Die ehemalige Florett-Olympiasiegerin Anja Fichtel kritisiert, dass sich das deutsche Fechten nicht weiterentwickelt hat. Heute arbeitet sie im Fechtzentrum Tauberbischofsheim, wo sie die Defizite hautnah erlebt.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Anja Fichtel war ein Fechtstar und olympische Goldmedaillengewinnerin. Heute arbeitet sie im Fechtzentrum Tauberbischofsheim, wo sie die Defizite hautnah erlebt.

 
Frau Fichtel, wie präsent ist heute noch der Tag, an dem Sie, Sabine Bau und Zita Funkenhauser mit Gold, Silber und Bronze 1988 weinend vor Glück auf dem olympischen Podest standen?
Das ist gar nicht mehr so präsent, es ist ja schon so viele Jahre her.
Es sind 27 Jahre.
Richtig, und in dieser Zeit hat sich mein Leben ja auch weiterentwickelt. Seoul 1988 war ein Teil meines Lebens. Ich denke da aber wirklich nicht ständig darüber nach.
War es dennoch ein prägender Momente?
Natürlich. Plötzlich bist du bekannt, das ganze Leben ändert sich. Und jeder denkt, dass er sich ein Urteil über dich erlauben kann, obwohl er dich gar nicht kennt. So ein Ereignis hat schöne Seiten, aber auch schwierige. Doch im Endeffekt ist mein Leben gut verlaufen.
Was machen Sie heute?
Ich bin hier im Fechtzentrum Tauberbischofsheim im Nachwuchsbereich tätig und habe mit den jungen Leuten trainiert. Wir sehen ja, dass es derzeit nicht so gut läuft. Deshalb müssen jetzt auch mal harte Veränderungen her, denn so kann es nicht weitergehen.
Wie meinen Sie das?
Man hat sich die vergangenen 20 Jahren auf unseren Erfolgen ausgeruht und den Sportlern und Kindern die Schuld gegeben. Man muss da auch ein bisschen Selbstreflexion betreiben und sagen: Okay, da hat sich was verändert, und wir haben es verschlafen. Jetzt muss man einfach in die Pötte kommen.
Was hat sich denn verändert?
Die anderen Nationen haben sich weiterentwickelt, und wir sind auf unserem Höhenflug von 1988 hängen geblieben. Bei uns gibt es kaum Fortbildungen. Wir haben sehr viel Personal hier, aber das hat sich nicht auf den neuesten Stand gebracht. Man hat immer gerne Augen und Ohren zugemacht, wenn es darum ging, wie heute in der Weltspitze gefochten wird.
Kritisieren Sie da die Trainer?
Das fängt an mit der Führung an, bis hin zu den Trainern. Es ist eine Sache der Führung, der Kommunikation, der Zielsetzung. Wenn man von Bund und Land gefördert wird, ohne dass man groß Leistung bringen muss, dann wird man bequem. Ich glaube, es geht jedem Menschen so.
Fehlt eine Figur wie Emil Beck?
Emil hat es anfangs auch nicht einfach gehabt. Aber er war so eine Person, die gesagt hat: Wir laufen alle in eine Richtung. Als ich klein war, hat er mir immer vermittelt, dass ich jede schlagen kann, egal ob Italienerin oder Russin. Da geht man dann mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein ran. Heute ist man weit weg von der Weltspitze – für uns war es selbstverständlich, dass wir dorthin stürmen.
Aber Ihr Verhältnis zu Beck war auch nicht immer das beste.
Er wollte sich mal in mein Privatleben einmischen, da haben wir dann richtig Zoff miteinander gehabt. Aber wir haben uns immer wieder zusammengerauft. Es ging ja um das Fechten. Da waren wir uns beide einig, was wir wollen.