Schon immer wurden die Menschen von ihrer Umgebung beeinflusst. Je nach klimatischen Bedingungen gestaltete sich ihr Dasein. In Tübingen erforschen Wissenschaftler nun genauer, wie unsere Vorfahren von ihrem Umfeld geprägt wurden.

Stuttgart - Die Analyse von Volker Mosbrugger ist schonungslos: „Die Menschen haben den Weg der Nachhaltigkeit verlassen und sich in gewisser Hinsicht zu ökologischen Parasiten entwickelt“, stellt der Generaldirektor der Frankfurter Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung fest. Anlass war das erste Symposium des Zentrums für humane Evolution und Paläoumwelt, das von der Senckenberg Gesellschaft und der Uni Tübingen getragen wird. Dabei gehen die Paläontologen der Frage nach, wie die Umwelt den Menschen geprägt hat – und umgekehrt.

 

In einem interdisziplinären Ansatz wollen sich die Forscher der Frage vor allem auf drei Gebieten nähern: Menschen als ein Produkt sich ändernder Umwelten, das biologische und geologische Wirken der Menschen und das Entstehen der Anthroposphäre, also der menschgemachten Umwelt wie etwa die Verwendung von Feuer, sowie die „Selbstdomestizierung“ im Zusammenhang mit der biokulturellen Evolution. Für Mosbrugger ist es das wichtigste Ziel des in Tübingen ansässigen Forschungszentrums, ein evolutionäres Verständnis für uns selbst und für unser Zusammenleben mit der Natur zu entwickeln – und, ganz im Sinne der Senckenberg Gesellschaft, aus der Vergangenheit Lehren für die Gegenwart zu ziehen.

Mit der Frage, wie sich klimatische Veränderungen in der Vergangenheit auf unsere Vorfahren ausgewirkt haben, beschäftigt sich unter anderem der Paläobiologe Friedemann Schrenk vom Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt. Er plädiert dafür, dass sich die Paläoanthropologie ganzheitlich diesem Forschungsgebiet nähert, also die Erde als Lebensraum sieht, in dem seit jeher unsere Vorfahren bis hin zum modernen Menschen mit ihrer Umwelt interagieren und sie beeinflussen. Wie Schrenk plädierten auf der Tagung auch andere Wissenschaftler dafür, das Umfeld – also Lebensräume, Klima, Flora und Fauna – der damaligen menschenartigen Wesen besser zu erforschen, weil nur so ein umfassendes Verständnis für die Evolution des Menschen entstehen könne.

Ein neues Fachgebiet entsteht

Ein wichtiges Ergebnis dieser Erkenntnis ist das noch neue Fachgebiet, das Schrenk Human Paleobiomics nennt. Dabei geht es um die Mechanismen, die zu Veränderungen im Organismus geführt haben. Um möglichen prähistorischen Zusammenhängen auf die Spur zu kommen, will sich Schrenk dem Komplex Mensch und Umwelt verstärkt experimentell nähern. So schildert er zum Beispiel Arbeiten an den Knochen eines 26-jährigen Fischers am afrikanischen Malawisee. Bei ihm haben die Forscher über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg einen Zusammenhang in der Wachstumsrate der feinen Knochenlamellen und dem in dieser Gegend gefallenen saisonalen Regen gefunden.

Mit diesem Wissen um typische Wiederholungsintervalle beim Aufbau der langen menschlichen Knochen könnte man sich auch prähistorischen Fragestellungen nähern, hofft Schrenk. Und er berichtet von einer etwa 1,5 Millionen Jahre alten Knochenprobe des menschenähnlichen Wesens Paranthropus robustus aus einer südafrikanischen Höhle, bei der sich ein 28-tägiger Langzeitrhythmus im Knochenwachstum zeigte. Natürlich wäre es möglich, dass diese regelmäßig wiederkehrenden Veränderungen die weiblichen Stoffwechselphasen innerhalb einer Mondphase widerspiegeln. Doch Schrenk bleibt auf dem Boden der Tatsachen: „Wir haben derzeit keine Idee, was das bedeutet – aber es muss etwas bedeuten“, meint er.

Natürlich beschäftigten sich die Paläontologen auf der Tübingen Tagung auch mit der Frage, wie die Menschen von Afrika kommend die Welt erobert haben – und was die Faktoren waren, die zur Ausbreitung unserer Vorfahren geführt haben. Dabei zeigen die jüngsten Forschungsergebnisse und Modelluntersuchungen, dass der Mensch mehrfach den Weg aus Afrika in die übrige Welt gefunden hat. Eine interessante Erkenntnis dabei: es könnte sich lohnen, verstärkt in Südasien nach möglichen Spuren unserer Urahnen zu suchen.

Und wie sieht es mit der Besiedelung Europas aus? Hier geht der Tübinger Paläontologe Nicholas Conard der alten Frage nach, warum die Neandertaler ausgestorben sind – nachdem sie im Zeitraum von etwa 300 000 bis vor 30 000 Jahren gelebt hatten. Immer wieder werden Klimaveränderungen als Ursache vermutet. Doch Conard ist sich sicher, dass die Neandertaler smart genug waren, um im eurasischen Eiszeitalter ganz gut leben zu können. Zudem hatten sie in den Jahrtausenden zuvor viele Umweltveränderungen überstanden. Die modernen Menschen waren dagegen vor etwa 45 000 Jahren aus Afrika nach Europa gekommen – und den Neandertalern in vielen Dingen überlegen. Sie ernährten sich vielfältiger, darunter von Fischen, kleinen Säugern und Geflügel. Und sie waren kulturell aktiver, indem sie zum Beispiel Flöten bauten. Doch all das erklärt nicht, warum die Neandertaler ausgestorben sind. Immerhin haben sie sich zuvor zumindest gelegentlich mit modernen Menschen eingelassen: Davon zeugt auch heute noch ein 2,5-prozentiger Anteil von Neandertalergenen in uns.