In Los Angeles triumphieren die Österreicher: Michael Haneke erhält für „Liebe“, Christoph Waltz für seine Rolle in „Django Unchained“ die Trophäe. Der Hauptpreis aber geht an „Argo“ – und der Clou ist der Auftritt von Michelle Obama.

Los Angeles - Was viele Deutsche erhofft hatten, weil sie den international agierenden österreichischen Filmemacher Michael Haneke als einen der Ihren betrachten, hat sich erfüllt: Hanekes Alters- und Alzheimerdrama „Liebe“ ist bei der Oscarverleihung in Los Angeles in der Nacht zum Montag als bester fremdsprachiger Film ausgezeichnet worden. In Österreich wird der Jubel aber noch ein wenig lauter gewesen sein, denn der gebürtige Wiener Christoph Waltz hat den Oscar als bester Nebendarsteller für seinen Auftritt als Kopfgeldjäger in Quentin Tarantinos Western „Django Unchained“ kassiert.

 

Auch wenn man sich vom bekanntesten Filmpreis der Welt gern die Förderung des Guten, Wahren, Schönen, erst recht aber des Mutigen, Kontroversen und Ungewöhnlichen wünscht, so richtig Schwung und Zunder bekommen die Preise der Academy of Motion Picture Arts and Sciences durch groteske Fehlentscheidungen und geschmackliche Offenbarungseide. In dieser Hinsicht war dieses Jahr aber wenig zu erwarten. Selten waren die Nominierten in allen Bereichen so gleichmäßig hochklassig wie bei der 85. Auflage der Oscars.

Mit diversen Auszeichnungen im Vorfeld hatte sich allerdings Ben Afflecks CIA-Thriller „Argo“ als Favorit abgesetzt. Die Geschichte der Befreiung amerikanischer Geiseln aus dem Iran glänzte denn auch am Galaabend in Hollywood. „Argo“ wurde als bester Film geehrt und bekam noch Oscars für den Schnitt und das beste Drehbuch nach einer Vorlage zugesprochen.

In der Gesamtzählung führt Ang Lees „Life of Pi“

Die Gesamtzählung allerdings führt Ang Lees Literaturverfilmung „Life of Pi“ an, mit vier Oscars für Regie, Kamera, Originalmusik und Spezialeffekte. Die aus aktiven und ehemaligen Filmschaffenden aller Gewerke zusammengesetzte Academy hat da wohl zu Recht einen Hoffnungsträger erkannt. Die 3-D-Technik hat an Zugkraft bereits verloren, weil sie oft als zweitklassig gehandhabter Firlefanz viertklassige Schablonenfilme aufwerten soll. Ang Lees „Life of Pi“ erinnert eindrucksvoll daran, wie sich 3-D-Bilder bereichernd sogar bei einem originellen Stoff einsetzen lassen.

Die wohl am häufigsten getippte Oscarentscheidung fiel wie prognostiziert. Der Brite Daniel Day-Lewis wurde als bester männlicher Schauspieler für sein Porträt des amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln in Steven Spielbergs „Lincoln“ ausgezeichnet. In dieser Kategorie war Day-Lewis bereits mit „Mein linker Fuß“ (1989) und „There will be Blood“ (2007) erfolgreich, er ist nun Rekordhalter. Die größten Überraschungen gab es bei den Preisen für die Darstellerinnen. Jennifer Lawrence stach mit ihrer Interpretation einer seelisch etwas unbalancierten jungen Frau in „Silver Linings Playbook“ unter anderem Jessica Chastain in „Zero Dark Thirty“ und Emmanuelle Riva in „Liebe“ aus. Der Nebendarstellerinnen-Oscar ging an Anne Hathaway für ihren tränenreichen Auftritt in der Musical-Verfilmung „Les Misérables“. Einmal wenigstens wollten die Academy-Mitglieder jahrmarktsgrellem Kitsch den Lorbeer zuerkennen.

„Django Unchained“ hätte mehr Oscars verdient

Bester Animationsfilm wurde „Merida“, was vielleicht auch der Tatsache geschuldet ist, dass die Disney/Pixar-Studios hier eine starke weibliche Heldin präsentierten. Bester Dokumentarfilm wurde „Searching für Sugar Man“, der vom seltsamen Ruhm des amerikanischen Liedermachers Rodriguez im Südafrika der Apartheid erzählt. In Stuttgart muss man diesen Oscar besonders aufmerksam zur Kenntnis nehmen. „Searching for Sugar Man“ ist der einzige der fünf nominierten Dokumentarfilme, der vergangenes Jahr ins deutsche Kino kam. In Stuttgart aber fand sich auch für ihn keine Leinwand.

Trotz achtbarer Entscheidungen sucht man bei der Bilanz eines Oscarabends auch nach Zu-kurz-Gekommenen. Mancher wird wohl Tarantinos fünffach nominierten „Django Unchained“ in diese Kategorie sortieren. Neben dem Oscar für Christoph Waltz erhielt der Western zwar einen weiteren Preis für das beste Originaldrehbuch, aber vorab schien mehr möglich, hatte Tarantino doch endlich wieder einen Kassenhit geliefert. Wesentlich schlechter davongekommen ist Kathryn Bigelows ebenfalls fünffach nominierter „Zero Dark Thirty“. Der schildert die Jagd auf Osama bin Laden, zeigt also wie „Argo“ auch ein US-Kommandounternehmen auf fremdem Hoheitsgebiet. Den Academy-Mitgliedern aber gefiel Afflecks Film, in dem amerikanische Leben gerettet werden, besser als Bigelows Werk über ein Killerkommando auf der Spur von Al-Kaida. „Zero Dark Thirty“ ist näher dran an der aktuellen Debatte etwa über Drohneneinsätze.

Live aus dem Weißen Haus zugeschaltet

Schon durch die Nominierungen war jedoch klar, dass Amerikas Filmbranche fasziniert ist von den eigenen Möglichkeiten, Geschichte und Zeitgeschichte mitzubestimmen. Der größte Coup des Oscarabends war denn auch nicht dieser oder jener Gewinner, sondern eine prominente Moderatorin. Den Umschlag mit dem Oscar für den besten Film öffnete Michelle Obama, die live aus dem Weißen Haus zugeschaltet war. Deutlicher können Hollywood und die Politik ihre enge Beziehung kaum demonstrieren.

Kontrovers diskutieren werden die Medien in den USA aber eher etwas anderes: die Leistung des Oscarmoderators Seth MacFarlane. Der Regisseur des provokant vulgären Kassenschlagers „Ted“ und Erfinder der TV-Trickserie „Family Guy“ bestritt den Abend mit zynischen Veräppelungen von Starglanz und Konkurrenzkampf. Früh in der Show präsentierte er das Lied „We saw your boobs“, eine Aufzählung von Oben-ohne-Szenen bekannter Schauspielerinnen. Die Regie der Liveübertragung konnte nirgends in den Saal schneiden, ohne eisige Divenblicke einzufangen. Aber MacFarlane hatte schon vorab gemutmaßt, dass er ein zweites Mal die Oscarverleihung kaum moderieren werde.