In Deutschland sterben pro Jahr etwa 10 000 Menschen an einem geplatzten Aneurysma im Bauch. Dabei lässt sich die Gefahr früh erkennen – und mithilfe operativer Techniken auch leicht entschärfen. Ein Besuch bei einer OP.

Stuttgart - Er war eigentlich nur wegen eines Routinechecks zum Hausarzt gegangen. Sorgen machte sich der Stuttgarter Rentner im Grunde nicht. Beschwerden hatte er nicht wirklich, ein bisschen hoher Blutdruck vielleicht, weshalb er auch mit dem Rauchen aufgehört hat. Und doch liegt er in einem futuristisch anmutenden Operationssaal im Katharinenhospital des Klinikums Stuttgart. Aus Öffnungen an der Leiste ragen Drähte und Schläuche. An seinem rechten Arm wird gerade ein Zugang gelegt. Sechs Stunden lang soll der Rentner operiert werden – und das alles, weil bei ebenjener Routineuntersuchung festgestellt wurde, dass sich die daumendicke Bauchschlagader an einer Stelle golfballgroß ausgeweitet hat. „Bauchaortenaneurysma“ lautet die Diagnose. Experten wie Götz Martin Richter, Ärztlicher Direktor des radiologischen Zentrums im Klinikum Stuttgart, formulieren es drastischer: „Eine solche Gefäßerweiterung ist eine tickende Zeitbombe.“

 

Viele Menschen haben eine solche gefährliche Aussackung – und wissen es nicht

Nach Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie leiden rund 200 000 Menschen in Deutschland an einer solchen riskanten Ausbuchtung der Bauchschlagader. Reißt sie, kann das tödlich enden: „Wird nicht sofort operiert, können die Betroffenen innerlich verbluten“, sagt Richter. Raucher sind gefährdet, vor allem wenn sie männlich sind, älter als 60 Jahre alt und mit Bluthochdruck zu kämpfen haben. Es gibt aber auch Patienten mit erblicher Veranlagung oder mit einer Bindegewebsschwäche, die eine Gefäßerweiterung fördert.

Fünf Zentimeter ist für Gefäßchirurgen das Maß eines Aneurysmas, bei dem operiert werden muss. Das Gleiche gilt, wenn sich zwischen den Wandschichten der Aorta aufgrund eines Risses der Gefäßinnenhaut ein Spalt öffnet, in den Blut strömt. Mediziner sprechen dann von einer Dissektion, die ebenfalls lebensgefährlich werden kann.

Der Check der Bauchaorta ist inzwischen Kassenleistung

Jeden Monat haben die Ärzte des Stuttgarter Klinikums ein bis zwei solcher Notfälle im Operationssaal. Richter hofft, dass die Zahl bald abnehmen wird. Denn seit diesem Sommer können Hausärzte ihren Patienten einen Früherkennungscheck als Kassenleistung anbieten: Jeder Mann ab einem Alter von 65 Jahren kann per Ultraschall den Umfang seiner Bauchaorta messen lassen. Drei Minuten dauert die Untersuchung. „Aber sie kann Leben retten“, sagt Richter und deutet wie zum Beweis auf den Bildschirm vor ihm: Dort taucht die 3-D-Aufnahme der Bauchaorta des Stuttgarter Rentners auf, die es nun zu operieren gilt. Wie ein knorrige rote Wurzel sieht das Gefäß aus, die sich nach allen Richtungen in weitere Gefäße verzweigt. Am unteren Ende ist die Aorta aufgebläht. Solche Ausbuchtungen zeigen sich auch an anderen Stellen.

Die Ärzte haben sich für eine Behandlung mit sogenannten fenestrierten Stent-Prothesen entschieden. Die Hightech-Drahtgitter stützen die Gefäße von innen und verhindern so, dass sie reißen. Obendrein haben diese Prothesen Abgänge für alle Organarterien. Sie werden daher individuell in London von Hand angefertigt. Grundlagen sind detaillierte Röntgenaufnahmen der Gefäße, die das Team um Götz Martin Richter im Vorfeld mit Hilfe der Angio-Computertomographie von dem Patienten gemacht haben.

Es gibt zwei Operationsmethoden um solche Aneurysmen zu behandeln

Bei dem Stuttgarter Rentner werden 20 Zentimeter der Bauchschlagader von innen ausgekleidet. Die Stents sollen mit Hilfe eines Kathetereingriffes über die Gefäße an der Leiste und der Achselhöhle eingesetzt werden. Die Alternative wäre ein offener chirurgischer Eingriff: Bei diesem wird der Brustkorb längs aufgeschnitten, die Aorta abgeklemmt und der krankhaft erweiterte Anteil durch eine komplette Prothese ersetzt. In diesem Fall ist eine solche Operation laut Götz Martin Richter aber keine Option: Die Erholungsphase nach solchen Operationen sei zu lang. Der Eingriff gerade für ältere Menschen viel zu belastend. Rein statistisch gesehen bergen beide Methoden Risiken, bis hin zum Tod nach der Operation. Doch diese sind vergleichsweise gering: Nach der klassischen Variante liegt die Sterblichkeit bei drei Prozent, nach dem Kathetereingriff liegt sie bei 0,9 Prozent. Dafür können bei Letzterer Nachfolgeoperationen nötig werden, weil es zu undichten Stellen kommen kann. Auch besteht die Gefahr, dass die Prothese sich verschiebt. Daher müssen die Patienten alljährlich zur Ultraschalluntersuchung gehen.

Röntgenbilder zeigen an, ob die Prothese richtig sitzt

Richter steht im Operationssaal. Sein Blick ruht auf dem großen Bildschirm. Auf dem Monitor flimmert ein schwarzer Strich, der die Arterie entlangschleicht. Bei solchen Eingriffen arbeitet das Team um den Radiologen Richter eng mit dem Team um den Ärztlichen Direktor der Klinik für Gefäßchirurgie des Klinikums, Thomas Hupp, zusammen. Nicht nur, weil nach Vorgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ablauf der Therapie mit Aortenprothesen auch so geregelt sein muss: Laut Götz Martin Richter ist diese enge Verbundenheit der beiden Abteilungen auch der Erfolgsgarant für diese speziellen Eingriffe. Tatsächlich kann sich die Statistik des Klinikums sehen lassen: Rund 100 Prothesen werden in Teamarbeit hier pro Jahr eingesetzt, bei etwa 30 davon handelt es sich um diese komplizierten fenestrierten Stent-Prothesen. Damit zählt das Klinikum Stuttgart die höchste Patientenzahl in Deutschland. Sie alle werden in dem sogenannten Hybrid-Operationssaal operiert: Er verbindet den klassischen OP mit der modernen Bildgebung eines Katheterlabors. Das wichtigste Instrument ist dabei das Angiografiesystem – ein bogenförmiger Röntgenarm, der um den OP-Tisch rotiert und so dreidimensionale Bilder der Gefäße liefert. So lässt es sich leichter mit dem Katheter in den Gefäßen navigieren.

Stück für Stück setzen die Gefäßchirurgen die Prothese über die Arterien des Rentners ein, schieben sie ineinander. Keine Abzweigungen anderer Blutgefäße darf übersehen werden. Überdeckt der Stent diese Abgänge, wird mitunter die Wirbelsäule nicht mehr gut durchblutet. Lähmungserscheinungen sind dann die Folge. Doch die Millimeterarbeit glückt: „Genau da“, ruft Richter. Auf Knopfdruck pumpt sich der Ballon an der Spitze des Katheters auf. Das Drahtgeflecht der Prothese entfaltet sich. Auf dem Monitor zeichnet sich das feine Gitter ab, das die Aorta vor dem Reißen bewahren soll. Gefahr gebannt.