Die grün-rote Landesregierung tüftelt an neuen Formaten demokratischer Teilhabe: Staatsrätin Gisela Erler will die Bürger im Internet an der Landespolitik beteiligen. Das gefällt allerdings nicht allen Ressorts.

Stuttgart - Wieder ist nichts daraus geworden. Seit Wochen schon grüßt Gisela Erler (Grüne), die Staatsrätin für Bürgerbeteiligung, lächelnd von der Internetplattform des Landes und verspricht: „Mehr Demokratie klicken – bald startet das neue Beteiligungsportal.“ Doch auch an diesem Dienstag wird der Ministerrat das Vorzeigeprojekt der viel beschworenen „Politik des Gehörtwerdens“ nicht beschließen – obwohl dieser Termin zwischenzeitlich ins Auge gefasst worden war. Der Entwurf der Kabinettsvorlage lag bereits vor. „Baden-Württemberg wird damit neue Maßstäbe bei der Online-Beteiligung setzen“, heißt es in dem Papier.

 

Ministerien halten die Pläne für unausgereift

Gegen das Vorhaben des Staatsministeriums hat sich indes Widerstand in einigen Ministerien gebildet. Als „unausgereift“ verwirft etwa das Innenministerium die Pläne der Staatsrätin. Es fehle an Angaben über das nötige zusätzliche Personal sowie zu den Kosten. Vor allem jedoch werfe die Beteiligungsplattform grundsätzliche Fragen zum Verhältnis von Exekutive und Legislative auf. Auch im Sozialministerium gibt es Bedenken. Nicht dass man gegen mehr Bürgerbeteiligung wäre. Doch erhebe sich die Frage, wo eine Internetbeteiligung Sinn mache – und wo nicht.

Nach den Plänen von Staatsrätin Erler – fassbar im Landesportal sowie in der auf Eis gelegten Kabinettsvorlage – sollen sich die Bürger künftig nicht mehr allein über die Aktivitäten der Landesregierung informieren können. Es soll ihnen auch systematisch Gelegenheit gegeben werden, Gesetzentwürfe zu kommentieren und mitzugestalten. Kommentierungen sind in Einzelfällen schon jetzt auf den Service-Seiten des Landes möglich. Einen erkennbaren Einfluss auf die Politik der Landesregierung hat diese Servicefunktion bisher freilich nicht gefunden. Dies muss anders werden, soll die neue Beteiligungsplattform Akzeptanz finden. Dementsprechend heißt es in der zurückgezogenen Kabinettsvorlage: „Vor dem Hintergrund, dass die Bürgerbeteiligung ein Schwerpunkt der Landesregierung ist, sieht sie sich verpflichtet, die Kommentare der Nutzerinnen und Nutzer ernsthaft zu behandeln.“ Durchaus gelungen ist das bei der Wiedereinführung der verfassten Studierendenschaft, zu deren Ausgestaltung das Wissenschaftsministerium eine Online-Beteiligung ins Werk setzte. Was keine Kunst sei, so ist aus anderen Ressorts zu hören: „Wer – außer ein paar Uni-Rektoren – ist schon gegen studentische Mitsprache?“ Ambitionierter geht Umweltminister Franz Untersteller zu Werke. 7000 Bürger gaben via Internet Bewertungen zum geplanten „Integrierten Energie- und Klimaschutzkonzept“ ab, 400 Interessierte bewarben sich fürs Mitmachen an einem „Bürgertisch“ zum selben Thema. In der Folge stockte das Ministerium das Kontingent von 25 auf 50 Plätze auf.

Warnung vor einer „Alibiveranstaltung“

Wie aber verhält es sich zum Beispiel mit Änderungen im Polizeigesetz – bei Materien also, die in Bürgerrechte einschneiden und zudem juristische Sachkenntnis verlangen? „Da gibt es Grenzen der Bürgerbeteiligung“, heißt es im Innenministerium. Dazu komme: „Wenn 95 Prozent der Rückmeldungen negativ ausfallen, die Regierung ein Gesetzesvorhaben aber dennoch für unabweisbar hält – was dann?“ Nach Erlers Plänen sollen Gesetzentwürfe der Regierung online gestellt werden, sobald das Kabinett einen Gesetzesentwurf für die im Gesetzgebungsverfahren bisher schon vorgesehene Verbändeanhörung freigibt. Anschließend kommt er in den Landtag. Für die Abgeordneten stellt sich dann nach Ansicht der Skeptiker die Frage, wie frei sie in ihrer Entscheidung dann noch sind, wenn zuvor die Bürgervoten eindeutige Ergebnisse zeitigten. Setzen sie sich darüber hinweg, handle es sich bei der Beteiligungsplattform nur um eine „Alibiveranstaltung“. Fühlen sie sich gebunden, liegt das quer zum Grundgedanken der repräsentativen Demokratie. „Dann brauchen wir keine gewählten Repräsentanten mehr“, heißt es in einem der widerspenstigen Ressorts. Inzwischen hat man sich in der Regierung daran erinnert, dass es womöglich ratsam wäre, die Abgeordneten zu befragen. Das wird diese Woche geschehen. Anfang März soll das Kabinett entscheiden.