Die Suche nach einer Interimsspielstätte für Oper und Ballett ab 2021 scheint entschieden zu sein: Bei seiner nächsten Sitzung wird der Verwaltungsrat der Staatstheater in Stuttgart grünes Licht für einen Umzug in das ehemalige Paketpostamt am Nordbahnhof geben.

Stuttgart - Am 27. November wollen Land und Stadt im Verwaltungsrat der Staatstheater über jenen Ort entscheiden, an den Oper und Ballett in der Zeit der Sanierung des Opernhauses ein Übergangsquartier beziehen sollen. Ein Jahr lang wurden nach Vorlage des Oberbürgermeisters Fritz Kuhn verschiedene Möglichkeiten diskutiert. Nun hat sich über alle Parteigrenzen hinweg eine breite Mehrheit für das Paketpostamt in der Ehmannstraße am Rosensteinpark entschieden – und auch die Intendanten der Staatstheater unterstützen die Idee nachdrücklich.

 

Zum Schluss stand das Paketpostamt – ein reiner Funktionsbau aus den 70er Jahren, für den das Land schon jetzt einen langfristigen Mietvertrag besitzt und der mittelfristig abgerissen werden soll, um den Park erweitern zu können – in finaler Konkurrenz zu einem temporären Theaterbau auf einem Grundstück der Daimler AG in Nachbarschaft zum Mercedes Museum. Die baulichen Potenziale des Paketpostamtes und die weitaus bessere Anbindung ans Stadtzentrum haben letztlich den Ausschlag gegeben. Aber nach Informationen dieser Zeitung dürften auch die Kosten für die Interimsspielstätte an der Ehmannstraße laut Experten etwa um mindestens ein Drittel niedriger sein als in Untertürkheim; im Gespräch sind für die „Oper am Park“ rund 50 Millionen Euro, die sich Land und Stadt teilen.

Just die möglichen Kosten sind der letzte Streitpunkt in der Debatte. Die CDU-Fraktion im Gemeinderat forderte vor dem Beschluss im Verwaltungsrat eine „belastbare Angabe“ zu diesem Punkt. Nach Informationen dieser Zeitung wird es dazu in der Sitzung am 27. November eine Vorlage geben, sodass sogar ein einstimmiger Beschluss im Verwaltungsrat möglich scheint.

Projekt gemeinsam stemmen

Von Aalen bis Singapur: Das Stuttgarter Ballett gastiert seit Jahrzehnten auf Bühnen in der ganzen Welt und ist es gewohnt, sich auf neue Situationen und ungewöhnliche Auftrittsorte einzustellen. Ein Paketverteilzentrum war zwar noch nicht dabei, aber wer bei Gartenschauen und auf Tenniscourts tanzt, kommt auch mit einer Industriehalle klar. Entsprechend entspannt ist folglich die Reaktion des designierten Intendanten Tamas Detrich auf die Wahl der Interimsspielstätte: „Unser Publikum kann sicher sein: Ganz gleich, auf welcher Bühne wir tanzen, wir tanzen immer auf Weltklasse-Niveau.“

Detrich, der die letzte Opernhaussanierung 1983/84 mit dem Ausweichspielort in Ludwigsburg als Tänzer miterlebt hat, weiß auch um die Treue der Ballettfans, die ihren Stars unter Umständen sehr viel weiter nachreisen als bis in den Rosensteinpark. Die Erste Solistin Alicia Amatriain sorgt sich denn auch nicht so sehr darum, wie ihre Fans in die Ehmannstraße kommen, sondern eher darum, wie viele Zuschauer dort Platz haben werden: „Wichtig wäre, dass es ausreichend Zuschauerplätze für unser treues Publikum gibt und dass wir dort genügend Vorstellungen geben könnten, um sie glücklich zu machen“, sagt die Spanierin, betont aber auch, dass es eine angemessene Infrastruktur brauche, damit „die Kompanie ihre Arbeit auf gewohnt hohem Niveau angehen kann“. Zu hohe Ansprüche werden die Tänzer da aber mit Sicherheit nicht stellen. Für ihren Beruf tun sie bekanntlich alles – was man daran sieht, dass sie die miserable Arbeitssituation im Opernhaus ohne Murren seit Jahren hinnehmen. Der Umzug ins Paketverteilzentrum ist für das Stuttgarter Ballett also eher Herausforderung als Handicap. Sogar einen Arbeitstitel hat Tamas Detrich für die Übergangszeit bereits gefunden: „Unser Motto für die Interimsjahre im Rosensteinquartier wird ,Ballett am Park‘ heißen! Dieser Ort befindet sich in unmittelbarer Nähe der Innenstadt und wird, wenn eine angemessene Infrastruktur vorhanden ist, sehr viel Potenzial bieten.“ „Im Haus herrscht ein toller Teamgeist, und wir werden das gemeinsam stemmen. Es ist meine Aufgabe für die Kompanie und die Stadt, dass wir ein schönes, funktionsfähiges Haus haben, diese Verantwortung nehme ich an.“

Hochkultur an ungewohnten Orten

Der neue Mann der Oper ist ein Mann sprechender Bilder. „Wenn man aus einer Altbauwohnung ausziehen muss“, sagt Viktor Schoner, „dann geht man in den Vorgarten oder raus aufs Land. Oder eben in einen Loft.“ Eine Interimsspielstätte im Schlossgarten: Das wäre der Vorgarten gewesen – eine Variante, der man im Opernhaus mittlerweile schon wegen des Baumlärms rund um die Sanierung skeptisch begegnet. Raus aufs Land: Das wäre der Umzug zum Mercedes-Museum gewesen. Das Paketpostamt in der Ehmannstraße: Das ist der Loft. „Diesen Standort“, sagt Schoner, „kann man der Innenstadt noch zuordnen“, und gesellschaftlich relevantes Theater brauche den Kontakt mit städtischen Strukturen. „Die Interimsspielstätte an der Ehmannstraße“, betont Schoner, „ist nicht die am wenigsten schlechte, sondern eine sehr gute Lösung, und ich freue mich auf die Herausforderung.“

Dabei ist dem designierten Opernintendanten vor allem eines wichtig: „Heute sind wir noch nicht auf der Baustelle“, sagt Viktor Schoner, „nach der laufenden Saison werden wir auf jeden Fall noch drei weitere Spielzeiten im Littmann-Bau sein, also bis zum Sommer 2021.“ Nachdem sich die Entscheidung in Sachen Interimsspielstätte jetzt abzeichne, habe man aber „endlich die Möglichkeit, ernsthaft und konkret das weitere Vorgehen anzugehen“. Nach der Verwaltungsratssitzung am 27. November solle erst einmal die Sanierung selbst möglichst gut durchgeplant werden – schließlich könne man erst danach genau sagen, wann und für wie lange man in die Ehmannstraße ziehen werde. Vier Jahre habe man für diese Planungen nun Zeit. Ein wichtiger Teil der Überlegungen werde die Frage sein, welche Produktionen von Oper und Ballett man im Interimsbau zeigen könne – und welche man nach dem Rückumzug in die sanierte Oper mitnehmen könne.

Im Übrigen verweist Viktor Schoner auf den Komponisten Pierre Boulez. Dessen berühmte Forderung „Sprengt die Opernhäuser in die Luft!“ habe 1967 nicht nur politische Gründe gehabt, sondern auch darauf verwiesen, dass die vorhandenen Räumlichkeiten zu manchen Werken des 20. Jahrhunderts nicht passten. Tatsächlich könne es „sehr inspirierend sein, an ungewöhnlichen Orten Hochkultur zu veranstalten“. Deshalb stellt sich Viktor Schoner den Auszug des Opernhaus-Teams aus dem Littmann-Bau 2021 auch gerne als Akt der Euphorie vor, als Aufbruch hin zu einer neuen Opern-Ära, die nicht erst mit dem Rückumzug in das sanierte Haus beginnen soll. „Wir müssen“, sagt Schoner, „jetzt den Stier bei den Hörnern packen.“