Die palästinensischen Christen sind eine bedrängte Minderheit, die viele Repressionen erdulden muss – ob in Gaza, Bethlehem oder Jerusalem.

Gaza-Stadt - Die Gäste kommen. Konstantin Dabbagh, 63, hat sich in Schale geworfen: hellgrauer Sonntagsanzug, passender Schlips, dazu eine silberne Krawattennadel. Mit seinen weiß melierten Schläfen und dem gestutzten Schnauzer verkörpert er den Kavalier alter Schule. "Schuhe ausziehen ist unnötig, wir sind nicht in einer Moschee", bittet er galant-ironisch ins Wohnzimmer. Dass es sich um die gute Stube einer christlichen Familie handelt, ist unübersehbar. An der Wand hängt ein Madonnenbild. Auf Beistelltischen stehen eine Krippe aus Holz, eine zweite aus bunten Gipsfiguren sowie eine nachgestellte Abendmahlszenerie.

 

Ehefrau Samira, 64, reicht selbst gebackene, mit Datteln gefüllte Weihnachtsplätzchen. Sie stammt aus einer alteingesessenen Gaza-Familie griechisch-orthodoxer Christen. Anders ihr Mann, der in Haifa aufwuchs und 1948, während des israelischen Unabhängigkeitskrieges, als Zehnjähriger mit seinen Eltern im letzten Zug nach Gaza kam. Konstantin Dabbagh erzählt davon als Erstes.

Er erinnert sich noch gut, wie seine Mutter, weil sie mit dem Schlimmsten rechnete, auf der Taufe seines damals drei Monate alten Bruders bestand, bevor sie das Haus in Haifa verließen. Als palästinensische Flüchtlinge hätten sie genauso gut im Libanon oder im Westjordanland landen können. Aber weil sie hier Verwandte hatten, sind sie im Gazastreifen gestrandet - ausgerechnet.

"Wir fühlen uns hier zu Hause"

In Seitun, einem besseren Viertel in Gaza-Stadt, hat der Vater 1953 ein Haus mit Garten gebaut. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind die Nachbarn Moslems. Die 1500 palästinensischen Christen, zu denen Konstantin und Samira Dabbagh gehören, machen gerade mal ein Promille der Gesamtbevölkerung in Gaza aus. Eine Minderheit, die weiter schrumpft. "Ich hätte auch emigrieren können", sagt Dabbagh, der bis zu seiner Pensionierung dem Rat der Kirchen in Nahost vorstand.

Drei der längst erwachsenen sechs Kinder leben im Ausland, in Dubai, England und Rumänien. Nur zwei der Töchter sind in Gaza verheiratet, eine dritte wohnt im Westjordanland, in Beit Sahur bei Bethlehem. "Aber in unserem Alter denkt man nicht mehr ans Wegziehen. Wir fühlen uns hier zu Hause. Das ist unser Platz, hier haben wir unsere Freunde".

Auch die sind großenteils moslemisch. "Selbst an Weihnachten", fügt Dabbagh lächelnd hinzu, "sind die meisten, die mir ein frohes Fest wünschen, Muslime." Mahmud Sahar, einer der bekanntesten Hamas-Führer, sei ebenfalls aus diesem Anlass schon vorbeigekommen. Nein wirklich, beteuert Dabbagh, "auf offizieller Ebene haben wir keine Probleme mit der Hamas".

Christen bemühen sich um Integration

Frei von Misstrauen ist das Verhältnis von Christen und Islamisten in Gaza allerdings nicht. Vor allem der brutale Mord an dem Buchhändler Rami Ajad, einem jungen missionarischen Palästinenser, brachte böses Blut. Vier Jahre ist das inzwischen her, doch unvergessen. Die Tat sollen ultrakonservative Salafisten begangen haben.

Die Hamas distanzierte sich, aber klärte den Fall nie wirklich auf. Pastor Hanna Massad und andere Mitglieder der von US-evangelikalen Kreisen finanzierten Bibelgesellschaft flohen mit israelischer Hilfe nach Bethlehem. Dabbagh verhehlt nicht, dass er von ihrem Wirken in Gaza nie etwas hielt. "Die Koexistenz ist schwierig genug. Warum muss man da noch Andersgläubige bekehren wollen?" Für Dabbagh eine Frage, die sich selbst beantwortet. Aber natürlich sei es etwas ganz anderes, jemanden umzubringen.

Die Christen in Gaza sind bemüht, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Sie betrachten sich nicht als Fremdkörper. Ihre Wurzeln reichen zeitlich weit zurück. Die älteste Kirche in Gaza-Stadt entstand im Jahr 407 nach Christi. Mit seiner Frau Samira geht Dabbagh jeden Sonntag dorthin zur Messe. Die in der Außenwand eingebauten antiken Marmorsäulen stammen vom Jerusalemer Tempelberg.

"An Festtagen ist die Kirche überfüllt"

In Relation zu den wenigen Christen sind die beiden Kirchen in Gaza-Stadt, die uralte griechisch-orthodoxe sowie die jüngere römisch-katholische, während der Gottesdienste gar nicht schlecht besucht. "Die älteren Frauen kommen immer", sagt Dabbagh. "An Festtagen ist die Kirche überfüllt."

Die Besucher suchten Trost, um der Härte des Alltags in Gaza zu entkommen. Dem beklemmenden Gefühl, eingesperrt und ohnmächtig zu sein. Unter der Abriegelung von der Außenwelt leiden gerade auch die palästinensischen Christen. Zu Weihnachten und zu Ostern erteilt Israel ihnen zwar ein paar Hundert Ausreisegenehmigungen, die zum Besuch von Bethlehem und Jerusalem berechtigen, aber selbst für ein Baby muss eine Erlaubnis beantragt werden, damit es auf die maximal zehntägige Reise mitdarf.

16- bis 35-Jährige müssen indes zu Hause bleiben. Eine strikt angewendete Regel, die auch eine der Dabbagh-Töchter, deren Mann und einen Enkel trifft, der vor Kurzem 16 Jahre alt geworden ist. Weihnachten im Kreis der gesamten Familie bleibt für die Dabbaghs auch in diesem Jahr ein unerfüllter Wunsch.

Bethlehem

Alle Jahre wieder: die Häuserfassaden am Krippenplatz vor der Geburtskirche sind weihnachtlich geschmückt, die Lichterketten gespannt. Was tut man nicht alles für die Pilger und Touristen. Viele leben vom Geschäft mit der frohen Botschaft: die Olivenholzschnitzer und Andenkenhändler, die Reiseführer und Restaurantbesitzer. Doch die Aussichten sind trübe. Mitri Raheb, 48, Gemeindepfarrer der evangelischen Weihnachtskirche, mag da überhaupt nichts schönreden.

"Bethlehem", sagt er, "ist von drei Seiten eingeschlossen." Die Mauern sind für jeden eine ungeheure Belastung. Gerade erst hat Israel 700 Hektar im Norden Bethlehems konfisziert. "Wir fühlen uns wie in einer Sackgasse", sagt Raheb. Da helfe auch nicht, dass Deutschland fünf Millionen geben wolle, um den christlichen Charakter zu erhalten.

Die Geburtsstadt Jesu war früher mehrheitlich christlich. Die 25000 verbliebenen Christen machen heute allenfalls noch vierzig Prozent in Bethlehem aus, wenn man die Dörfer Beit Jala und Beit Sahur einrechnet und die Flüchtlingslager außen vor lässt. Raheb wirkt abgespannt. Ganz der Protestant, der sich nicht schont. Der nächste Termin wartet schon, eine Ausstellungseröffnung im Gemeinde- und Kulturzentrum Diyar, das er in den vergangenen Jahren aufgebaut hat und das seinesgleichen sucht. Aus allen Teilen des Westjordanlandes kommen junge Palästinenser zu den Kursen - auch die lange Fahrt mit den ständigen Kontrollen an den Checkpoints halten sie nicht ab.

Provokationen für die arabischen Christen

Dem Pfarrer liegt an der Integration von Moslems und Christen. Ihm gefällt, dass seine beiden Töchter moslemische Mädchen zu ihren besten Freundinnen zählen. Er sagt, Fundamentalismus sei nicht nur eine islamische Erscheinung, sondern "eine Flucht in eine heile Welt, weil die Menschen nicht in der Lage seien, das globale Geschehen zu begreifen". Und doch macht das offensive Vorgehen der Salafisten vielen arabischen Christen Angst.

Selbst in Nazareth in Israel, der Stadt, wo Jesus aufwuchs, tauchten kürzlich Plakate auf dem Platz vor der Basilika auf. "Islam ist der einzige Weg in den Himmel", hatten die Radikalen darauf gepinselt. "Eine Provokation, bestimmt für die arabischen Christen", urteilt der Politologe Wadie Abunassar. Die Stadtverwaltung ließ sie hängen, zumal sich niemand beschwerte.

Unter den 70.000 Einwohnern des alten Nazareth gibt es zwar fast genauso viele Christen wie Moslems. "Aber wer wagt schon Anzeige gegen die Salafisten zu erstatten?" Die könnten einem am Ende gefährlich werden, weil die Polizei sie doch nie verhaftet", sagt der Katholik. Nur nütze es nichts, das eigene Schicksal zu beklagen. "Man muss Gott und sich selbst vertrauen."

Jerusalem

Stadt der drei Weltreligionen. Vor hundert Jahren war hier noch jeder Vierte ein Christ. Heute sind es 1,5 Prozent. "Wir sind in einer Identitätskrise, eingequetscht von beiden Seiten, Moslems und Juden." Peter Abu Schanab, 57, ist ein Querdenker. Der Architekt spricht offen aus, was gerne verschwiegen wird: "Wir Jerusalemer Christen sehen uns als Palästinenser, aber nicht wenige versuchen, an einen israelischen Pass zu kommen, weil sie die Hoffnung aufgegeben haben, dass sich der Nahostkonflikt noch lösen lässt."

Mit seinem eisgrauen Haarzopf fällt Abu Schanab auch in Jerusalem auf. Groß geworden ist er im christlichen Viertel der Altstadt. In seiner Kindheit habe er mit dem Vater jedes Jahr einmal die Ibrahimi-Moschee in Hebron besucht, wo der biblische Stammesvater Abraham begraben liegen soll. "Heute verlangt niemand mehr nach diesem Recht." Abu Schanab zuckt mit den Schultern. "Die Juden sind an der Macht und die Moslems im Aufwind. Aber ich empfinde die gleiche Passion für dieses Land wie sie." Als winzige Minderheit nehmen sich die Christen immer wieder zurück.

Wie sehr, zeigt ein Phänomen, das erst kürzlich durch einen couragierten kanadischen Priester bekannt geworden ist. 18 Monate lang besuchte Narek Garabidian das theologische Seminar im armenischen Altstadtviertel. Auf dem Weg war er immer wieder von jüdischen Ultraorthodoxen angespuckt worden. Bis es ihm eines Tages reichte und er, ein ehemaliger Fußballspieler, zwei junge Übeltäter beim Kragen packte.

"Ich kann unser Glück kaum fassen"

Den beiden, ganz erschrocken, tat die Sache auf einmal furchtbar leid. Später berichteten Seminarkollegen, dass sie alle, bis hin zum armenischen Erzbischof, solche Spuckattacken regelmäßig erlebt hätten. "Jedem, der in der Altstadt im Talar rumläuft, ist das schon einmal passiert", bestätigt der Franziskanerpater Pierbattista Pizzabella.

Ist die christliche Gegenwart im Heiligen Land eine ständige Leidensgeschichte? Wohl kaum. Keiner der Befragten in Gaza-Stadt, Bethlehem und Jerusalem mag sich vorstellen, woanders zu leben. Und inzwischen wird seitens der Kirchen und der Unesco einiges getan, um das Bleiben zu erleichtern, nicht nur mit spirituellem Zuspruch. "Wir müssen anpacken und bauen", hat Pater Pierbattista, der Vermögensverwalter von Terra Sancta, als Losung ausgegeben. Die Stiftung restauriert 600 Wohnungen im christlichen Viertel.

Heruntergekommene Behausungen, in denen die Decken bröckeln und die Wasserleitungen lecken, ein Knochenjob. Jeden Sack Bauschutt, jeden Zentner Zement, jeden Karton voller Kacheln schleppen die Arbeiter auf ihrem Buckel durch die engen Jerusalemer Altstadtgassen. Gerade ist die Wohnung der Sayehs dran, sie ist direkt hinter der Grabeskirche gelegen. Er ist neunzig Jahre alt und gelähmt, sie wenig jünger, aber viel rüstiger. "Ich kann unser Glück kaum fassen", sagt die alte Dame mit einem Strahlen übers Gesicht. Bis Weihnachten sollen Küche und Bad fertig sein.

Christen in der arabischen Welt

Konfessionen Schätzungsweise 15 Millionen Christen leben heute in der arabischen Welt. Mehr als ein Dutzend Konfessionen sind vertreten: Armenier, Assyrer und die äthiopische Kirche sowie Kopten, Katholiken, Protestanten, Maroniten, Griechisch-Orthodoxe, Russisch-Orthodoxe und einige mehr. Ihre Wurzeln reichen weit zurück. Die älteste christliche Gemeinde siedelte sich im 1. Jahrhundert nach Christi Geburt in Jordanien an.

Exodus Doch in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sinkt die Zahl der arabischen Christen stetig. Bedingt durch Kriege und Konflikte in Nahost wandern mehr und mehr aus - nach Südamerika, aber auch nach Europa und in die USA. Außerdem ist die Geburtenrate unter den oft gut gebildeten Christen niedriger als unter ihren moslemischen Landsleuten. Libanon hat mit knapp vierzig Prozent den höchsten christlichen Bevölkerungsanteil. Die meisten sind maronitische Christen. Ägypten und Syrien nehmen mit neun bis zehn Prozent Christen Platz zwei ein. Wegen Diskriminierungen sind viele der koptischen Christen aus Ägypten geflüchtet.

Heiliges Land Israel und die palästinensischen Gebiete gelten zwar als das Heilige Land und weisen die wichtigsten christlichen Stätten auf wie die Grabeskirche in Jerusalem, die Geburtskirche in Bethlehem und die Verkündungsbasilika in Nazareth. Aber die arabischen Christen machen nur zwei Prozent aus. Allerdings kamen mit den russischen Einwanderern in den neunziger Jahren einige Tausend Christen neu ins Land.