Württembergs Landesbischof Frank Otfried July verteidigt im StZ-Interview die Ausgaben für den Kirchentag: Das Geld sei gut angelegt. Gleichzeitig kritisiert der Protestant, dass eine Gruppe nicht zum Treffen zugelassen wurde.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

StuttgartFrank Otfried July hat beim Kirchentag einen wahren Terminmarathon zu bewältigen. Diese Aussicht schmälere aber seine Vorfreude nicht, sagt der württembergische Landesbischof.

 

Er hofft, dass der Gestaltungsanspruch der Christen bei dem Treffen deutlich wird. Der Theologe kritisiert zugleich, dass einer Gruppe die Teilnahme verwehrt wurde.

Herr Bischof July, 4,5 Millionen Euro gibt die württembergische Landeskirche für das Protestantentreffen aus. Inwiefern ist das Geld gut angelegt?
Beim Kirchentag können die Christen zeigen, dass sie diskursfähig sind, dass sie sich nicht in Nischen drängen lassen, sondern als Teil der Zivilgesellschaft Verantwortung übernehmen wollen.
Diskutiert werden strittige Themen doch auch andernorts – etwa in vielen Talkshows.
Die Talkshows sind aber nicht so spannend wie der Kirchentag und oft auch nicht so niveauvoll wie die Diskussionen dort. Natürlich soll es nicht nur um Debattierlust gehen, sondern darum, den Bezug zum Leitwort „damit wir klug werden“ herzustellen. Stuttgart ist ja nicht der schlechteste Platz, um klüger zu werden.
Laut Luther müsste es eigentlich im Bibelwort heißen: „ . . . auf dass wir klug werden“.
Ich gebe zu: diese alte Formulierung gefällt mir wegen ihrer größeren Weite besser. Ich werde auch in der Eröffnungspredigt die erste Hälfte des Psalmwortes nicht verschweigen. In Gänze heißt es „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“. Damit wird deutlich, dass die gesellschaftlichen Debatten, die wir führen, und die Einsichten, die wir gewinnen wollen, in einem Rahmen stehen, der sich der Selbstproduktion des Einzelnen entzieht.
Trotzdem, manche Kirchengemeinden ziehen sich aus der Finanzierung von Kindergärten zurück. Ist es da richtig, so viel Geld für ein Glaubensfest auszugeben?
Diesen Zusammenhang sehe ich so nicht. Beim einen geht es um langfristige, nachhaltige Verpflichtungen vor Ort, die ich übrigens sehr wichtig finde. Beim anderen geht es um eine einmalige Ausgabe. Württemberg übt hier auch Solidarität mit den anderen Landeskirchen in Deutschland. Allerdings wird man sich im Blick auf die Gesamtkosten von über 18 Millionen Euro Gedanken machen müssen, ob es in der Zukunft trägt, das Konzept der Veranstaltung immer mehr zu verbreitern. Andererseits: Geld für ein Glaubensfest auszugeben lohnt sich immer. Es bietet die Chance, die zu erreichen, die sich sonst nicht für Kirche interessieren.
Kommt der Kirchentag auch deshalb nach Stuttgart, weil sich der Bischof im Glanz der Veranstaltung sonnen will?
Nein, das Evangelium soll leuchten. Die Landessynode hat meinen Vorschlag, den Kirchentag einzuladen, einst angenommen. Da spielten sicher auch die positiven Erinnerungen an den Stuttgarter Kirchentag von 1999 eine Rolle und das Engagement einzelner Synodaler. Württemberg kann Kirchentag, und das wollen wir jetzt wieder zeigen.
„Damit wir klug werden“ – heißt die Losung. Was sollte die Landeskirche denn lernen?
Die Landeskirche ist wie das pilgernde Gottesvolk unterwegs. Sie muss jeden Tag aus dem Evangelium dazulernen und sich überprüfen, ob das, was sie tut und sagt, der biblischen Botschaft gerecht wird. Wir haben gerade wieder gelernt, dass wir uns ganz stark um die Flüchtlinge kümmern müssen. Wir stehen an der Seite derer, die leiden und die keine Lobby haben.
Viele in der Gesellschaft erwarten, dass die Kirche mehr Akzeptanz gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren an den Tag legt.
Die Landeskirche hat schon gelernt, dass sie Menschen mit einer solchen sexuellen Orientierung ein Zeichen der Offenheit geben will. Viele Gespräche und Begegnungen haben stattgefunden und finden weiter statt. Viele gleichgeschlechtlich Liebende sind ja Teil unserer Kirche und sehr engagiert. Das heißt, dass wir uns weiteren Diskussionen stellen werden. In der Synode wird es dazu einen Gesprächs- und theologischen Klärungsprozess geben. In der württembergischen Landeskirche sind im Gegensatz zu einigen anderen Landeskirchen öffentliche Segnungen solcher Paare nicht vorgesehen. Die Landeskirche steht gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen aber offen gegenüber und sucht den Austausch. Niemand ist ausgeschlossen.
Der Kirchentag hat die Bruderschaft des Weges, in der Homosexuelle keusch leben, nicht zur Teilnahme zugelassen – eine gute Entscheidung?
Mir leuchtet der Beschluss nicht ein. Eine solche Kommunität akzeptiere ich erst einmal. Auch Heterosexuelle, die enthaltsam leben, werden ja nicht ausgeschlossen. Sollte es problematische Aspekte bei dieser Gruppe geben, ließen sich die auf dem Kirchentag ja besprechen.
Kann der Bischof der gastgebenden Landeskirche da nicht eingreifen?
Nein. Mit solchen Detailplanungen hatte ich nichts zu tun. Denn die werden nicht im Präsidium des Kirchentags diskutiert, in dem ich Gast bin. Es gibt allerdings immer zu viele Anmeldungen zum Markt der Möglichkeiten, und deshalb gibt es auch immer wieder Absagen.
Sie haben einen ziemlichen Terminstress beim Kirchentag. Worauf freuen Sie sich?
Ich bin zwar in den Tagen terminlich voll durchgetaktet, das schmälert meine Vorfreude aber nicht. Besonders auf den Abend der Begegnung freue ich mich. Dort präsentieren sich die Regionen der Landeskirche in ihrer Vielfalt, und ich habe Gelegenheit, vielen Menschen zu begegnen. Natürlich freue ich mich auch auf die gemeinsame Bibelarbeit mit meinem katholischen Amtsbruder Bischof Gebhard Fürst und auf die Diakonieparade am Samstag – so etwas gab es auf einem Kirchentag noch nie.
2500 Programmpunkte – von Hip-Hop bis Kletterkurs. Wie soll das Treffen da den Anspruch erfüllen, Orientierung zu bieten?
Das gelingt durch die Gottesdienste und die Bibelarbeiten und hoffentlich auch durch die Rückbindung vieler Veranstaltungen an das Leitwort. Es wird eine innere Linie sichtbar bieten, auch wenn es da oder dort sicherlich Blüten gibt, die bestenfalls eine Technikklugheit vermitteln.
Ist der Kirchentag vor allem politisch, spirituell oder ein großes Event?
Es ist von allem etwas, das aber miteinander zusammenhängt. Christsein in dieser Gesellschaft darf Freude machen. Das kann sich festmachen an christlicher Musik, an Miteinanderfeiern und ist kein Gegensatz zu Gottesdienst und Gebet.
Welche zentrale Botschaft soll von dem Treffen Ihrer Meinung nach ausgehen?
Wir Christen und Kirchen gestalten diese Gesellschaft mit. Wir haben viele Ideen und Menschen, die kompetent sind. Wir schaffen ein Forum, auf dem internationale Politik und humanitäre Bewegungen Impulse bekommen können. Für mich heißt das Zentrum, von Christus aus klug werden, seine Botschaft glaubwürdig leben und die Welt in diesem Sinne mitgestalten.
Was bleibt von dem Großereignis, wenn die Menschen nach Hause gegangen sind?
In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass einzelne Impulse in den Gemeinden aufgenommen worden sind. Um das konkret zu machen: ich wünsche mir, dass wir die Gemeinden fremder Sprache und Herkunft, die auf dem Kirchentag im Blickfeld sind, noch stärker als Teil der einen Kirche Christi wahrnehmen und viel enger mit ihnen kooperieren. Vielleicht können Vertreter von ihnen dereinst in unserer Synode sitzen. Außerdem erhoffe ich, dass endlich die Debatte über die Alternative von Frömmigkeit und Politik aufhört. Beides gehört zusammen. Gerade weil ich an Christus glaube, kann ich mich für gesellschaftliche Belange einsetzen.