Reportage: Robin Szuttor (szu)
Wie gingen Sie mit Krisen um?
Martina G. Für mich war es schwieriger, ich war ja immer in der Defensive. Wenn ich ihn bei Pfarrfesten oder in der Kirche gesehen habe, ging’s mir danach immer schlecht. Wie er in seinem Beruf aufging. Wie alle um ihn herumscharwenzelten, während ich die achte, neunte Geige spielte. Unter der Woche saß ich in meiner Studentenbude und hatte richtige Angststörungen. Wenn ich ihn abends mal nicht erreichen konnte, bin ich schier Amok gelaufen. Manchmal rief ich in meiner Panik meine Eltern an: Geht doch mal schnell zum Pfarrhaus vor und schaut, ob sein Auto dasteht! Mein Vater meinte dann: „Ich glaub’, du spinnst a weng.“
Frank G. Wir waren uns so nah und doch so fern. Ich habe auf Hochzeiten von der Liebe gepredigt, doch selbst durfte ich nicht lieben. Alle paar Wochen kam wieder so ein Punkt, wo wir auf irgendeinem Baumstumpf saßen und heulten wie die Schlosshunde.
Hatten Sie Angst, Martina zu verlieren?
Frank G. Einerseits hatte ich das Gefühl: Da wartet jemand, der echtes Interesse an dir hat. Andererseits kamen wir oft an unsere Grenzen, und ich fragte mich, wie viel Martina noch aushalten kann.
Martina G. Mein Selbstbild unterschied sich immer mehr von dem Bild, das andere von mir hatten. Die Leute in Ansbach fragten sich schon: Wieso kommt die eigentlich als Studentin immer noch jedes Wochenende heim? Hat die einen Elternkomplex?
Frank G. Einer aus der Gemeinde fragte mich mal: Können wir nicht jemanden finden für die Martina?
Martina G. Nach jahrelangem Auf und Ab und zahllosen Tränen beschlossen wir, das ewige Versteckspiel zu beenden. Der Zeitpunkt sollte nach meinem Referendariat sein. Als Hauptschullehrerin hätte ich uns dann finanziell über Wasser gehalten.
Frank G. Im Oktober 2010 war der Termin beim Bischof. Ich erzählte ihm meine Geschichte. Anfangs war er wie ein Seelsorger. Aber als er merkte, wie ernst es mir war, schwenkte er um zum Kirchenrechtler. Er gab mir noch ein paar Tage Bedenkzeit.
Dann kam es zur Suspendierung?
Frank G. Beim nächsten Termin saß ich vor einem Vierergremium, es herrschte eine kühle Gerichtsatmosphäre. Man fragte mich: „Sind Sie bereit, im Zölibat zu leben?“ Ich sagte: Das kann ich nicht. Dann wurde alles ordentlich beurkundet. Als ich den Raum verließ, war ich schon kein Pfarrer mehr. Das hat mich innerlich schon noch mal getroffen. Aber als ich schließlich draußen auf der Straße stand, merkte ich zum ersten Mal, wie frei ich mich fühlte.
Wie nahm es Ihre Gemeinde auf?
Frank G. Ich wollte mich nicht einfach so aus dem Staub machen. Wir luden zum Abschied in die Kirche ein, sie war bis auf den letzten Platz gefüllt. Martina und ich gingen nach vorne. Noch bevor wir ein Wort sagen konnten, standen die Leute auf und applaudierten. Minutenlang. Das war sehr berührend.
Martina G. Es gab auch welche, die warfen uns vor, sie sieben Jahre belogen zu haben. Aber nur wenige.
Wie reagierten Ihre Eltern?
Martina G. Meine waren ja schon früh eingeweiht und standen immer hinter uns.
Frank G. Mein Vater war schon gestorben. Mit meiner Mutter gab es arge Diskussionen. Einmal meinte sie: „Willst du wegen einer Geiß die ganze Herde verlassen?“ Sie sah meine Weihe als Erfüllung ihres Lebens. Aber sie trug meine Entscheidung dann mit. Martina G. Es war ein Schicksalsschlag für sie. Aber menschlich hat sie mich gemocht.
Wie ging es weiter?
Frank G. 2012 heirateten wir. Natürlich nur standesamtlich, weil ich ja keine Sakramente mehr empfangen darf. Martina wurde Lehrerin in Neu-Ulm. Ich hatte großes Glück, dass ein Ulmer Bestatter mich als Trauerredner anstellte. Da bin noch heute.
Martina G. Ich war so froh darüber. Ich hatte Angst vor stummen Vorwürfen, falls er keine neue Aufgabe findet. Und ich hatte auch Angst, niemals so toll sein zu können, wie man ja eigentlich zu jemandem sein muss, der alles für einen aufgibt.
Hat sich Ihr Glauben verändert?
Martina G. Nur meine Einstellung zur katholischen Kirche. Ich bin ausgetreten. Frank G. Ich nicht. Mein Glauben hat überhaupt nicht gelitten. Unsere Kinder sind auch getauft.
Martina G. Frank hat es nie so gesehen, dass seine Liebe zu mir Verrat an Gott ist. Für ihn war es immer eine menschengemachte Struktur, die uns im Wege stand. Gegen Gott wäre ich nicht angekommen.
Frank G. Ich bin sicher: Gott ist auf unserer Seite.