Die Stadt initiiert die Kampagne „Sei mein Nachbar!“, die von Toleranz und Offenheit geprägt sein soll. Bei zwei Auftaktveranstaltungen werden zunächst Ideen für Begegnungsmöglichkeiten der Menschen in der Stadt entwickelt.

Ostfildern - In allen nur erdenklichen Lebensbereichen haben wir Nachbarn. Sie wohnen und arbeiten neben uns, sie treiben mit uns Sport, sitzen in Konzerten und Theateraufführungen an unserer Seite oder kaufen beim Bäcker mit uns ein. Doch wir wissen oft nichts von ihnen, kennen ihre Leidenschaften nicht, haben keine Ahnung davon, was sie gerade beschäftigt, ob sie traurig oder glücklich sind. Mit einem außergewöhnlichen Projekt will Ostfildern unter den Menschen in der Stadt, die in der Nähe sind, ohne sich nahe zu sein, Begegnungen ermöglichen. Sinnigerweise heißt die Kampagne „Sei mein Nachbar!“

 

Vergeblich um Boateng als Schirmherr bemüht

Laut Julia Schlipf, der Leiterin des städtischen Kulturbüros, kommt der Titel nicht von ungefähr. Die Überlegungen für das Projekt seien just in die Diskussion hinein gefallen, die sich entzündet hatte, nachdem der AfD-Vize-Vorsitzende Alexander Gauland den deutschen Fußballnationalspieler Jérôme Boateng mit der Aussage rassistisch beleidigt hatte, so einen wolle niemand „zum Nachbarn haben“. Die Initiatoren vom Kulturbüro und der Kinder- und Jugendförderung (Kiju) Ostfildern hätten sich sogar bemüht, Boateng als Schirmherr zu gewinnen, „aber es sieht nicht so aus, als würde daraus etwas werden“, sagt Julia Schlipf. Dem Engagement der Organisatoren tut das freilich keinen Abbruch. Entstanden sei die Idee anlässlich der Veranstaltungen zum 40-jährigen Bestehen der Stadt Ostfildern, erklärt die Kulturbüro-Chefin. In den vergangenen Monaten seien schon vielfältige Begegnungen arrangiert worden, zum Beispiel im Café Vielfalt, beim integrativen Fußballturnier oder bei diversen Freizeitaktivitäten.

Mit der Kampagne wolle die Stadt deutlich machen, „wofür wir stehen – nämlich für Toleranz und Offenheit“. Und das gelte für alle Bereiche und Ebenen des täglichen Lebens. Entsprechend breit gefächert und offen sei das Projekt angelegt. Eingeladen seien alle Bürger, Einrichtungen, Unternehmen, Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Vereine und Glaubensgemeinschaften, ihre ganz speziellen Begegnungsmöglichkeiten anzubieten – „egal, ob große oder kleine“, sagt Julia Schlipf.

Kein Erwartungsdruck seitens der Initiatoren

Es bestehe absolut kein Erwartungsdruck seitens der Initiatoren. Jeder sei willkommen, „der Urschwabe genauso wie der Flüchtling“. Es sei ganz einfach der Versuch, entgegen der gesellschaftlichen Entwicklung „Werte aus dem Keller zu holen“. Dabei solle auch nicht die pädagogische Keule ausgepackt werden, es solle einfach „Spaß machen“, andere Menschen, deren Lebensumstände und Ansichten kennen zu lernen. In zwei Auftaktveranstaltungen sollen das Projekt erklärt und Ideen entwickelt werden. Vorstellbar seien größere Feste und Feiern, bei denen sich Menschen begegnen – aber auch „kleine, feine Dinge“, wie etwa eine Einladung unter Wohnnachbarn. Die Stadt Ostfildern begleite das niederschwellige Angebot und könne bei Bedarf auch bei der Organisation helfen. „Wo es notwendig ist, wird das unterstützt“, erklärt Julia Schlipf – auch finanziell, obwohl es ihr zufolge kein festes Budget für die Kampagne gibt.

Bei den Feierlichkeiten zum 40-jährigen Stadtbestehen habe sich gezeigt, dass die Identifikation innerhalb der verschiedenen Stadtteile ganz unterschiedlich sei. In einem so jungen wie dem Scharnhauser Park liefen Begegnungen anders ab als etwa in gewachsenen wie Kemnat oder Nellingen. Deshalb könne nur schwer eingeschätzt werden, wie sich das Projekt entwickle. Aber jede Veranstaltung im Rahmen von „Sei mein Nachbar!“ solle dokumentiert werden – „und wenn es nur ein Foto von der Begegnung ist“.