Die Gastgeber der Olympischen Spiele von 2004 treten aufgrund der Finanzkrise mit dem kleinsten Team aller Zeiten an. Denn auch beim olympischen Team wird gespart.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

London/Athen - Es hat so gut getan. Dieser eine Moment. All der Jubel, der Trubel, die Ovationen des Publikums. Die Aufmerksamkeit von Milliarden Menschen auf der ganzen Welt. Sie stehen für diesen Augenblick im Mittelpunkt, und nicht wie sonst immer in diesen Zeiten, weil irgendetwas schiefläuft oder weil die Welt fürchtet, vom griechischen Virus in den Abgrund gerissen zu werden. Ein paar Minuten nach 22 Uhr Ortszeit am Freitagabend betritt das griechische Olympiateam unter dem Jubel der Zuschauer das Londoner Olympiastadion. Wie immer darf die Nation als Mutter der Olympischen Spiele beim Einmarsch der Teilnehmer beginnen.

 

Ein paar Minuten ungetrübte Freude.

Am Tag danach ist der Alltag zurück. Es ist Mittag in Eton Dorney, vor den Toren Londons. Rudern. Die Vorläufe haben begonnen. Die Zwillinge Nikolaos und Apostolos Gkountoulas starten auf Bahn 1, daneben Deutschland. Zweier der Männer. Die Griechen werden Dritter, sie stehen damit im Halbfinale. Die Feier ist vorbei. Es geht wieder um Sport. Und um Geld – oder besser: um kein Geld. „Wir geben unser Bestes und versuchen, uns auf den Sport zu konzentrieren. Die Zeiten sind hart“, sagen die Ruderer. Griechenland ist pleite. Und der alimentierte griechische Sport damit auch.

„Es war aufgrund der Finanzkrise die schwerste Vorbereitung auf Olympische Spiele, die wir je hatten“, sagt der griechische Olympiachef Spyros Capralos. Das von der Schuldenkrise gebeutelte Land hat das kleinste Team seit 20 Jahren zu den Olympischen Spiele geschickt, es umfasst 100 Athleten, noch vor vier Jahren in Peking waren es 151. Beim Heimspiel vor acht Jahren 431. Zwischen 2005 und 2008 gab es 30 Millionen Euro vom Staat für das griechische Olympische Komitee, ein Bruchteil in den Jahren danach, und 2011 gab es keinen Cent mehr. Es fehlt an Geld im griechischen Sport. Und damit an allem. An Betreuung, an Ärzten, an Physiotherapeuten.

Finanzkrise hat auf den Sport Auswirkungen

Im vergangenen Jahr mussten Trainer und Athleten monatelang ohne Gehälter auskommen, der Leichtathletikverband stellte daraufhin aus Protest seinen Betrieb ein. Der Existenzkampf hat voll auf den Sport durchgeschlagen. Die Systeme werden heruntergefahren. Vor Ort gehen die Sportstätten zugrunde, die Trainingsmöglichkeiten werden immer kleiner, für Aufenthalte im Ausland fehlen die finanziellen Mittel. Die griechischen Schwimmer mussten vergangenen Winter in unbeheizten Becken trainieren, im heißen Sommer finden sich die Athleten in Hallen ohne Klimaanlage wieder. Die Stabhochspringerin Nicole Kyriakopoulou, EM-Dritte in Helsinki, sagt: „In den letzten zwei Jahren sind die ganzen Zuwendungen verschwunden.“ Sie selbst hat an Meetings nicht teilgenommen, weil sie sich die Reisen schlicht nicht leisten konnte. „Die Kürzungen zerstören unseren Sport. Ich kümmere mich teils selbst um die Reparaturen in der Trainingshalle.“

Es gibt keinen Rettungsschirm

Die Folgen für den Sport sind verheerend. Denn olympischer Sport ist ein Zuschussgeschäft. Quer durch alle Disziplinen zieht sich der radikale Schnitt, und da praktisch kaum ein Sportler aus den olympischen Bereichen ohne finanzielle Unterstützung auskommen kann, fürchten manche das Schlimmste für die Zukunft.

Der Sport unterscheidet sich nicht von anderen gesellschaftlichen Bereichen. Die mittelfristigen Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit könnten verheerend sein. Der Abwärtstrend könnte erst stetig sein und auf einmal steil. Sport bietet keine Zukunft, zumindest jetzt nicht, und das könnte Griechenland angesichts der wenig verlockenden Aussichten den Nachwuchs kosten, wenn sich die Situation nicht schnell entspannt – wonach es nicht aussieht. Die Turner mussten etwa schon jetzt aus finanziellen Gründen auf die Teilnahme an der Olympiaqualifikation in Tokio verzichten, in London ist Vasiliki Millousi als einzige Turnerin am Start. Mit Wut im Bauch nach all den Demütigungen für das stolze Volk. „Wir haben nicht genug Geld – aber wir sind Griechen: Wir sind stark. Und wir werden überleben.“

Es gibt keinen Rettungsschirm

Aber wie? Und mit was? Es gibt keinen Rettungsschirm. Keinen ESM oder ESFS. Nur das Internationale Olympische Komitee. Das ist zwar eine Gelddruckmaschine, quasi die EZB des Sports, aber nicht für solche Fälle. Es unterstützt den griechischen Sport zumindest, mit etwa 100 000 Dollar aus dem Solidaritätsfonds, dazu noch mit Stipendien über ein paar Hundert Euro im Monat für zehn Sportler, auch die so erfolgreichen Wasserballfrauen, amtierender Weltmeister, wurden subventioniert – die Olympiaqualifikation haben sie trotzdem überraschend verpasst.

Der Weltverband der Modernen Fünfkämpfer hat den Griechen zwei neue Laserpistolen gestiftet, im Wert von 4000 Euro. Die Privatwirtschaft als Geldgeber für den Sport fällt praktisch aus. In Griechenland haben sie mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Da wirkt das Leiden des Sports angesichts der Szenarien für das Land klein, es gibt Wichtigeres als Sport und olympische Medaillen, aber auch die Athleten fürchten um ihre Existenz.

Vor einigen Jahren spielte das Geld für Olympia keine Rolle

Der 400-Meter-Hürdenläufer Periklis Iakovakis sagt etwa: „Ich habe eine Familie, ich habe zwei Kinder, die ganze Krise beschäftigt mich massiv.“ Als Mensch – und als Athlet. „Anders als früher muss ich nach den billigsten Reisemöglichkeiten suchen.“ Die goldenen Zeiten des hellenischen Sports sind noch nicht lange her. In Vorbereitung auf die Spiele 2004 in Athen spielte Geld keine Rolle. Es galt, als Gastgeber zu glänzen. „Es war leichter, Geld zu bekommen, man musste sich nicht groß darum kümmern, und es war dort allen egal“, sagt ein griechischer Funktionär.

Medaillen waren ein wichtiges Staatsziel. Wer für Hellas Medaillen gewann, wurde vom Staat mit einem Posten versorgt, der ihn finanziell absicherte und auf der anderen Seite alle Freiheiten für optimale Lebensbedingungen als Sportler garantierte. Die Jobs gab es nur auf dem Papier. Bei vollem Lohnausgleich. Ein Modell, das es nicht nur in Griechenland gibt. Nur der Staat kann nun seine Aushängeschilder nicht mehr bezahlen.

Die Finanzkrise trifft nicht nur den griechischen Sport. Auch in Italien wird zusammengekürzt. Alle müssen Opfer bringen, auch die, die den Ruhm mehren sollen und für die Zerstreuung des Volkes sorgen. Die Zuwendungen des italienischen Staates wurden 2012 um 20 Prozent gekürzt. Im Mai machte der Turner Paolo Bucci bei der Europameisterschaften in Brüssel seinem Ärger Luft, als er an die Adresse des Ministerpräsidenten gerichtet schrie: „Monti, das Geld ist weg. Es ist genug!“ Besser gesagt: Es ist zu wenig. Es ist eine Tragödie.