die kurz vor dem Lebensende stehen, wie auch um Kinder wie Max, die über Jahre schwerstkrank sind. Der Junge, der im Landkreis Esslingen wohnt, wurde schwer mehrfachbehindert geboren, er ist sehr starker Epileptiker und leidet an einer schweren psychomotorischen Entwicklungsstörung.

„Passen Sie auf, dass Sie sich nicht bei ihm anstecken“, sagt Claudia Blattmann wegen des Durchfalls. Die Mutter schüttelt den Kopf. „Wir werden nicht krank, das geht gar nicht.“ Ihr bedeute das Angebot viel, sagt Christin Pauli. Sie ist schon bei vielen Ärzten gewesen. „Frau Dr. Blattmann versteht besser, was ich für meinen Sohn möchte. Nicht alles, was möglich ist, ist gut für ihn.“

Der Palliativmedizinerin musste sie nicht groß erklären oder sich gar dafür rechtfertigen, dass sie keine lebensverlängernden Maßnahmen für ihren Sohn will. Claudia Blattmann hat mit ihr die entsprechenden Schreiben aufgesetzt, die nun überall hinterlegt sind, auch in der Schule.

Wie viel der Junge wahrnimmt, weiß man nicht

„Max schreit jeden Tag vor Schmerzen“, sagt seine Mutter. „Ich will ihn nicht loswerden, aber wenn er sich entscheidet, darf er gehen.“ Wie viel Max von seiner Umgebung wahrnimmt, ist schwer zu sagen. Er mag Körperkontakt, reagiert auf Stimmen und ist gerne im Wasser. „Ich glaube schon, dass er weiß, wer ich bin“, sagt sie. Als Max im Halbschlaf aufschreit, weil ihm Speichel in die Luftröhre gelaufen ist, hilft sie ihm mit gezieltem Händedruck auf den oberen Brustkorb – simultan zu seinem Husten. Wenig später ist er eingeschlafen. Claudia Blattmann verabschiedet sich: „Wenn es nicht besser wird, melden Sie sich.“