Die Oper als multimediales Gesamtkunstwerk-Spektakel: Mehr als drei Stunden lang überträgt der SWR am Mittwoch live aus dem Stuttgarter Staatstheater die Premiere von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Don Giovanni“.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Auch der SWR hat bekanntlich einen Kulturauftrag. Am kommenden Mittwoch will er diesen mit Macht erfüllen: Über drei Stunden lang überträgt der Sender live aus dem Stuttgarter Staatstheater die Premiere von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Don Giovanni“.

 

Wobei „Live-Übertragung“ keine wirklich zutreffende Beschreibung für dieses gewaltige Unternehmen ist. Der Sender selbst schreibt von einem „Live-Projekt“, bei dem der Zuschauer jederzeit zwischen verschiedenen Dabeisein-Ebenen hin- und herzappen und so die Perspektiven wechseln kann, vom Blick auf die Bühne – zapp! – zum Blick hinter die Kulissen, von der Registerarie des Leporello – klick! – direkt hinüber zum gleichzeitigen Warmsingen der Zerlina in der Garderobe. Oder darf’s doch lieber das Public Viewing draußen vor der Tür am Eckensee sein? Wobei just dort auch noch jederzeit mit den einschlägigen Opernspäßen des Entertainers Harald Schmidt zu rechnen ist. Kein Zweifel: der SWR bastelt hier am Opernabend als multimedialem Gesamtkunstwerk-Spektakel. Und gelungen ist das Ganze erst, wenn, so drückt es der SWR-Intendant Peter Boudgoust aus, „Kultur zum Erlebnis wird und Menschen für die Oper begeistert werden, die vielleicht noch nie ein Opernhaus besucht haben“. Kurzum: es soll auch noch eine ordentliche Einschaltquote geben.

Was also wird am kommenden Mittwoch alles geboten? Am einfachsten haben es noch jene Zuschauer, die einfach nur die Oper „Don Giovanni“ als Oper sehen wollen. Die erhalten auf 3Sat im Rahmen des Festspielsommers eine Live-Übertragung jener Inszenierung von Andrea Moses, die einst schon in Bremen auf die Bühne kam und nun nach Stuttgart transferiert wird. Ironisch-witzig nimmt die Regisseurin das Geschehen. Bei ihr steht nicht so sehr der alte Frauenheld Don Juan im Mittelpunkt, bei ihr sind die mehr oder weniger düpierten Frauen die treibenden Kräfte des Geschehens. Wobei die Titelrolle mit dem japanischen Bariton Shigeo Ishino markant besetzt ist und auch die musikalische Leitung des Holländers Antony Hermus für spritzig-schlanken Genuss sorgen kann.

Vor dem Opernhaus gibt es ein Public Viewing

Und noch ein Tipp für Opernfreunde im ganz klassischen Sinn: wer im Umkreis des Stuttgarter Opernhauses lebt, aber keine Eintrittskarte für die Vorstellung bekommen hat, kann die Aufführung auch im Freien im Schlossgarten erleben – bei einem Public Viewing, gemeinsam veranstaltet von der Oper und dem SWR.

Kommen wir damit zu jenen Menschen, die zwar auch mal irgendwie neugierig sind auf einen Opernabend, denen aber gerade ein „Don Giovanni“ in Echtzeit mit seiner nicht immer konsequent vorangetriebenen Handlung und den langen Arien ein allzu harter Brocken wäre. Die möchte der SWR mit seiner Übertragung im eigenen dritten Fernsehprogramm locken, ebenfalls von 20.15 Uhr bis 23.20 Uhr. Hier soll Harald Schmidt zur treibenden Kraft werden, der keineswegs nur möglichst launig die Handlung erklärt, sondern bewaffnet mit Kameras parallel zum Operngeschehen durch die Gegend zieht, hier mal eben den Sängern beim Lampenfieber zusieht, dort der Regisseurin bohrende Fragen stellt, auch im Orchestergraben schnell mal nach dem Rechten sieht und in der Pause bei den Zuschauern um erste Eindrücke bittet.

Mit anderen Worten: im SWR sieht man am Mittwoch also der Oper zu, wie sie gerade Oper machen. Wie authentisch das alles dann wirklich wird, ob nicht doch das allermeiste dieser Live-Interviews (wie immer im notorisch überraschungsfeindlichen Medium Fernsehen) zuvor sorgfältig geplant und eingerichtet wurde, bleibe mal dahingestellt. In jedem Fall muss man die Staatsoper Stuttgart bewundern, denn man ahnt, welcher technisch-organisatorische Aufwand da bis tief ins Innerste des Opernhauses zu leisten ist, um Harald Schmidt eine solche Inszenierung zu ermöglichen.

Dem Intendanten ist das Projekt wichtig

Und noch eine Zuschauerebene gefällig? Schließlich gibt es noch das Internet – und tatsächlich bietet der SWR nicht nur im Arte-Live-Web einen Stream der Oper, sondern auf den eigenen Internetseiten auch noch die Realbilder von sechs Kameras, die ständig und fest auf die Bühne gerichtet sind und die der User je nach Blickwinkelwünschen anklicken kann.

Welch ein Aufwand für einen einzigen großen Kulturabend im Jahr – man ahnt, wie viele Redaktionen, wie viele Regisseure und Kameraleute, wie viele grundsätzlich bedenkentragende Dienstvorgesetzte beim öffentlich-rechtlichen Apparat mit ins Boot geholt werden mussten, um ein solches Projekt zu stemmen. Doch dem Intendanten Peter Boudgoust ist das Unternehmen ein großes Anliegen. Finanziert wird der Abend aus einem Innovationsfonds, über dessen Mittel er verfügt. Und natürlich geht es auch darum, neben den vielen negativen Schlagzeilen, die der SWR gerade mit der Fusion seiner Orchester erzeugt, in den Feuilletons auch wieder einmal positiv aufzufallen.

Manchmal zündet die Schmidt-Rakete nicht

Allerdings ist just der Stargast dieses Kulturabends, nämlich Harald Schmidt, auch eine unsichere Karte. Zweimal bereits versuchte das öffentlich-rechtliche Fernsehen, mit Hilfe des kulturaffinen Berufsspötters Kulturprogramme, die den Fernsehgewaltigen als irgendwie sperrig gelten, interessant für größere TV-Zuschauerschichten zu machen. Doch sowohl bei einer ARD-Übertragung der „Hochzeit des Figaro“ 2006 aus Salzburg als auch 2009 beim ersten Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker im Ersten zündete die Schmidt-Rakete überhaupt nicht. Die musikinteressierten Zuschauer waren von seinen damals bemühten Scherzen schnell genervt, während alle Hochkultur-Desinteressierten durch Schmidt allein nicht in nennenswerter Zahl zu locken waren.

Hoffen wir also, es geht dem SWR-Chef am Mittwoch nicht so wie Don Giovanni kurz vor seinem Ableben. „Es scheint, der Teufel amüsiert sich heute auf meine Kosten“, singt da der Schwerenöter. „Nichts geht so, wie es soll.“