Andreas Rothkopf, Professor für Orgelspiel, nahm die Zuhörer in der Pauluskirche zu einem musikalischen Abenteuer rund um Johann Sebastian Bach mit.

Zuffenhausen - Schwer vorstellbar bei der heutigen Präsenz von Johann Sebastian Bach, dass dessen Musik einmal fast vergessen gewesen sein soll! Deren Renaissance im frühen 19. Jahrhundert ist ja nicht zuletzt Felix Mendelssohn zu danken. Zur Wiederentdeckung der Vokalwerke fügte sich die Bewunderung des Orgelschaffens durch die Romantiker, was einige Opera in direkter Beschäftigung mit Bach zeitigte. Ein Phänomen, das der Orgelprofessor Andreas Rothkopf am vergangenen Sonntag in der auch dramaturgisch spannenden Orgelmatinee vergegenwärtigte: Bach in der Mitte plus vokale Kontrapunkte.

 

Wie eine Quadratur des Kreises wirkte dabei, wie Mendelssohn in der Sonate I f-Moll op. 65 Choralgesang und klassische Form in eine Einheit zu bringen sucht. Mit orchestraler Wucht und „romantischen“ Klangfarben setzt Rothkopf die Einleitungsakkorde ins Werk, bevor wie aus der Ferne die thematische Melodie erklingt. Die Choral-Zeile „Was mein Gott will, das g’scheh’ allzeit“ wird hier zu einer Art Seitenthema – wobei Mendelssohn in der Folge mit etüdenhafter Freiheit agiert, was Rothkopf mit großer Spielfreude zum Klingen bringt. Mit virtuosem Pedal- und Figurenspiel, durch changierende Registerwechseln gestützte Laut und Leise-Überlagerungen, sinnfälliges Dialogisieren auf den Manualen. Ein Schleier scheint sich vor einem fernen Pianissimo zu heben, bevor das Werk ins jubilierende Finale voll flirrender Arpeggien mündet.

Ausbruch an Energie und berstender Schöpferkraft

Eine fantasieartige Freiheit, die sich Robert Schumann bei seinen „Fugen über den Namen BACH op. 60“ ganz verbot. Eine Strenge der Form, die Andreas Rothkopf in der Fuge Nr. 1 mit enorm gespanntem Zug in nahtlos gebundenem Spiel auch als eminente geistige Gipfelbesteigung erleben lässt. Eine durchleuchtete Klarheit, die durch schlanke Registrierung in strahlender Transparenz erscheint. Nicht minder licht die Linienführung in der Fuge Nr. 5, die hier auch durch virtuose Staccati zu gestalten ist. Spannend, wie hier Tontupfer zu einem Ganzen werden, bis zum tänzerischen Finale. Dann Bach selbst, mit Präludium und Fuge D-Dur BWV 532. Grandios und mitreißend, wie Andreas Rothkopf dieses frühe Werk erklingen ließ. Nicht gesetzt und ehrwürdig, sondern frisch, frech und frei darf hier der Thomaskantor auftreten. Mit tollen Virtuosenstrecken allein im Pedal, mit kühn anstürmenden Orgelpunkten und rassiger Ouvertüren-Rhythmik, quirlender Fugenthematik oder einem mehrfachen, übermütig-schelmischen Einwurf à la Buxtehude. Kühn, tollkühn, wie Bach hier alles verwandelt, was ihm international greifbar war! Eine Lust, diesen Ausbruch an Energie, berstender Schöpferkraft und musikalischem Himmelssturm so zu hören!

Davor und danach begleitete der Organist die Sopranistin Marit Kuhlo zu Zwischenstücken von Josef Haydn und Max Reger. Mit schnörkelloser Eleganz und Innigkeit spannte Kuhlo die ausgreifenden Legato-Bögen des Benidictus aus Haydns „Kleiner Orgelsolomesse“ – für eine jener Melodien, mit denen man gerne Seelen auf dem Weg in himmlische Gefilde begleitet sähe. Nuanciert bis in die diffizilen vokalen und dynamischen Details gestaltete die Sopranistin dann zwei von Regers „Geistlichen Gesängen“. Einschließlich des Ewigkeitstons in „O Jesu Christ, wir warten dein“. Kontrastierend die Klangwelt, die Paul Hindemiths Sonate II aus dem Jahr 1937 bot. Eine tastende Suche nach Einheit, die auch äußerst sensibler Registrierung bedurfte – bis hin zu geschlossenen Laden zur Pianissimo-Differenzierung. Ein ernstes, grüblerisches Werk mit intensiver Nachwirkung.

Auch Franz Liszt hatte direkt auf Bach reagiert, etwa mit „Präludium und Fuge über B-A-C-H“. Ein Werk, mit dem Rothkopf nicht nur brillante Virtuosität bewies, sondern auch viel Sinn für Klangentwicklung, chromatische Finesse und die Scheidung von orchestraler Fülle und musikalischen Innenräumen. Kulminierend in der atemberaubenden Pianissimo-Zäsur vor dem alle Klangschleusen öffnenden Schluss.