Ein Stück moderner Operngeschichte kehrt zurück auf die Bühne: Sidi Larbi Cherkaoui inszeniert in Basel „Satyaghra“ von Philipp Glass. Doch stellt sich auch die Faszination von einst wieder ein?

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Basel - Wie hat sich „Satyagraha“ gehalten, das Mittelstück von Philip Glass’ Operntrilogie? Die beginnt 1976 mit „Einstein on the Beach“ und dem Blick auf das Genie des Ulmer Wissenschaftlers. Danach rückt der Politiker Mahatma Gandhi in den Mittelpunkt, schließlich, als letzte historische Figur, Echnaton. Besucher der Stuttgarter Oper haben zu den Stücken ein besonderes, überwiegend wohl inniges Verhältnis. Als die Trilogie in den achtziger Jahre in der ausufernd fantastischen, gleichzeitig sehr konzentrierten Regie von Achim Freyer komplettiert war, gab es Vorstellungen im Haus am Eckensee, die ein anderes Publikum als das übliche sah: Es kam weniger von Puccini, mehr von Pink Floyd.

 

Die Stimmung war aufgekratzt, und man ließ sich das Repetitive der Musik nur zu gerne gefallen, auch wenn es, wie im dritten Akt von „Satyagraha“, eigentlich nur noch um der Repetition willen stattfindet und lediglich aus dürftigem Grundmaterial besteht. Spätestens seit der Jahrtausendwende wurde es bedeutend ruhiger um die Komponisten im Umfeld der Minimal Music. Momentan aber scheint eine kleine Renaissance stattzufinden.

Die Oper wird erstmals in der Schweiz aufgeführt

Mit dem ersten Dreiklang der Schweizer Erstaufführung (!) von „Satyagraha“ am Theater Basel stellt sich denn auch direkt ein leichter Zauber wieder ein, zumindest was Musik und Gesang betrifft, denn es beginnt, wie es beginnen muss, mit den Worten: „yo-tsu-ma-na . . .“ – „Ich sehe sie hier versammelt, bereit und willig zum Kampf . . .“. Ein magisches Motiv. Gezeigt werden, nach Philip Glass’ und Constanze Dejongs Libretto, Szenen aus Gandhis früher Politisierung in Südafrika. Dazu gehört die Gründung der Zeitung „Indian Opinion“, der Marsch auf Newcastle, das Leben auf der reformatorischen Tolstoi-Farm.

Alle gesungenen Texte stammen aus der heiligen Schrift des Hinduismus, „Bhagavad Gita“. Krishna spricht zu seinem Krieger: Handle, wenn du schlecht behandelt wirst. Wehre dich. Aber auch: Liebe deine Feinde! Wenn Gandhi am Ende seinen Lebensweg ausgeschritten hat, geht er, verkürzt gesagt, in einen anderen Hoffnungsträger über – Martin Luther King jr.; alles ist eins, Gestern, Heute, Morgen. Äußere Aktionen täuschen nicht darüber hinweg, hier geht es um innere Sammlung.

Was einmal wie ein utopischer Gegenentwurf anmutete – und musikalisch die vollkommen tonale Absage war an alle Avantgarde –, ist nun allerdings doch in die Jahre gekommen, wie man in Basel merken muss. Wobei sich der Dirigent Jonathan Stockhammer mit dem Chor und dem Sinfonieorchester Basel alle erdenkliche Mühe gibt. Stockhammer ist ein Verwandlungskünstler und findet für die unterschiedlichsten modernen Tonsprachen immer die beste Artikulation, egal ob Peter Eötvös oder Georg Friedrich Haas in Rede steht, dessen „Koma“-Oper bei den Schwetzinger Festspielen Stockhammer zuletzt sogar im Dunkeln dirigiert hat.

Musikalisch bekommt Gandhi alles, was er braucht

Auch Glass lässt er sehr viel Sorgfalt angedeihen: Noch in der hundertsten Wiederholung sitzen die Phrasen genau, nie wird auch nur ansatzweise nachlässig gespielt. Allerdings ist der Gesamtduktus recht getragen (nicht weihevoll), und Glass muss, zumal in den tumultuarischen Szenen, doch auch einmal klingen wie eine überdrehte Kirmesorgel. Im Zweifelsfall aber tendiert Stockhammer zur Mäßigung, zum perfekt Ausbalancierten.

So hört man auch, wenn der Musik, simpel gesagt, die Luft ausgeht. Sie trägt dann nicht mehr, was sie verhandelt, sie umspielt es allenfalls. Rolf Romei, noch von Nicolai Gedda ausgebildet, gibt seinem Gandhi tenoral alles mit, was er braucht in dieser seltsamen Rolle, die changiert zwischen großer Zerbrechlichkeit und unbeirrter Stimmführung. Es liegt nicht am individuell hervorragend besetzten Ensemble in Basel, dass sich der alte Glass-Geist nicht so recht einstellen will. Womöglich hat es mehr damit zu tun, dass repetitive Muster an sich so viele Verwandlungen durchgemacht haben, bis hin zu Techno und Ambient-Music. Glass hört sich jetzt vergleichsweise altbacken an.

Die Bewegungsmöglichkeiten für die Tänzer sind nur knapp

Dagegen, mag sich der flämische Choreograf mit marokkanischen Wurzeln, Sidi Larbi Cherkaoui, gedacht haben, lässt sich etwas unternehmen. Zur Revitalisierung von „Satyagraha“ schickt Cherkaoui seine Eastman-Kompanie auf die Bühne (Henrik Ahr), deren Raum auf einer anhebbaren Platte allerdings durch dreißig Stahlseile stark eingeschränkt wird. Die Bewegungsmöglichkeiten sind knapp und zwingen die Tänzer häufig zu schlangenähnlichen und oft extrem zappeligen Bewegungen von nur bedingter Faszinationskraft.

Wie sich überhaupt schnell abnützt, dass der Monothematik der musikalischen Nichtentwicklung immer wieder expressiver Ausdruckstanz entgegengesetzt wird. Die jeweiligen Solisten haben ihre Momente, zwingend jedoch sind sie fast nie. Besser gelingt es Cherkaoui, die im Prinzip einfachen Handlungselemente mit wenigen Requisiten zu bebildern. Mit ein paar Holzstücken baut er dann, buchstäblich im Handumdrehen, eine neue Welt oder zumindest eine Ahnung davon auf.

Am besten ist der Choreograf in einer Übung, mit der sich Choreografen immer schwertun. Am Anfang und am Schluss lässt er Gandhi, bevor ein allgemeines Gewusel einsetzt, konzentriert ein paar Kreise ziehen respektive die klassische Gebetsmönchshaltung einnehmen. Ruhig fließt die Musik, und die Szene bekommt etwas Kontemplatives. Es ist das, was – vor geraumer, abgeschlossener Zeit – den Reiz an den Bühnenwerken von Philip Glass ausgemacht hat. Unwiederbringlich, vermutlich.