Auf Schalke ist man gespannt, ob der Fußballtrainer Roberto Di Matteo einen Rhetorikkurs absolviert hat und öffentlich lachen kann – und will. Sein Vorgänger Jens Keller war ein Coach mit Charmedefiziten, findet der StZ-Kolumnist Oskar Beck.

Stuttgart - Scharenweise behaupten Psychologen und andere Gegenwartsforscher, dass Rhetorikkurse, Verhaltensseminare und die Schulung der Körpersprache in diesen Medienzeiten immer nötiger werden – und ihr bestes Argument ist bei Schalke gerade entlassen worden.

 

Glaubt man bösen Zungen, dann hat sich Jens Keller dort mit Wort und Tat, aber auch mit Mimik und Gestik um Kopf und Kragen geredet. Für die einen war dieser Trainer ein Stimmungstöter, für die anderen eine Spaßbremse – und der Rest empfand es zumindest als störend, dass man Keller wegen seines Gesichtsausdrucks nach Niederlagen kaum noch ungeschminkt vor die Kamera stellen konnte.

Das war riskant, denn es kam dann vor, dass der spröde Schwabe als beleidigte Leberwurst über die unmotivierte Einstellung seiner Pappenheimer in das nächstbeste TV-Mikrofon bruddelte: „Wenn sechs, sieben Leute ihre Leistung nicht bringen, kann man nicht bestehen.“ Dass es zum Verantwortungsbereich seines Jobs gehört, solche Mangelerscheinungen zu vermeiden, hat Keller im Stress übersehen und auch vergessen, dass eine öffentliche Schuldzuweisung dieser Art zu den Todsünden eines Trainers gehört, weil sich der Teamgeist so nicht unbedingt fördern lässt. Vergangenen Sonntag soll er vor versammelter Mannschaft dann auch noch den jungen Julian Draxler heruntergeputzt haben, dass der fast Ohrenschützer benötigte – jedenfalls wird Keller in der Hektik gerne mal deutlich, was schlimmstenfalls dazu führen kann, dass ein Trainer sich selbst in Teufels Küche redet.

Gute und weniger gute Trainer

Wir wollen jetzt nicht die Frage klären, was der Unterschied zwischen einem sehr guten und einem weniger guten Trainer ist – sondern wie man einem weniger guten Trainer austreiben kann, dass er im Eifer des Gefechts die fuchsteufelswildesten Dinge sagt und selbst nach strahlenden Siegen noch ein Gesicht hinkriegt, als wolle er zum Lachen auf der Stelle in sich gehen, also in den Keller.

Es ist manchmal erstaunlich, wie naturbelassen sich Trainer aufs Medienglatteis wagen. Dabei könnte jedem blitzschnell geholfen werden, denn es gibt Rhetorikseminare wie Sand am Meer, und in aller Regel geht man aus solchen hinterher pfiffiger wieder hinaus als hinein. Im Auftrag einer neugierigen Zeitschrift habe ich so einen Intensivkurs einmal über mich ergehen lassen, drei Tage hat er gedauert, in einem Hotel im Schwarzwald, und angekündigt war es als „TV-Training mit Deutschlands härtestem Interviewer“.

Das Interview als Stahlbad

Das war zu der Zeit Claus Hinrich Casdorff, und das Seminar erwies sich als Stahlbad. Wenig zimperlich war beim Schulungsinterview gleich seine erste Frage: „Stimmt es, dass bei Ihnen zu Hause die Frau die Hosen anhat?“ Im Affekt wollte ich ihm an die Gurgel, aber das ist genau das, was man nicht darf – und Casdorff hat mir als leuchtendes Beispiel den alten Wienerwald-Chef Friedrich Jahn vorgehalten, den er in seinem unvergessenen TV-Verhör „Ich stelle mich“ einmal mit dem Satz begrüßte: „Es heißt, er sei wie seine Hähnchen ein bisschen fettglänzend.“

Der Hähnchenkönig blieb eiskalt.

Wer sich unter Kontrolle hat, wirkt kompetent. Beherrscht bleiben heißt das Rezept, nicht provozieren lassen, kühl antworten, keine Blöße geben, nicht stottern, nicht schwitzen, den Fangfragen ausweichen, polemisieren und notfalls tricksen. Aber all das gibt es nicht umsonst – ehe sich beispielsweise der Kräuterschnapskönig Emil Underberg seinem gefürchteten TV-Verhör stellte, erzählte Casdorff, „hat er sich als Privatlehrer extra Thomas Gottschalk gekauft“.

Der Charme der souveränen Beherrschtheit

Was Führungskräften der Wirtschaft weiterhilft, kann für Fußballtrainer eigentlich nicht grottenfalsch sein. Hätte Keller über einen Rhetorik- und Verhaltenskurs womöglich die Kurve gekriegt – wäre er am Ende dann nicht gefeuert, sondern gefeiert worden als virtuoser Volksredner und jedermanns Liebling zum Knuddeln?

Roberto Di Matteo ist nun sein Nachfolger, und ganz Schalke hofft, dass der Neue aus Schaffhausen den Charme der souveränen Beherrschtheit gleich mitbringt – vielen fällt an der Stelle allerdings siedendheiß das Streitgespräch ein, das er als Trainer des FC Chelsea vor zwei Jahren nach dem Finalsieg in der Champions League gegen den FC Bayern mit dem Sky-Interviewer Jan Henkel geführt hat. Was Chelsea an jenem Abend gespielt hatte, war ein lustfeindlicher Fußball, jedenfalls kein sexy Fußball, sondern ein Rückfall ins destruktivste, dunkelste Mittelalter, als vor dem Sex noch die Lampen ausgemacht wurden, damit der Spaß nicht überhandnahm – und Henkel ärgerte den frisch gekrönten Trainerkönig zu Recht mit der Frage: „Ihr Fußball ist erfolgreich, aber ist er auch schön?“ Mit einem Gesichtsausdruck, der mit „A“ anfing und mit „loch“ aufhörte, hat der Schaffhausener sofort auf dem Absatz kehrt- und sich wortlos aus dem Staub gemacht.

Was aber nichts heißen muss. Wenig später ist Roberto Di Matteo beim FC Chelsea entlassen worden – und falls er die lange Pause danach genutzt hat für einen Kommunikations- und Verhaltenskurs, dann wird er daraus zweifellos gestärkt hervorgehen und Jan Henkel beim nächsten Interview mit dem bezaubernden Lächeln des lebensbejahenden Strahlemanns in den Arm nehmen und ihm sagen, dass es mit ihm auf Schalke ab sofort nur noch eines gibt: sexy Fußball.