Bei der EU-Datenschutzverordnung geben die Interessenvertreter Gas. Derzeit wird der Gesetzestext im EU-Parlament und im Ministerrat verhandelt. Lobbyplag will den Einfluss der Lobbyisten transparent machen.

Brüssel - In der Schlussphase geben die Interessenvertreter noch einmal richtig Gas. Schon mehr als 3000 Änderungsanträge liegen dem Innenausschuss des Europaparlaments vor, der im April oder Mai die entscheidende Empfehlung an das Gesamtplenum richten wird. „Die sind sicher nicht alle von den paar Abgeordneten im Ausschuss verfasst worden“, sagt Jan Philipp Albrecht von den Grünen, der die neue EU-Datenschutzverordnung als Berichterstatter durch das Parlament lotst. Schlussfolgerung: Es waren Lobbyisten.

 

Es gehört zum politischen Alltag, dass Verbände und Konzerne, aber auch Staaten oder Umweltschutzorganisationen Gesetzgebungsverfahren in ihrem Sinne zu beeinflussen versuchen. Es passiert, bevor überhaupt Entwürfe geschrieben sind und bis darüber abgestimmt wird. Und es passiert überall dort, wo politische Entscheidungen fallen – in Stuttgart, Berlin oder Brüssel.

Lobbyismus gehört zum Alltag – für alle

In der EU-Hauptstadt freilich ist das Aufkommen besonders groß, weil viele Gesetze hier ihren Anfang nehmen. Die Schätzungen reichen von 15 000 bis 20 000 Interessenvertretern. In das offizielle Transparenzregister, das EU-Kommission und Europaparlament neuerdings gemeinsam betreiben, haben sich mehr als 5000 Dachverbände, Firmen, Organisationen, Think Tanks oder Beratungsfirmen eingetragen. Aus Deutschland sind natürlich alle großen Spieler wie Daimler oder die EnBW vertrete, aber auch der Deutsche Feuerwehrverband oder der Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmer, der kein eigenes Büro vor Ort hat.

Für Kommissionsmitarbeiter, Europaabgeordnete wie Journalisten gehört der Umgang mit Lobbyisten zum Brüsseler Alltag. „Ich habe nichts dagegen, dass mir einmal vorgetragen wird, wie sich dieses und jenes Gesetz auswirkt“, sagt der CDU-Parlamentarier Axel Voss, „aber jeder muss natürlich sorgfältig abwägen, ob das, was da vorgetragen wird, richtig ist.“ Auch seine SPD-Kollegin Birgit Sippel sagt, „Lobbyismus ist okay, solange sich die Lobbyisten zu erkennen geben“. Der Grüne Albrecht nennt die vielen Kontakte mit Interessenvertretern, die er auf seiner Homepage öffentlich macht, zwar einerseits „normal“. Andererseits sei es bei der Datenschutzverordnung „schon besonders heftig“.

„Meine Tür war offen“

Das ist von Anfang an so gewesen, wenn man der EU-Kommissarin Viviane Reding glauben darf, die den Brüsseler Gesetzesvorschlag Anfang 2012 unterbreitete. „Es war nicht einfach, meine Vorlage herauszubringen. Es wurde versucht, die Initiative zu stoppen“, so die Luxemburgerin zum Ansinnen vieler Unternehmensvertreter, die sie auch bereitwillig empfangen hat: „Meine Tür war offen. Ich musste schließlich ein Bild davon bekommen, was machbar ist und was nicht.“

Heraus kam ein Vorschlag, der den Datenschutz an die neuen Gegebenheiten des Internetzeitalters anpassen soll. „Als die geltende Richtlinie 1995 verabschiedet wurde, war Facebook-Gründer Mark Zuckerberg elf Jahre alt“, wie Viviane Reding sagt. Außerdem will sie die Regeln europäisch vereinheitlichen: „Das Ziel ist, einen digitalen Binnenmarkt zu schaffen. Dann kann es nicht sein, dass man weiter 27 nationale Bestimmungen hat, die sich teilweise widersprechen und sehr unterschiedliches Schutzniveaus für die Verbraucher bieten.“

Das nutzt nicht nur diesen, sondern auch der Wirtschaft, die jährlich bis zu zwei Milliarden Euro dadurch sparen können soll, dass sie sich nicht mehr auf 27 verschiedene Regeln einstellen müssen. Gleichzeitig aber soll die massenhafte Datenverarbeitung oder das sogenannte Profiling deutlich erschwert werden, worauf die Geschäftsmodelle von Amazon oder Facebook beruhen. „Zuhören“, sagt Viviane Reding, „heißt nicht, dass man die Vorschläge von Lobbyisten 1:1 übernimmt.“

Wenn aus Zuhören Abschreiben wird

Genau das aber ist nun im laufenden Gesetzgebungsverfahren geschehen. Die erst seit wenigen Wochen aktive Onlineportal Lobbyplag.eu hat Positionspapiere von Internetgrößen wie Amazon und Ebay sowie der US-Handelskammer mit der Stellungnahme des Binnenmarktausschusses im Europaparlament verglichen und nachgewiesen, dass mehrere Änderungsvorschläge übernommen wurden.

So verlangt Redings Gesetzesvorschlag beispielsweise die „ausdrückliche“ Zustimmung des Nutzer, dass seine Daten weiterverarbeitet werden dürfen. „Der Bürger ist Inhaber seiner eigener Daten und nicht ein Unternehmen“, sagt Reding, die dieses Prinzip durchsetzen will. In einem Amazon-Papier ist das Wörtchen „ausdrücklich“ gestrichen, im Text des Ausschusses heißt es nun „so ausdrücklich wie möglich“ – die indirekte oder passive Zustimmung des User entspricht weitgehend dem Ist-Zustand. Auf Vorschlag des Europäischen Bankenverbandes wurde die Artikel 73 und 76 ganz gestrichen, die die Möglichkeit vorsehen, dass Datenschutzverbände im Kollektiv gegen Facebook & Co. vor Gericht ziehen können, da eine Einzelperson dazu ohne Weiteres oft gar nicht in der Lage ist. . Manchmal wurden sogar ganze Passagen dem „Copy & Paste“-Verfahren zugeführt.

Lobbyplag wirbelt in Brüssel Staub auf

Zwar handelt es sich nur um eine Stellungnahme eines Ausschusses, die softwaregestützte Enthüllungsarbeit von Lobbyplag hat in Brüssel dennoch viel Staub aufgewirbelt. „Da hat das Lobbying funktioniert“, räumt die Sozialdemokratin Sippel ein. „Lobbyplag war für mich hilfreich, weil ich so erst das Ausmaß der Einflussnahme auf die Gesetzgebung erkennen konnte“, sagt selbst der Grünen-Abgeordnete Albrecht, der das Dossier aus dem Effeff kennt: „Ich kann schließlich immer nur von mir selbst ausgehen.“

Der CDU-Abgeordnete Voss will selbst Konsequenzen ziehen. Er müsse sich noch „mehr die Sprache und die Formulierungen anschauen“. Denn daran, bestimmte Positionen von Lobbyisten zu übernehmen, die ja irgendwie auch Fachleute auf ihrem Gebiet sind, kann er nichts grundsätzlich Schlechtes finden – wenn er deren Ansicht teilt. Dann könnten deren Formulierungen „schon mal das Nonplusultra sein“. Dass dies leichtfertig oder unwissentlich geschehe, weist Voss dagegen entschieden zurück: „In einer so großen Fraktion wie der Europäischen Volkspartei wird hart um jede einzelne Position gerungen.“

Gibt es „gute“ Lobbyisten?

Der Christdemokrat will sich Lobbyplag stellen, hat aber nur einen Wunsch. „Lobbyplag soll die Gesetzestexte mit allen Lobbypapieren vergleichen“, fordert Voss, „und nicht so tun, als ob die wirtschaftlichen Interessen immer die schlechten sind“. Auch der Berichterstatter Albrecht habe vieles von Lobbygruppen übernommen – etwa von der European Digital Rights Initiative, einer Art Brüsseler Dachverband von 28 Datenschutz- und Bürgerrechtsorganisationen in Europa. Der Grüne beharrt wiederum darauf, dass „es schon einen Unterschied macht, ob Ideen von gut bezahlten Lobbyisten oder zivilgesellschaftlichen Verbänden kommen“. Er kann sich dennoch vorstellen, künftig klarer zu machen, „von wem man inspiriert wurde“.

Das Mehr an Transparenz, das durch Lobbyplag jetzt im Parlament herrscht, geht dem zweiten europäischen Gesetzgeber freilich vollständig ab. Wie die 27 Regierungen im EU-Ministerrat vertretenen Regierungen von den Lobbyisten etwa bei der Datenschutzverordnung bearbeitet werden, ist bisher kaum untersucht. An diesem Donnerstag beraten die EU-Innenminister zum wiederholten Male das Thema. Kommissarin Reding drückt dabei aufs Tempo: „Es ist Zeit für Entscheidungen.“