Zwei Deutsche krempeln von Kanada aus mit der Plattform Shopify den Onlinehandel um. Shopify gilt als eines der erfolgreichsten Startups der letzten zehn Jahre. Trotzdem sind die beiden Gründer auf dem Boden geblieben.

Ottawa - Tobias Lütke (33) und Daniel Weinand (34) treten ganz locker auf. Kein Anzug, keine Krawatte. Stattdessen Jeans, Wollpulli oder ein Dress, als ob sie vom Joggen kommen. Die Büros im zweiten Stock eines Backsteingebäudes in Kanadas Hauptstadt Ottawa sehen ein wenig wie Wohnzimmer aus. „Die jungen Leute, die zu Vorstellungsgesprächen kommen, sollen gleich sagen können, dass Shopify anders ist als die Firmen, bei denen sie vorher waren“, sagt Tobias Lütke, den alle nur Tobi nennen. „Unsere Leute sollen sich hier wohlfühlen, schließlich verbringen sie hier viel Zeit“, ergänzt Daniel Weinand.

 

Die beiden unkonventionellen jungen Männer haben mittlerweile das Interesse von institutionellen Investoren in Kanada und den USA gefunden. Waren 2010 und 2011 insgesamt 22 Millionen kanadische Dollar (14,5 Millionen Euro) Risikokapital im Rahmen von zwei Finanzierungsrunden in das Unternehmen geflossen, so waren es bei der dritten Aktion Ende vergangenen Jahres 100 Millionen Dollar. Der Pensionsfonds der Kommunalbediensteten Ontarios, einer der großen institutionellen Investoren Kanadas, beteiligte sich ebenso wie Insight Venture Partners aus New York und Bessemer Venture Partners in Boston.

Shopify könnte den Onlinehandel revolutionieren

Mit jetzt 350 Mitarbeitern und einem von Marktinsidern auf eine Milliarde Dollar geschätzten Marktwert gilt Shopify als eines der erfolgreichsten Start-up-Unternehmen in Nordamerika seit mehr als zehn Jahren. Mit dem frischen Risikokapital von 100 Millionen Dollar kann Shopify nun seinen Expansionskurs fortsetzen. Experten trauen Shopify zu, dass es mit seiner Plattform den Onlinehandel revolutioniert.

Für Lütke hatte das Kanada-Abenteuer 2002 begonnen. Der Fachinformatiker aus Koblenz folgte seiner heutigen Frau, als sie zum Studium in die kanadische Provinz Ontario zurückkehrte. Zwei Jahre arbeitete Lütke von Ottawa aus für deutsche Firmen, dann beschloss er, mit kanadischen Freunden ein Onlinegeschäft aufzubauen: für Snowboards und Winterbekleidung. „Es war sehr interessant, sich in dieses Feld einzuarbeiten“, erzählt Tobias Lütke. Das größte Problem: er und sein Geschäftspartner Scott Lake fanden keine Software, die ihren Ansprüchen genügte. „Am Ende haben wir die gängige Software weggeworfen und unsere eigene entwickelt.“ Als andere Unternehmen auf diese Software aufmerksam wurden, kam Lütke und seinen Freunden die Idee: „Wir gründen eine Softwarefirma, die sich auf E-Commerce spezialisiert.“

Aus seiner Jugendzeit kannte er Daniel Weinand aus Andernach, der in Dortmund Informatik und Musik studierte. Als ihn Lütke 2005 fragte, ob er bei dem Projekt Shopify mitmachen wollte, sagte er zu. „Ich brach mein Studium ab und wanderte kurzerhand aus. Wie man das so macht, wenn man 26 Jahre alt ist“, sagt Weinand. Auch er hatte Privatkontakte nach Kanada: 2003 besuchte er dort seine damalige Brieffreundin und heutige Lebensgefährtin.

2006 hat alles in einem kleinen Büro angefangen

In einem Coffeeshop in Ottawa, wo sie kostenlos Zugang zu Internet hatten, tüftelten Lütke und Weinand täglich viele Stunden. 2006 wurde Shopify gegründet und ein kleines Büro über dem Coffeeshop angemietet. Lütke und Weinand sahen das Potenzial, das im Onlineverkauf steckte. Eine einfach zu bedienende Software sollte neu gegründeten Unternehmen beim Aufbau ihres Onlinegeschäfts helfen. „Wir wussten aufgrund unserer Erfahrungen, wie die Software aussehen muss“, sagt Lütke. Heute bieten sie ein breites Angebot an Grunddesigns an, aus denen sich Kunden die Vorlage aussuchen können, die am besten zu ihrem Produkt passt. Auch große Unternehmen oder Organisationen wie Tesla Motors, General Electric, Google, Gatorade, Encyclopaedia Britannica oder Amnesty International nutzen laut Shopify eine dieser Plattformen, um ihre Waren anzubieten oder über sich zu informieren. Unternehmen und Organisationen zahlen hierfür monatlich im Abonnement. Auch die Abrechnung von Käufen, die Registrierung von Zahlungseingängen und die Buchhaltung können eingebunden werden. Neueste Ergänzung ist ein System, das den stationären Verkauf und das Onlinegeschäft verbindet. „Ein Unternehmen müsste allein Tausende Dollar ausgeben, um eine Software für das Onlinegeschäft selbst zu entwickeln, und es müsste sie vor Cyber-attacken schützen und sie verwalten. Das machen wir“, erläutert Weinand.

Ein Börsengang könnte 2015 auf dem Programm stehen

Schnell wurden Investoren aus den USA auf Shopify aufmerksam. Lütke wurde Risikokapital angeboten. Aber die Sache hatte einen Haken. „Die Investoren wollten, dass wir nach Silicon Valley in den USA ziehen.“ Dazu war Lütke, der jetzt die kanadische Staatsangehörigkeit hat, nicht bereit. „Das war so arrogant. Wir aber wollten zeigen, dass man in Ottawa Erfolg haben kann.“ Gefördert wurde diese Haltung durch attraktive Steuermodelle der Provinz Ontario. Kanadas Bundesregierung förderte durch direkte Zuschüsse in den Anfangsjahren die Einstellung von Hochschulabsolventen. Als 2010 wieder Investoren anklopften, war von der Bedingung, Shopify müsse in die USA umziehen, nicht mehr die Rede. Zunächst stiegen lediglich US-Investoren ein, dann folgten kanadische, und zuletzt kamen etwa 50 Prozent des Kapitals aus Kanada. Lütke als Chief Executive Officer und Weinand als Chief Design Officer setzen auf weiteres Wachstum. „Alle Zahlen stimmen, und von unseren Kunden hören wir, dass unser Produkt fantastisch ist“, sagen sie selbstbewusst. Neben Ottawa haben sie Niederlassungen in Montreal und Toronto. Das frische Kapital könnte bei Akquisitionen und der Erweiterung der Produktpalette helfen. Selbst für einen Börsengang, der 2015 kommen könnte, scheinen sie gut gewappnet.