Ein deutlicher Fingerzeig – Alle vier Gemeinden in Bayern haben in einem Bürgerentscheid gegen eine Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2022 gestimmt. Eine Analyse.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Maria Höfl-Riesch, Skirennläuferin, Doppelweltmeisterin und Doppelolympiasiegerin, hatte sich für den Abend des Bürgerentscheids in München extra die Nägel in den olympischen Farben lackiert. Kurz vor 19 Uhr allerdings, als das Ergebnis aus Garmisch kam und die erste von vier Ablehnungen der beteiligten Gemeinden und Regionen feststand, konnte sie die Finger nur noch zur Faust ballen. Es war vorbei. Höfl-Riesch kennt das natürlich, wenn es gewissermaßen in der Sekunde aus ist. Ein Tor verpasst, eine Bodenwelle falsch eingeschätzt – schon kommt eine ganze Saison durcheinander. Doch dann gibt es, meistens jedenfalls, wieder eine nächste Saison. Man kann nach vorne schauen, wie man so sagt, auch wenn vorne noch im Nebel liegt. Für eine bayerische Olympiabewerbung hingegen wird das Wetter keine Rolle mehr spielen, nicht in Jahren und nicht in Jahrzehnten.

 

München und Oberbayern, Gastgeber der Sommerspiele von 1972, hatten sich selbst aus dem Rennen genommen: erst in Garmisch, dann im Landkreis Traunstein und schließlich noch im Berchtesgadener Land und in der Landeshauptstadt München. Als sportliches Ergebnis und in Zahlen las es sich sehr eindeutig – 0:4. „Ein Schock“, fand Maria Höfl-Riesch und war entsprechend fassungslos, weil man’s doch in Garmisch bei der WM vor zwei Jahren so gut hinbekommen habe, als es um die Zusage für die Olympiabewerbung 2018 ging. Riesch ist Garmischerin, wohnt aber in Österreich. Und so fängt’s ja schon mal an.

Wer, wenn nicht wir, und wann, wenn nicht jetzt?

Es ist alles ein bisschen komplizierter geworden in Bayern (und in der Welt) seit den Tagen von 1972 und den Olympischen Sommerspielen, die im Nachhinein teilweise zu Recht bleibend hohes Ansehen genießen. Gelingt es einem, das Attentat auf die israelische Olympiamannschaft geistig auszuklammern, war München damals der vielleicht erste und letzte richtige Versuch, die Spiele nicht allein durch die sportlich-kommerzielle Brille zu sehen.

Es gab ein kulturelles Rahmenprogramm, das seinesgleichen suchte, und tatsächlich ausreichend Raum für Begegnungen. Überhaupt gab es Zeit, die noch nicht gekauft war von Sponsoren. Zudem gingen die Menschen in München, wo sich die Stadt baulich im Inneren und sehr zu ihren Gunsten teilweise komplett umgekrempelt hatte, wirklich einfach mal so in die Basketballhalle auf dem Olympiagelände, wie dieser Tage vor dem Bürgerentscheid ältere Leute gerne erzählten. Da war er wohl ein bisschen zu spüren, jener olympische Geist, der in dieser Form auch nicht wieder unter die Seinen getreten ist: nicht in Montreal 1976 (respektive Innsbruck) und erst recht nicht in Moskau 1980, als ein Großteil der Sportler auf höheren Befehl erst gar nicht antrat, weil die UdSSR zuvor in Afghanistan einmarschiert war. Von da an, Los Angeles machte 1984 den Anfang, wurden die Spiele vor allem auf Werbewirksamkeit berechnet.

Nach der deutlichen Niederlage gegen die Südkoreaner bei der Bewerbung für 2018 hatte sich München zunächst beleidigt ins Schneckenhaus zurückgezogen. Als man da wieder raus war, beschied der Oberbürgermeister Christian Ude, der zuvor selten über die Belange der Landeshauptstadt hinausschaute, man müsse nun auch die Partnergemeinden ins Boot nehmen. Politik und Wirtschaft formierten sich. Allerdings bauten sie sich vor dem Boot, um im Bild zu bleiben, mit der Brechstange auf. Die Werbung vor dem Bürgerentscheid lief häufig unter dem Motto: Wer, wenn nicht wir, und wann, wenn nicht jetzt? Vor Ort allerdings wurden die Phrasen oft als das erkannt, was sie waren.

Schon der vierte Bürgerentscheid gegen den OB

Ein Beispiel: die Gemeinde Inzell hat sich von allen Gegenden, in denen gewählt wurde, mit fast 70 Prozent Neinstimmen (und enorm hoher Beteiligung) am heftigsten gegen eine erneute Bewerbung gewandt. Warum? Inzell war immerhin ein olympisches Dorf mit 1700 Betten zugesagt. Zudem sollte das Pressezentrum für lukrative Wettbewerbe wie Langlauf und Biathlon (zudem Bob und Rodel) hier entstehen. Allerdings wäre das Pressezentrum den Planungen nach genau dort aufgeschlagen worden, wo man vor zwei Jahren ein neues, mit allem Komfort bestücktes Eisstadion hingesetzt hatte.

Die olympische Eishalle wiederum wäre für München vorgesehen gewesen. Als Unternehmen auf Abriss. Wer in Inzell steht, sich das klarmacht und dann noch einen Blick auf die eh schon touristisch bis zum Äußersten dienstbar gemachte Landschaft wirft, hat nicht mehr viele Fragen an den internationalen olympischen Zirkus – und versteht, warum das Feuer für die Spiele bei vielen erloschen ist.

Ähnlich lagen die Dinge in Garmisch, wo der Ort, der beständig in den letzten Jahren eine Zerreißprobe in der Bürgerschaft riskieren musste, 2011 eine Ski-WM hinter sich gebracht hat, die ordentlich verkauft wurde, aber auch viele Fragen hinterließ. Eine davon hieß: wer zahlt unter der Woche zwischen 80 und 200 Euro für ein Ticket? Garmischs Umwälzungen für 2022 hätten noch einmal eine andere Dimension erreicht. Dem hat sich der Ort verweigert. Aus Befürwortern wurden Gegner. Knapp sprach man sich für 2018 aus, knapp dagegen im Fall 2022. Unter anderem eine Rolle gespielt haben mag für manchen, dass am Samstag sogar der Deutsche Alpenverein (DAV) bei der Jahreshauptversammlung in Neu-Ulm einen Beschluss fällte, der in dieser Deutlichkeit auch nicht gerade erwartet worden war. 70 Prozent der Delegierten lehnten Olympische Winterspiele in den bayerischen Alpen ab, wo die meisten mit einem Entschluss der Marke „Ja, aber. . .“ gerechnet hatten.

Während im Oberland bei den Abstimmungen in der Regel weit über 50 Prozent Wahlbeteiligung verzeichnet wurden, hielt sich das Engagement der Münchner Bürger in Grenzen. Nur knapp 30 Prozent hatten eine Meinung dazu, wie sich die Stadt positionieren sollte, über 52 Prozent der Wähler lehnten ab. Bezeichnenderweise ist es – außer in der Frage des Neubaus der Arena – nun schon zum vierten Mal ein Bürgerentscheid, der sich explizit gegen die Meinung des Oberbürgermeisters richtet. Statt der vorgesehenen Eishalle auf dem Olympiagelände von 1972, das in letzter Zeit schwer verwaist und überhaupt schwer zu modernisieren ist, soll aber demnächst auf jeden Fall eine neue Halle entstehen. Hauptsächlich finanziert wird sie – Spiele hin, Spiele her – von Österreichern, die schon lange das moderne Wirtschaften im Sport praktizieren. Hier baut: Red Bull.