Die Online-Plattform Pinterest ist ein Ort der schönen Dinge. Doch an den virtuellen Pinnwänden entzündet sich ein hässlicher Streit.

Digital Desk: Jörg Breithut (jbr)

Stuttgart - Mode, Möbel, Muffins: beim Online-Dienst Pinterest basteln sich die Mitglieder ihre virtuelle Welt, wie sie ihnen gefällt. Sie schmücken ihre Profilseiten mit den schönen Dingen des Lebens. Auf digitalen Pinnwänden platzieren sie bunte Bildchen von glänzenden Schokotörtchen, zeigen Fotos von strahlenden Hochzeitsmodels und puzzeln aus Möbelbildern ihr Wunsch-Wohnzimmer.

 

Kaum eine Online-Plattform symbolisiert die Collage-Kultur im Netz besser als Pinterest: auf Modeblogs, Produktseiten und in sozialen Netzwerken wie Facebook sammeln die Nutzer ihre Bilder und Videos, heften das Material auf ihre Pinnwand. Je nach Geschmack stellen sie Sammlungen von Witzbildern aus dem Web zusammen oder zeigen eine Auswahl verrückter Kuchenkreationen. Das Prinzip ist immer das gleiche: aus vielen Einzelbildern entstehen neue Werke, geprägt vom Geschmack der Mitglieder.

Ein erfolgreiches Prinzip. In den USA sind die Nutzerzahlen in den vergangenen Monaten rasant gestiegen. Während im Februar 2011 weniger als 200 000 Besucher auf der Seite gezählt wurden, waren es ein Jahr später bereits mehr als 16 Millionen. Pinterest erlebt ein unheimliches Wachstum, wozu auch einige Promis wie der US-Präsident Barack Obama beitragen, der selbst einige Pinnwände kreiert hat.

Mitglieder bleiben Pinterest treu

Nun erfasst der Boom auch die deutschen Nutzer. Der Marktforscher Comscore hat im vergangenen Jahr ein Wachstum von knapp 3000 Prozent in Deutschland festgestellt. Anfang dieses Jahres zählte das Institut bereits 70 000 Besucher pro Monat. In keinem anderen europäischen Land ist Pinterest stärker gewachsen.

Und die Mitglieder bleiben dem Online-Dienst treu. Denn Pinterest setzt geschickt die bewährten Facebook-Elemente ein, um die Mitglieder bei Laune zu halten. Bilder und Videos können mit einem „Gefällt mir“-Knopf markiert und kommentiert werden, die Mitglieder können Nutzern mit ähnliche Vorlieben folgen und sich sogar anfreunden.

Doch so unbeschwert die bunte Plattform nach außen hin auch wirkt: an Pinterest entzündet sich erneut der Streit um die Frage nach dem Urheberrecht. Das Problem: im Gegensatz zu Facebook sind die Pinnwände nicht privat, sondern öffentlich und für alle im Netz sichtbar – auch für Nichtmitglieder.

Das Urheberrechts-Dilemma kann an kaum einem Online-Beispiel besser nachvollzogen werden. Denn Pinterest zelebriert die Remix-Kultur im Netz. Aus Bildern und Videos entstehen Collagen und neue Kunstwerke, das ist Online-Alltag. Im Netz gilt für die Kreativen nur eine Regel: die Quelle muss verlinkt werden. An diesem Grundsatz orientiert sich auch Pinterest und hat ein Pflichtfeld eingeführt, das den Nutzer bei jedem verlinkten Bild dazu auffordert, die Quelle zu hinterlegen.

Urheberrecht stößt an seine Grenzen

Rein juristisch betrachtet reicht diese Regel jedoch nicht aus. Nach deutschem Recht riskiert jeder Pinterest-Nutzer eine Abmahnung vom Anwalt, sobald er ungefragt ein fremdes Foto auf seiner Pinnwand verwendet. „Juristisch korrekt handelt nur, wer vom Urheber die Nutzungsrechte bekommt“, sagt der Stuttgarter Medienanwalt Carsten Ulbricht.

In der Realität sieht das freilich anders aus. Kaum ein Nutzer schickt eine Mail an den Fotografen und bittet ihn um Erlaubnis, das Bild im Internet teilen zu dürfen. Das deutsche Urheberrecht stößt hier an seine Grenzen. Obwohl ihm selbst kein Fall einer Abmahnung bekannt ist, sagt Ulbricht: „Das deutsche Urheberrecht muss dringend nachjustiert werden.“ Seiner Meinung nach dürften die Nutzer nur dann abgemahnt werden, sobald sie Geld mit den geteilten Inhalten verdienen. Doch dies sei eine schwierige Debatte. Schließlich müssten auch die Urheber „ihre Rechte behalten“, sagt Ulbricht. Denn nicht alle Urheber sind glücklich mit der Remix-Kultur im Internet. Während sich einige über Popularität im Netz freuen, verdienen viele Künstler und Fotografen ihr Geld damit, dass sie die Nutzungsrechte ihrer Bilder verkaufen – und sehen es nicht gerne, wenn ihre Werke gratis durchs Netz wandern. Pinterest hält sich aus dieser Debatte weitgehend raus. „Nahezu alle Seiten im Netz, die dem Anwender erlauben, sich selbst auszudrücken, müssen sich mit der Komplexität des Urheberrechts auseinandersetzen“, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber dem „Wall Street Journal“. Pinterest selbst reagiert erst dann, wenn der Urheber sich direkt an die Plattform wendet – und einen Verstoß meldet. Dann werden Profile gesperrt und zweifelhafte Inhalte gelöscht.

Den Künstlern bietet Pinterest lediglich an, sich selbst zu schützen. Mit einem Code-Schnipsel können Fotografen verhindern, dass ihre Bilder bei Pinterest angeheftet werden. Eine Alibi-Aktion, die niemandem bei der Debatte über das Urheberrecht weiterhilft. Denn damit würde der Künstler zwar verhindern, dass seine Bilder bei Pinterest auftauchen. Für viele weitere Online-Plattformen funktioniert dieser Schutzmechanismus allerdings nicht.

Die dunkle Seite der bunten Bilderwelt

Kommerz: Das Netzwerk ist kostenlos für alle. „Wir konzentrieren uns darauf, dass Pinterest wächst und wertvoller wird“, sagen die Betreiber. Allerdings schließen die Gründer nicht aus, die Seite künftig auch kommerziell zu nutzen. Online-Händler könnten in Zukunft die Links kaufen – und die Klicks zu Geld machen.

Spam: Bereits jetzt unterwandern Spam-Roboter das soziale Netzwerk. Über fiktive Nutzer werden Bilder und Videos auf den Pinnwänden platziert, die über einen Link auf Produktseiten führen. Kauft ein weitergeleitetes Mitglied das Produkt, wird automatisch eine Provision an die Spam-Programmierer bezahlt.

Viren: Das Netzwerk läuft nicht nur Gefahr, von Spams geflutet zu werden. Auch Viren verbreiten sich rasant auf der Plattform: Die Schadsoftware-Experten von McAfee warnen davor, unbedacht auf Bilder zu klicken, die kostenlose Geschenke anbieten – auch, wenn bekannte Marken abgebildet sind.