Gier ist Gier, Sportler ist Sportler: Robert de Niro spielt in „Casino“ einen Mann, der das als einer der Ersten kapiert hatte. Wann also explodiert in der Bundesliga ein Cadillac, fragt sich StZ-Kolumnist Oskar Beck.

Stuttgart - Fredi Bobic besitzt einen unschätzbaren Glauben an das Gute im Menschen. Wo andere den Fußball anlässlich des größten Wettskandals aller Zeiten als Spielball der organisierten Kriminalität sehen, hielt der VfB-Manager dieser Tage mit der romantischen These dagegen, in der Erstklassigkeit der Bundesliga seien solche Vorfälle unwahrscheinlich – „dafür sind wir wirtschaftlich viel zu gut aufgestellt.“ Als abgebrühter, von der brutalen Wirklichkeit völlig versauter Pessimist möchte man sich voller Neid eine Scheibe abschneiden von der Kühnheit dieses Gedankens.

 

Auch Hans Kindermann, ein anderer großer Stuttgarter, wäre sich da höchstens halb so sicher. Zu viel hat er erlebt als Chefankläger nach der wie geschmiert verlaufenen Bestechungssaison `70/71. Die Spürnasen von Europol neigen wohl gleichfalls eher zur Skepsis, oder die Bochumer Staatsanwaltschaft, die den bekannten Kroaten Ante Sapina wegen schädlicher Umtriebe und skandalöser Kontakte unter anderem zum ehemals größten deutschen Schiedsrichtertalent Robert Hoyzer zur Aburteilung vor den Kadi zerren musste.

Kurzum: Man kann sich angesichts dieser den Fußball weiträumig umzingelnden Schweinsbrut aus Strolchen, Schurken und Schlawinern durchaus in seinem festen Glauben erschüttern lassen, dass die Fußball-Bundesliga eine korruptionsfreie Insel der letzten Aufrechten ist. Der Schöpfer hat dem Menschen zwei Hände und zehn Finger gegeben, und mit allen Zwölfen greift der Mensch gierig zu – selbst wenn er, um es mit Fredi Bobic zu sagen, wirtschaftlich gut aufgestellt ist.

Gier ist Gier

Gier ist Gier, genug ist niemals genug, und wo gewettet wird, sowieso nicht – in „Wetten, dass...?“ beispielsweise hat der Talkmaster Thomas Gottschalk, der wirtschaftlich auch gut aufgestellt ist, für seine aus dem Werbefernsehen bereits hinlänglich bekannten Gummibärchen noch extra Propaganda gemacht, nach der süßen Devise: Von denen kriegst du den Kragen nicht voll.

Wetten, dass auch Fußballer nur Menschen sind – unabhängig von der Liga, in der sie gut bezahlt oder überbezahlt ihre Brötchen verdienen? Die Gier ist eine Sucht und das ganze Leben ein Spielcasino, und die Getriebenen rennen in die offenen Arme und das Spinnennetz der weltweit verwobenen Wettmafia. Die Vermutung, deren Paten hätten die Sportwetten erfunden, ist allerdings falsch – schon in den 60ern hatte ein ganz anderer das richtige Näschen: Frank („Lefty“) Rosenthal. Wer den Film „Casino“ von Martin Scorsese gesehen hat, der kennt ihn. Mitreißend spielt Robert de Niro in diesem Las-Vegas-Thriller die farbige Figur des Kasinobosses Sam („Ace“) Rothstein – so heißt er im Kino. Ace ist Lefty und war damals, um es mit „Sports Illustrated“ zu sagen, „der größte Experte des Glücksspiels im Sport.“

Glück ist im Leben alles, also hilft man dem Glück nach

Als einer der ewigen Top 5 unter den Buchmachern gilt Rosenthal. Er war gewitzt und gerissen, was gelegentlich zu Feindschaften führte und zu der berühmten Szene in „Casino“: Lefty alias Ace hat im „Tony Roma’s“ gut zu Abend gegessen, startet draußen seinen Cadillac, es explodiert eine Bombe, das Auto fliegt in die Luft – aber Lefty fliegt durch die offene Tür halbwegs gesund hinaus.

Glück ist im Leben alles, also hilft er dem Glück auch mal nach. Ursprünglich war er ein normaler Sportverrückter, doch irgendwann hat er beim Football, Baseball oder Boxen nicht mehr nur zugeschaut, sondern das Wettgeschäft drahtzieherisch angekurbelt. Das blieb nicht immer folgenlos, in Handschellen landete er im Gefängnis. Beim Basketball soll er einen Spieler bestochen haben, er kam dran wegen Verschwörung. Auch von den Pferderennbahnen wurde er irgendwann verbannt und mit einem Bombenanschlag anlässlich eines Buchmacherkrieges in Miami in Verbindung gebracht.

Wir müssen nicht blauäugig Fredi Bobic folgen

Einmal nahm ihn der US-Senat zum Thema Glücksspiel und organisiertes Verbrechen in die Zange, und in 38 Fällen machte Rosenthal von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch – sogar auf die Frage, wie er zu seinem Spitznamen kam. Die Antwort hätte weh getan: Als er als Manager in einem seiner Kasinos einen Blackjack-Betrüger entlarvt hatte, da zertrümmerten die Schläger seiner Sicherheitstruppe dem Spitzbuben mit einem Hammer die rechte Hand. Was, so fragte ein Reporter später, ist denn aus dem armen Kerl geworden? „Er wurde Linkshänder“, antwortete Lefty.

Nach seiner Glanz- und Glamourzeit in Las Vegas hat sich Rosenthal auf seine alten Tage in Florida noch der Sportwetterei gewidmet und auf die Frage, wie er es bloß schaffe, so beneidenswert gesund zu bleiben, geantwortet: „Ich kann den Mund halten.“ So hat er das schier Unmögliche fertiggebracht und ist nicht erschossen worden, sondern eines natürlichen Todes gestorben.

Das war vor fünf Jahren. Wie gierig sich selbst wirtschaftlich gut aufgestellte Sportler schlimmstenfalls benehmen können, kann er also leider nicht mehr erzählen – aber deshalb müssen wir jetzt nicht blindlings und blauäugig Fredi Bobic folgen, wenn der meint, in der Bundesliga habe das Geld keine bestechenden Eigenschaften. Eher realistisch ist, dass sogar in dieser zahlungskräftigen Liga mitunter ein Torwart oder Schiedsrichter händeringend zu seinem Fußballgott betet: Führe mich nicht in Versuchung – ich könnte ihr erliegen.