Der Torjubel im Fußball ist wieder ins Gerede gekommen – vor allem das strikte Verbot der dazugehörigen Botschaften, die die Stars über ihre Unterhemden verbreiten. Dabei sind Unterhemden mehr als nötig, findet der StZ-Kolumnist Oskar Beck.

Stuttgart - Beim Jubel hört der Spaß auf. Wer sich als Torschütze das Trikot vom Leib reißt und auf dem Unterhemd eine Botschaft entblößt, mit der er die Welt verbessern oder andere Menschen beglücken will, macht sich strafbar – so viel ist sicher, seit der spanische Fußballverband einen Bußgeldbescheid über 3000 Euro an Lionel Messi verschickt hat, weil der ein Tor für den FC Barcelona in Form des Offenlegens seines T-Shirts mit dem Geburtstagsgruß „Herzlichen Glückwunsch, Mama!“ feierte.

 

Verstoß gegen Regel 4.

Regel 4 beim Weltverband Fifa bezieht sich auf die Kleiderordnung und lautet: Wenn Fußballer sich in Unterwäsche mit politischen, religiösen oder persönlichen Slogans, Botschaften, Bildern oder Werbeaufschriften präsentieren, sind sie dran. Seit ein paar Tagen wird daran von den Paragrafenwächtern wieder erinnert, denn zwei Torjäger haben sich an der strengen Regel versündigt: Haris Seferovic, der Schweizer Stürmer von Eintracht Frankfurt, gedachte der Studentin Tugce Albayrak, die wegen ihres Muts sterben musste – und der Nigerianer Anthony Ujah widmete ein Tor für den 1. FC Köln dem asthmakranken Afroamerikaner Eric Garner, der bei seiner Festnahme von Polizisten zu Tode gewürgt wurde. „Cant’t breathe“, rief er verzweifelt, und so stand es jetzt auch auf Ujahs Unterhemd – ich bekomme keine Luft.

Zwischen Klose-Salto und Labbadia-Säge

Solche Varianten des Torjubels kannte man früher nicht (in alten Schriften sind nur der Klose-Salto, die Becker-Faust oder die Labbadia-Säge erwähnt), und Chefankläger Dr. Anton Nachreiner vom DFB-Kontrollausschuss hat jetzt angekündigt: „Wir werden Rundschreiben an die Clubs rausschicken, damit diese Dinge aufhören.“ Um geeignetere Jubelformen wird gebeten, sonst schlägt in voller Härte das Regelbuch zu. Das Menschenrecht des beschrifteten Unterhemds ist jedenfalls kein geschützter Teil der Jubelkultur, und folgende Choreografie wird künftig verschärft verfolgt: Der Torschütze stülpt sich das Trikot über den Kopf, kurvt hakenschlagend auf die nächstbeste Kamera zu, grüßt mittels Bibelzitaten und Herzensbotschaften auf der Unterwäsche Gott und die Welt („Jesus liebt Dich“), seinen Pizzabäcker („Ciao Carmelo“) oder seine Liebste daheim („Das war für dich, Schatz“) – und zur Strafe wird er danach an den Füßen aufgehängt oder zu drei Wochen Dunkelhaft bei Wasser und Brot verdonnert, mindestens aber zu Gelb, Rot oder 3000 Euro.

Dass das Beschriften von Fußballerhemden böses Blut schafft, ist übrigens ein alter Hut – nur waren es früher statt der Unterhemden die Trikots, und die ersten umstrittenen Botschaften hießen „Jägermeister“ oder „Südmilch“. Unvergesslich bleiben diesbezüglich jene dramatischen Samstage Ende der 70er Jahre, wenn bei „Sonntag Aktuell“ immer das aktuelle Bundesligageschehen verarbeitet werden musste und der Chefredakteur Schlüter den Jungredakteur B. ermahnte: „Vergessen Sie nicht, bei den Fotos die Trikotwerbung zu übermalen, denn kostenlose Reklame gibt’s nicht“. Da saß ich dann mit meinem Deckweiß und dem Pinsel aus dem Make-up-Etui der Sekretärin und schmierte dem HSV-Star Felix Magath das „BP“, dem VfB-Zauberer Hansi Müller das „Canon“ oder dem Bayern-Stopper Katsche Schwarzenbeck das „Magirus-Deutz“ von der Brust.

Die Fifa greift zu den Daumenschrauben

Die tapferen Bestrebungen, die Fußballertrikots sauber zu halten, haben sich dann zwar schnell erledigt – aber umso mehr geht es jetzt den Unterhemden an den Kragen. Die Fifa greift zu den Daumenschrauben, die Funktionäre drohen, aber am Wesentlichen wird es nichts ändern: Es wird auch in Zukunft fragwürdig gejubelt werden. Denn der pfiffige Fußballer ist einfallsreich – und mit seinen Botschaften sicherheitshalber längst ausgewichen vom Unterhemd auf die Haut. Der spanische Ex-Weltmeister Sergio Ramos ist die Kultfigur unter diesen von Kopf bis Fuß tätowierten Litfaßsäulen, voller ritueller und sakraler Symbole, sogar die Terroranschläge von New York und Madrid hat er sich mit der Nadel eingraviert. „Der Geist der Toten“, liest man da von Bizeps bis Bizeps, „liegt in der Erinnerung der Lebenden.“

Auf seinem Unterhemd hätte Ramos für diese raumgreifende Philosophie gar nicht genug Platz, und falls doch, würde sie ihn geschätzte 6000 Euro Bußgeld kosten. Auch David Beckham hätte in seinen aktiven Zeiten kostspielig gegen Regel 4 verstoßen mit seiner chinesischen Weisheit, die sich an der Hüfte hochschlängelt: „Leben und Tod werden vom Schicksal bestimmt, über Rang und Reichtümer entscheidet der Himmel.“ Und gar nicht bezahlen könnte der HSV-Spielmacher Lewis Holtby die Strafe für die tiefschürfende Botschaft auf seinem Unterarm: „Ein Krieger des Lichts weiß, dass in der Stille seines Herzens eine Ordnung liegt, die ihm den Weg weist.“ Viele sind inzwischen vom Bauch bis zum Rücken so körperfüllend beschriftet, dass sie das Unterhemd eigentlich schon wieder dringend nötig hätten.

Doch die Fifa verbietet es.

Fußballer sind Fußballer, sagen sich die Funktionäre. Fußballer sollen sich die Fingernägel lackieren und Wickelröcke aus der Südsee tragen, denkt sich Sepp Blatter womöglich und hält vermutlich auch nichts davon, dass jubelnde Torschützen der Politik auf die Sprünge helfen und die Welt verbessern wollen – tut das denn sonst einer? Rennt ein Chirurg nach der Blinddarm-OP durch die Klinik, reißt sich den weißen Kittel vom Leib und zeigt allen sein Unterhemd, auf dem steht: „Che Guevara lebt!“?

Der einfallsreiche Südkoreaner

Fußballer sind keine Politiker, sagt sich die Fifa. Aber es gibt Fußballer, die darauf pfeifen und damit sogar berühmt werden wie der Südkoreaner Jung-Hwan Ahn bei der WM 2002: Er feierte sein Tor gegen die USA mit Eisschnelllaufschritten, weil ein Landsmann zuvor bei den Olympischen Winterspielen in Salt Lake City von einem Amerikaner behindert und um Gold gebracht worden war.

Der Einfallsreiche kam ungeschoren davon – denn diese raffinierte Art, beim Torjubel eine Botschaft loszuwerden, fällt nicht unter Regel 4, Kategorie Unterwäsche.