Warum passen zwei Menschen zusammen? In einer Serie sprechen besondere Paare über ihr Leben. Folge zwei: Marion und Nicki Bolten lieben sich jenseits aller Geschlechtergrenzen.

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Mühlacker - Mühlacker, Ortsteil Lomersheim, grundsolide Einfamilienhäuser. Vor der Haustür grüßt eine Kolonie Wichtel den Besuch, drinnen hüpft Hund Bobby aufgeregt kläffend auf und ab. Der Dackel ist seit ein paar Jahren der einzige Mann im Haus. Denn seit aus Norbert Bolten Nicki wurde, hat das Tier eben zwei Frauchen. Während des Gesprächs liegt Bobby mal bei Marion, mal bei Nicki auf dem beigefarbenen Plüschsofa und lässt sich den Bauch kraulen.

 
Liebes Ehepaar Bolten, wann und wie haben Sie geheiratet?
Nicki Bolten 1985 in Bad Liebenzell im Schwarzwald, wo wir damals wohnten. Ganz klassisch: meine Frau im weißen Kleid, ich im Anzug. Ich würde sehr gern noch einmal heiraten. Dann ginge natürlich ich ganz in Weiß.
Marion Bolten Und ich hätte den Anzug an.
Nicki Bolten Meine Frau ist der Jeanstyp und ich der Rocktyp. Sie hat einen Kleiderschrank, ich drei. Sie hat acht Paar Schuhe, ich 45.
Sie waren 25 Jahre Mann und Frau. Seit sechs Jahren leben Sie, Nicki, als Frau. Wie fing das Ganze an?
Nicki B. Ich habe schon als Kind meinen Penis zwischen den Beinen versteckt, weil ich den nicht wollte. Aber ich habe das Gefühl verdrängt und versucht, ein sogenanntes normales Leben aufzubauen. Wenn ich allerdings Transvestiten gesehen habe, ist mir immer ganz warm ums Herz geworden.
Haben Sie diese Sehnsucht Ihres Mannes gespürt?
Marion B. Anfangs nicht, aber nach und nach schon. Er hat manchmal Frauenstrumpfhosen angezogen und ist damit zu Hause rumgelaufen.
Nicki B. Wir hatten schon länger eine offene Beziehung geführt. Aber irgendwann wollte ich auch mal zu einer Transenparty gehen. Marion kam mit. Wir haben Transgender kennengelernt und uns sehr lange mit ihnen unterhalten. Von da an waren wir regelmäßig bei solchen Veranstaltungen.
Wie war es für Sie, Ihren Mann in Frauenkleidern zu sehen?
Marion B. Das war gar nicht komisch. Die Gespräche mit anderen Transsexuellen haben mir dabei sehr geholfen. So konnte ich mich besser in sie hineinversetzen.
Wie ging es nach den ersten Partys weiter?
Nicki B. Das ist wie ein Schneeball, der immer größer wird. Irgendwann bin ich mit anderen Mädels zum Trans-Talk, einer Art Stammtisch, nach Karlsruhe gefahren. Dort war ich das erste Mal als Frau unterwegs, in Kaufhäusern, beim Kaffeetrinken. Das war ein Kribbelgefühl ohne Ende.
Marion B. Am Anfang bin ich zu solchen öffentlichen Auftritten nicht mit. Aber dann habe ich mir gesagt: „Wenn du damit leben und klarkommen willst, musst du das miterleben.“ Heute bin ich immer dabei.
Nicki B. Wir haben jetzt einen großen Freundeskreis, was wir früher nie hatten. In der Szene wird jeder akzeptiert. Es gibt Dragqueens wie Olivia Jones, die reine Künstler sind und Geld verdienen. Dann gibt es Transvestiten, also Männer in Frauenkleidern, und Transgender, manche operiert, manche nicht.
Wie läuft so eine Umwandlung ab?
Nicki B. Ich habe vor sechs Jahren angefangen, weibliche Hormone zu nehmen. Außerdem muss man zu einem Psychologen gehen, der einem bescheinigt, dass man „krank“ ist. Leider zählt Transgender in Deutschland zu den Krankheiten. Auf der anderen Seite zahlt deshalb die Kasse sämtliche Eingriffe. Man muss drei Jahre äußerlich als Frau leben, dann kann man bei Gericht die Namens- und Personenstandsänderung beantragen. Dafür braucht man zwei psychologische Gutachten, auf die sich die Richter stützen. Danach werden alle Dokumente bis zur Geburtsurkunde von männlich auf weiblich geändert, wenn man will, sogar die Schulzeugnisse.
Und die Heiratsurkunde?
Nicki B. Die bleibt bestehen. Seit es die Homoehe gibt, ist das möglich. Früher mussten sich Paare wie wir scheiden lassen.
Marion, haben Sie Nicki anfangs noch ab und zu Norbert genannt?
Marion B. Nein, sobald sie ihren Namen geändert hatte, war sie Nicki. Ich war auch diejenige, die auf ein Outing gedrängt hat.
Nicki B. Das war eine große Hürde, vor allem wegen unserer Firma Nobby’s Flohmarkt. Wir machen Hausauflösungen und -entrümpelungen und haben viel mit alten Menschen zu tun.
Wie waren die Reaktionen?
Nicki B. Das war kaum ein Problem. Viele waren eher interessiert. Insgesamt tun sich Männer schwerer mit mir als Frauen. Im Gewerbeverein haben sie lange gebraucht, bis sie „Frau Bolten“ gesagt haben.
Und wie hat die Familie reagiert?
Nicki B. Mein Vater ist schon tot, und meine Mutter akzeptiert mich mittlerweile. Aber abgefunden hat sie sich damit nicht. Für sie bin ich immer noch der Norbert. Zu ihrem 80. Geburtstag kam ich das erste Mal im Rock. Meine Mutter hatte Angst davor. Aber ihre Freunde haben gut reagiert. Seither ist es einfacher.
Marion B. Toll finde ich, dass einer ihrer Brüder gesagt hat, er habe jetzt eine Schwester.
Wie geht Ihr Sohn damit um?
Nicki B. Unser Sohn ist behindert. Er ist 29, aber auf dem geistigen Stand eines Vierjährigen. Wir wissen nicht, was er versteht. Manchmal sagt er, dass er zwei Mamas hat, dann sagt er wieder Papa zu mir.