Mit einer Bettruhestudie versuchen Wissenschaftler des Deutschen Luft- und Raumfahrzentrums herauszufinden, warum Knochen im All an Substanz verlieren. Ihre Erkenntnisse könnten auch Menschen auf der Erde helfen.

Köln - Eine Weltraumreise auf Erden zu simulieren ist ein ehrgeiziges Projekt – vor allem, wenn der Flug gleich mehrere Monate dauern soll. Zum Glück für die Wissenschaft kann man zumindest dem Körper manche Belastungen einer Mars-Mission mit einem ganz einfachen Trick vorgaukeln: Man legt die Probanden ins Bett. Essen, Waschen, Toilettengang – 60 Tage lang müssen die zwölf jungen Männer, die sich dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln-Wahn für diese Bettruhestudie zur Verfügung gestellt haben, alles Lebensnotwendige im Liegen verrichten.

 

In der Horizontalen, so die Theorie, zerrt die Schwerkraft nicht mehr in der gewohnten Richtung an Knochen und Gelenken. Bei unangenehmen sechs Grad Kopftieflage – das Kippen des Betts ist ebenfalls Pflicht – fließt das Blut, das sich vorher in den Beinen staute, Richtung Kopf und lässt das Gesicht anschwellen. Wenn die Versuchspersonen diese Tortur hinter sich haben, so erzählt die DLR-Mitarbeiterin Friederike Wütscher, macht ihr Kreislauf den aufrechten Gang zunächst gar nicht mehr mit.

Knochen und Muskeln wird das lange Liegen ebenfalls zu viel. Fast zweihundert Gramm wird das etwa neun Kilogramm schwere Skelett der jungen Männer am Ende weniger wiegen. Vor allem dieses Phänomen macht die Bettruhestudie so interessant, denn gerade der Knochenverlust ist für die Raumfahrt ein noch ungelöstes Problem. Ein Viertel seiner Substanz verliert das Skelett einiger Astronauten an manchen Stellen. Selbst zwei Stunden Laufbandtraining am Tag können den Verlust nicht stoppen.

Ab dem 30. Lebensjahr geht es mit dem Skelett bergab

Rund 550 Menschen haben es bisher in die Umlaufbahn geschafft. Die Forschung Jörn Rittwegers, des Leiters der Abteilung für Weltraumphysiologie des Zentrums, soll aber nicht nur ihren Nachfolgern helfen. Auch bei den siebeneinhalb Milliarden Artgenossen am Boden geht es mit dem Skelett ab dem 30. Lebensjahr bergab. Im Schnitt ein Prozent verliert der Knochen alle zwölf Monate an Substanz. Sechs Millionen Deutsche gelten als akut frakturgefährdet – bei ihnen ist der Prozess besonders weit vorangeschritten . Mit Bewegungsprogrammen, so hoffen Rittweger und Kollegen, könnte sich ihre Osteoporose zumindest bremsenlassen.

Was das Therapeutikum Sport gerade bei dieser Krankheit interessant macht: Der menschliche Knochen reagiert nicht nur auf Bettruhe und Entlastung sensibel; er ist auch umgekehrt sehr empfindlich, wenn man ihm etwas abverlangt. Tennisspieler, berichtet Rittweger, haben auf der Schlaghandseite bis zu doppelt so starke Oberarmknochen wie Menschen, die diese nicht trainieren. Denn auch im Erwachsenenalter ist das Skelett ständig im Werden – alle sechs Jahre baut es sich einmal ab und wieder auf. Der permanente Umbau erlaubt es dem Körper zum einen, das Skelett in Hungerzeiten als kostbares Kalziumreservoir zu nutzen. Gleichzeitig kann er das Geflecht der Knochenbälkchen und die Knochenwände auf diese Weise jederzeit umbauen, damit sie neuen Belastungen gewachsen sind.

Besonders sensibel, so dachte man zumindest bislang, reagiert das Skelett auf wiederholte Aufprall-, sogenannte Impact-Ereignisse. Als Non-Plus-Ultra der Osteoporose-Prävention galten deshalb alle Bewegungen, die regelmäßig mit Kraft auf den Boden drücken: Laufen, Walken und Sprung-Sportarten wie etwa Volleyball.

Fürs Aussehen oder Image schwitzten die Leute gerne – aber für das Skelett?

Bis die Wissenschaftler sich die Studien gründlicher anschauten und kaum einen Effekt fanden. „Das Körpergewicht hat auf die Belastung des Knochen kaum einen Einfluss, unser Skelett wird vor allem dadurch gefordert, dass die Muskeln an ihm ziehen“, sagt Georg Duda, Direktor des Julius Wolff Instituts der Berliner Charité. Der Oberschenkelhals-Knochen bricht laut seiner Theorie nicht etwa deshalb so häufig, weil die Patienten so oft auf ihn fallen. Sondern weil schon vorher beim Stolpern die Körperkräfte mit der neunfachen Gewichtskraft an ihm zerren.

Als Schlüssel einer erfolgreichen Osteoporoseprävention gilt daher inzwischen die Mischung einer guten Portion Krafttraining gewürzt mit ein paar Impact-Sport-Einheiten. Kurze Wiederholungen mit schweren Gewichten nennt das der Fachmann. Am Fitness-Raum führt kaum ein Weg vorbei. „Um Knochen aufzubauen, braucht man allerdings zwei bis drei Jahre“, sagt Jörn Rittweger. „Wer lässt sich schon solange motivieren?“ Fürs Aussehen oder Image schwitzten die Leute gerne – aber für das Skelett?

Mit dem Alter wird der Knochen „schwerhörig“

Was die Suche zusätzlich verkompliziert: Mit dem Alter wird der Knochen „schwerhörig“, wie es Duda nennt. Das heißt, er reagiert schwächer auf Belastungen. Im Experiment konnte der Biomechaniker zeigen, das der gereizte Knochen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen schnell Substanz aufbaut. Bei Menschen mittleren Alters um die 50 reagieren die Knochen träger. „Im hohen Alter kann ich zwar immer noch etwas für meinen Knochen tun, aber es geht dann nur noch darum, die Geschwindigkeit des Abbaus zu bremsen.“

Hinzukommt: Ein Untrainierter müsste erst einmal die entsprechende Muskulatur aufbauen, um überhaupt knochenstimulierende Kräfte entwickeln zu können. Der beste Schutz gegen die Osteoporose bleibt deshalb eine möglichst große Peak-Bone-Mass, wie sich die Höchstmenge an erreichbarer Knochensubstanz im jungen Erwachsenenalter von etwa 25 Jahren nennt. Dieses Optimum ist zum einen von genetischen Faktoren, aber auch von der Ernährung und vor allem von der sportlichen Betätigung abhängig. „Nur: Wer denkt schon so früh an die Osteoporose?“, sagt Duda.

Von Sport wird aber auch ein 80-Jähriger profitieren. Denn eines ist unbestritten: Selbst im hohen Alter werden durch Bewegung die Muskeln gestärkt, Koordination und Geschicklichkeit verbessert. Vor allem Yoga, Tai-Chi und Tanzen helfen auf diese Weise, Stürze und damit auch Frakturen zu vermeiden. Und wer sich nichts bricht, kann selbst mit einer Osteoporose ganz gut leben.

Nebenwirkungen von Osteoporose-Medikamenten

Bisphosphonate: Werden in den Knochen eingebaut und bremsen durch eine Hemmung der knochenabbauenden Zellen den Knochenverlust. Mit Erfolg: An bestimmten Stellen des Skeletts können sie das Frakturrisiko halbieren. Allerdings hat der Eingriff in den Skelettstoffwechsel unerwünschte Folgen: Die Tabletten sorgen dafür, dass die vielen Mikrofrakturen, die sich im Laufe eines Lebens ansammeln, schlechter repariert werden. Bei einem von rund 2000 Behandelten kommt es zur Katastrophe: der Knochen bricht als sogenannte atypische Fraktur wie aus dem Nichts. Hinzu kommt: Die Tabletten kann man nicht ewig geben.

Denosumab: Der Antikörper Denosumab bringt ebenfalls die Gefahr atypischer Frakturen mit sich. Zudem warnen Fachleute vor Störungen des Kalzium-Stoffwechsels. Denosumab wird zweimal im Jahr unter die Haut gespritzt und ist ähnlich erfolgreich wie die deutlich billigeren Bisphosphonate.

Teriparatid: Das bisher einzige Mittel auf dem Markt, dass verlorenen Knochen wiederherstellt. Trotzdem wird das Medikament angesichts des hohen Preises von den Krankenkassen nur in Ausnahmefällen bezahlt. Zudem vertragen es nicht alle Patienten. Weil Teriparatid in Tierversuchen mit der Entstehung von Knochenkrebs verbunden war, darf er nicht länger als 24 Monaten gegeben werden – eine Osteoporosebehandlung dauert aber oft Jahrzehnte.

Romosozumab: Ende dieses Jahres will die Firma Amgen die Zulassung für den Antikörper beantragen. In Studien hatte die Knochensubstanz in der Wirbelsäule bereits nach einigen Spritzen um 13 Prozent zugenommen. In anderen Bereichen des Skeletts ließ sich eine Abnahme von Frakturen allerdings nicht nachweisen. Ebenfalls ernüchternd war die Nachricht, dass auch Romosozumab womöglich mit atypische Frakturen verbunden ist – wenn auch selten.