Der Bundestagswahlkampf 2013 sollte der erste Wahlkampf werden, bei dem das Internet eine zentrale Rolle spielt. Letztlich bleiben nur Steinbrücks Stinkefinger und Merkels Schlandkette im Gedächtnis. Was sagt uns das über das zu erwartende Wahlergebnis?

Stuttgart - 2009 blickten die deutschen Wahlkämpfer neidisch auf den ersten „Internet-Wahlkampf“ der Geschichte: Barack Obamas Präsidentschaftskampagne in den USA 2008. Im Jahr 2013 kommt auch der deutsche Wahlkampf im Internet an. Nur: Er ist nicht so gut, wie er sein könnte. Das ist die fast einhellige Meinung von Forschern und Online-Experten: Außer Stinkefinger nix gewesen.

 

Am Netzwahlkampf ist nur das relevant, was auch wahrgenommen wird. Zwei Gruppen können online besonders angesprochen werden, sagt der Hohenheimer Kommunikationsforscher Frank Brettschneider: die eigenen Wahlkämpfer sowie unentschiedene Jungwähler. „Anhänger einer Partei bestärken sich selbst, außerdem kriegen sie via Internet Argumente für ihre eigenen Wahlkampfaktivitäten geliefert“, sagt Brettschneider. Die Alternative für Deutschland, die auf Facebook erfolgreich Euro-Skeptiker versammelt, ist ein Beispiel dafür. Junge Wähler wiederum, die mit dem Internet aufgewachsen sind, bilden sich vor allem dort eine politische Meinung – wenn auch möglicherweise eher in Diskussionen als auf den Seiten der Parteien. Es sei wichtig, dass Parteien auch in Diskussionen auf Online-Foren oder Facebook mitmischen, sagt Brettschneider.

Zwar werden Internetaktivitäten der Parteien und Politiker von potenziellen Wählern viel weniger wahrgenommen als etwa Plakate oder TV-Werbespots, wie die Mannheimer Wahlstudie von 2009 ergeben hat. Das heiße aber nicht, dass der Online-Wahlkampf irrelevant sei, sagt Brettschneider. Man dürfe nur nicht erwarten, dass sich ein guter Internetwahlkampf direkt in viel mehr Stimmen übersetzt. Auch Barack Obamas Wahlkampf 2008 sei kein Gegenbeispiel: „Obama hat nicht wegen seines Online-Wahlkampfs gewonnen, sondern weil seine Wahlkämpfer gezielt die unentschiedenen Wähler persönlich angesprochen haben“, so Brettschneider.

Wahlkampf in Zeiten von Facebook

Wird der Online-Wahlkampf also überschätzt? Keiner weiß es genau. Die Ergebnisse von 2009 taugen nur bedingt, weil sich seither die Internetnutzung geändert hat, vor allem dank sozialer Medien wie Facebook und Twitter. Facebook ist laut einer kürzlich veröffentlichten Studie zumindest unter jungen Internetnutzern inzwischen die Informationsquelle Nummer eins. Mehr als 80 Prozent der rund 25 Millionen deutschen Facebook-Nutzer loggen sich täglich mindestens einmal ein, sagt der Social-Media- und Politikberater Martin Fuchs. Das kriegen auch Politiker mit; entsprechend sind mehr als 90 Prozent der Bundestagsabgeordneten laut einer Analyse von Fuchs vom Juli 2013 bei mindestens einer Social-Media-Plattform vertreten, also etwa Facebook, Twitter oder Google Plus.

Unmittelbar vor der Wahl legten sich einige Politiker noch schnell ein Facebook-Profil zu: Nutzten im Januar noch 76 Prozent aller Abgeordneten Facebook, sind es inzwischen 83 Prozent. In der Region Stuttgart ist die überwiegende Mehrzahl der Bundestagskandidaten bei Facebook – in der Hoffnung, dass das gerade bei Menschen unter 30 „die Wahlentscheidung beeinflussen kann“, sagt der CDU-Kandidat für den Wahlkreis Stuttgart I, Stefan Kaufmann.

Politiker im „Neuland“

Dem Social-Media-Berater Fuchs ist aufgefallen, dass viele Politiker-Auftritte in den letzten Monaten neu gestaltet wurden. Das legt den Verdacht nahe, dass einige Politiker vor allem mit Blick auf die Wahl ins Netz gehen – und nach dem Wahltag so weitermachen wie bisher, nämlich analog. Viele Politiker schreiben gar nicht selbst: 82 Prozent der Bundestagsabgeordneten erhalten bei ihrem Social-Media-Auftritt Unterstützung durch andere, wie eine Studie des Instituts für Medien und Kommunikationsmanagement (MCM) der Universität St.Gallen ergeben hat. Viele Politiker, etwa die Kanzlerkandidaten Angela Merkel und Peer Steinbrück, geben das auf ihren Facebook- und Twitterprofilen auch an.

Noch wichtiger als die Frage, wer in die sozialen Medien schreibt, ist der Aspekt, welche Inhalte dort eingestellt werden. Damit tun sich viele Politiker in dem von Angela Merkel so bezeichneten „Neuland“ namens Internet bisher schwer.

Der Meme-Wahlkampf

In der WDR-Sendung #waszurwahl war vor wenigen Tagen die Reutlinger SPD-Kandidatin Rebecca Hummel zugeschaltet, deren Wahlkampf einer breiteren Internet-Öffentlichkeit vor allem durch einen Youtube-Clip aufgefallen war, in dem sie Erdbeermarmelade kocht. Hummel fand nichts Schlimmes an dem Video mit dem politikfernen Inhalt, das „nur ein kleiner Teil der Kampagne“ gewesen sei – aber eben die meiste Öffentlichkeit generierte.

Diese in den sozialen und klassischen Medien generierte Öffentlichkeit hatte auch viel mit Spott zu tun. Während sich die Reutlinger Genossen laut Hummel über die öffentliche Beachtung für den Clip „gefreut“ haben, kritisierte Mario Sixtus in der WDR-Sendung diesen Zugang zum Online-Wahlampf als „Politikverdrossenheits-Generator“. Sixtus hat bei Twitter fast 60 000 Abonnenten und gilt als einer, der soziale Medien versteht. Dort machen Politiker entweder „Kasperletheater“ (Sixtus) – Marmelade kochen, Lieder singen – oder „die politische Klasse geht mit der alten Attitüde ins Netz, mit der sie damals noch ins Fernsehen und ins Radio geschrien hat“.

Einbahnstraße funktioniert im Netz nicht

Pressemitteilungen und Parolen funktionieren im Netz nicht, sagt auch Martin Fuchs: „Viele denken, jetzt habe ich einen neuen Kanal, der ist kostenlos, den kann ich bespielen, und dann macht man das selbe wie die zwanzig Jahre zuvor schon.“

Fuchs empfiehlt Politikern, die Möglichkeiten des Internets besser zu nutzen: Sie sollten Videos oder Fotos einsetzen und vor allem die Nutzer einbinden. Dazu müsse man in den Dialog treten und auch regelmäßig auf Kommentare antworten. Wer das nicht mache, solle „lieber ganz drauf verzichten“, so Fuchs. Die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel pflichtet ihm bei: „Wenn Politiker soziale Medien primär als Einbahnstraße für Botschaften nutzen, haben sie die Chancen von Facebook, Twitter und Co. noch nicht verstanden“, sagte die Direktorin des MCM Instituts anlässlich der Vorstellung der Studie „Politiker im Netz“.

Die Internetnutzer wiederum drehten in den vergangenen Wochen und Monaten das Prinzip Einbahnstraße einfach um; sie pickten sich immer wieder kleine Aspekte aus dem Wahlkampf heraus, verdrehten und modifizierten sie zum Amüsement der breiten Masse. Sogenannte Meme sind ein wesentlicher Teil dessen, was vom Online-Wahlkampf 2013 hängenbleibt. Bei Memen handelt es sich um kleine Ideen oder Motive, die sich via Facebook und Twitter sehr schnell verbreiten.

Das Netz übernimmt

Ein Beispiel ist der Blog Merkelraute, bei dem Internetnutzer ein Foto des Wahlplakats mit Angela Merkels zu einer Raute geformten Händen auf kreative Weise veränderten. Der Blog verbreitete sich über soziale Netzwerke, klassische Medien griffen ihn auf und das Netz lachte über Motive wie Mr. Burns von den „Simpsons“ mit Merkels Händen, daneben der Spruch „Deutschlands Zukunft in guten Händen“.

Es gibt keine Studien darüber, inwiefern solche sich oft rasant verbreitenden Phänomene den Wahlausgang beeinflussen. Der Kommunikationsforscher Frank Brettschneider vermutet in den Memen eher Unterhaltung als einen für den Wahlerfolg relevanten Faktor. In jedem Fall wurde bislang kein Meme von Parteien selbst gestartet, sondern oft von Kreativen wie dem Betreiber des „Merkelraute“-Tumblr Peter Schildwächter. Die Wahlkämpfer haben im Netz somit nur bedingt in der Hand, worüber die Nutzer reden.

Das wäre dann eine erste Bilanz des Online-Wahlkampfs 2013: Wer aufgesetzt und bemüht mit dem Netz redet, über den redet – beziehungsweise lacht – das Netz. Ob und, wenn ja, mit welchen Folgen, zeigt sich am Sonntag.