Seit Fernsehformaten wie „Let’s Dance“ oder „Stepping Out“ verzeichnen Tanzschulen Zulauf. Es gibt aber auch Orte, an denen Paare einfach so im Standard- oder Lateintanz über das Parkett schweben können – sogar unter freiem Himmel.

Stuttgart - Noch beobachten sie nur. Aber sobald ihr Tangokurs läuft, wollen sich Andreas und Karin ins Geschiebe, Gekreuze und Gekreise stürzen, das da hinter dem pittoresken Zäunchen in vollem Gange ist. Während die einen es unter dem bunt gestreiften Dach des Pavillons im Höhenpark Killesberg langsam im „Paso Basico“, dem Grundschritt, angehen, geben sich die anderen Fortgeschrittenem hin. Auf dem hölzernen Boden vollzieht eine Damen mit Leidenschaft ihre Achter, Ochos genannt, dort dreht sich ein Paar im korrekten Giro und hier sind allerlei Voleos oder Colgadas auszumachen. Zur Tangoversion von Erik Saties berühmter Klavierkomposition „Gymnopédie“ hakeln sich Unterschenkel gekonnt durch die Luft, kippen Oberkörper auf elegante Art und Weise weit voneinander weg. „Scheint eine eingeschworene Gemeinschaft zu sein“, kommentiert Andreas begeistert. „Allein das Zuschauen macht schon Spaß!“

 

Dass die professionelle Puppenspielerin und Clownin Eliszi, die selbst gerne tanzt, im Pavillon ihres Jahrmarkttheaters über den Sommer seit einer Dekade schon Tangoabende veranstaltet – bei schlechtem Wetter im Spiegelzelt –, hat das Paar erst kürzlich erfahren. „Es gibt kaum Orte, an denen man als Paar Standardtanz ausüben kann, immerhin für Tango gibt es was“, sagt Karin, und weiter: „Das ist dafür ein wunderschöner Ort mit Flair!“

Das Tangozelt ist längst kein Geheimtipp mehr

So sehen das auch die „Regulars“, die Stammgäste. Nach Anita, Martin, Stefan, Rainer und wie sie alle heißen, gibt es „keinen romantischeren Tanzort mit Ausblick auf die Stadt“. „Auch als Frau allein findet man Tanzpartner, alles ist locker, auch Frauen tanzen miteinander“, so Anita, die genau wie der Rest der Truppe ihre Nachnamen nicht in der Zeitung lesen muss. Schließlich geht es hier ums Tanzen und nicht um Formalitäten.

Einst ein Geheimtipp, hat sich Eliszis „Tangozelt“ längst zum Ort des Austausches über Tanz entwickelt – Swingabende werden hier außerdem angeboten. „Aber Stuttgart ist eine richtige Tango-Hochburg“, schwärmt Rainer. Und er zählt auf: Im Salida an der Viehofstraße 5 in der Nähe des Schweinemuseums werde jeden Samstagabend der Milonga gepflegt, in der Tanzkantine Am Wallgraben 142 in Vaihingen am Sonntag. Aber auch im LaloTango an der Böblinger Straße 32a im Stuttgarter Süden, im Tangoloft an der Hackstraße 77 im Stuttgarter Osten und im Tango Ocho in den Wagenhallen treffe man sich. In letzterem locke einmal im Monat die Sonntags-Milonga, sagt Rainer. Am 10. Oktober folgt dort zudem der Herbstball und vom 9. bis 11. November gibt es die argentinischen Tangotage. Das Loft gibt ebenso einen Tangoball – am 24. Oktober.

Kaum mehr Tanztees in Cafés und Restaurants

Darauf freut sich schon Martine. Indes würde sie auch gerne wieder andere Standards gepflegt praktizieren. „Da gibt es weniger Angebote – außer, du bist sowieso in einer der Tanzschulen aktiv, die machen immer wieder Abende.“ Schön sei aber immerhin, dass die Tanzkantine auch einmal im Monat am letzten Freitag eine Standard- und Latein-Tanzparty veranstalte, bei der auch andere Tanz- und Musikwünsche erfüllt würden.

Beim Tanzkreis Stuttgart der Katholischen Hochschulgemeinde könne man mittwochs im Rupert-Mayer-Haus loslegen. „Das Angebot ist toll! Es richtet sich an alle, aber vor allem geht es an Studis und Azubis, weniger an meine Altersklasse weit über 50“, sagt die Französin schmunzelnd, die seit 30 Jahren im Ländle lebt. Sie bedauert, dass Tanztees in Cafés und Restaurants kaum mehr zu finden seien.

Im Restaurant im Kaufhof wird geschwoft

Jens Kupfernagel, Restaurantchef bei Galeria Kaufhof an der Eberhardstraße, sieht das genauso und richtete einen solchen vor fünf Jahren ein: Jeden Freitag von 15 bis 18 Uhr kann man bei ihm das Tanzbein in allen Stilrichtungen schwingen, während in anderen Etagen zur selben Zeit ganz munter geshoppt wird. „Clubs zielen auf die Zwanzigjährigen ab. Wir wollten den Best Agern etwas bieten – und bei uns ist es wirklich immer voll.“ Micha, der mit Keyboard und Gitarre die Musik macht, passe sich den Wünschen der Gäste an. „Ob Foxtrott, Line-Dance, Country, nach Jahreszeit auch mal Weihnachtliches, es ist ein Riesenspaß für uns alle, um das Wochenende einzuläuten.“

Ähnliches ist aus dem Rudolfs zu hören. Immer wieder samstags geht es im Restaurant des Treffpunkts Rotebühlplatz rund. Ob Rumba, Cha-Cha-Cha, Jive, Wiener Walzer – wer mag, kann sich durch das gesamte Repertoire der Standard- und Lateinstile tanzen. Ein DJ legt auf und bei kleinen Unsicherheiten steht Standard- und Lateindozentin Cornelia Kriegler bei Schritt und Tritt mit Rat und Tat auf charmante Art zur Seite – das nächste Mal wieder am 31. Oktober von 19.30 Uhr an.

Auch Swingfans kommen in Stuttgart auf ihre Kosten

Ohne Coach, aber begeistert und hemmungslos kann auch noch bis Oktober in den Mittleren Anlagen des Schlossgartens geschwoft werden: Jeden Sonntagnachmittag spielen im Biergarten Musiker auf. „Wenn das Wetter schön ist, schwingen viele Paare gemeinsam ihre Hüften“, heißt es dort dann.

Dass Swing und Lindyhop in Stuttgart zunehmend wieder gepflegt wird, dafür wollen sich die Mitglieder des im Jahr 2005 gegründeten Vereins SwingKultur Stuttgart einsetzen. Sie bieten nicht nur Kurse und Workshops an, sondern veranstalten auch Partys an Orten in und um Stuttgart, etwa in der Zachersmühle Adelberg oder in der Landeshauptstadt bei Eliszis Jahrmarktstheater auf dem Killesberg, im Kap Tormentoso, in der Jazz Hall oder im Kulturwerk Ost. Dort lautet denn auch wieder kommenden Mittwoch, den 23. September, die Devise: „Swinging Wednesday“.