Der palästinensische Architekt und Zeichner Samir Harb war ein halbes Jahr lang Stipendiat der Stuttgarter Akademie Schloss Solitude. Seine Kunst erzählt auch von der Gewalt in seiner Heimat.

Stuttgart. - Der palästinensische Architekt und Zeichner Samir Harb war ein halbes Jahr lang Stipendiat der Akademie Schloss Solitude. Zum Abschied zeigt er seine Ausstellung „Gegen den Strich ziehen“.
Herr Harb, Sie haben Architektur in Ramallah im Westjordanland studiert, sind dann für ein Studium der Bildenden Kunst nach London gezogen und zeichnen heute Comics. Wie kommt es zu diesem Wandel?
Nach dem Studium in Ramallah habe ich im Westjordanland im Bereich der Architektur und Landschaftsplanung gearbeitet. Ich konnte meine Ideen jedoch nie umsetzen. Die israelische Besatzungspolitik oder auch europäische Geldgeber haben ständig die Bauprojekte durchkreuzt. Das war sehr frustrierend. Es gab so viele gesetzliche Einschränkungen, dass niemand mehr wusste, wo gebaut werden konnte und wo nicht. Als Architekt sucht man sich dann Raum zum Entfalten – den hab ich in Comics gefunden.
Als Architekt haben sie einen unkonventionellen Zugang zu Comics. Um was geht es in Ihren Geschichten?
In erster Linie geht es natürlich um Architektur. Ich stelle mir die Frage, warum sich Territorien oder Gebäude verändern. Das können politische, ökonomische oder kulturelle Gründe sein. Dabei gehe ich vor wie ein Archäologe und analysiere Landkarten, historische Dokumente und Ereignisse, die zu Transformationen führen. Diese Veränderungen wirken sich schließlich unmittelbar auf das Zusammenleben der Menschen aus. Ich interpretiere diese Auswirkungen und entwickle daraus meine Geschichten.
Zählen zu diesen Gründen auch Zerstörung oder Annexion?
Ja. Dazu gibt es beispielsweise die Geschichte eines Familienvaters, dessen Haus im Westjordanland auf israelischem Militärbefehl hin drei Mal abgerissen werden musste, weil der Familienvater es drei Mal wieder aufgebaut hat. Das Haus stand in der Zone C des Westjordanlandes, das eigentlich im Laufe der Jahre in palästinensische Autonomie überführt werden sollte. Das ist bis heute nicht der Fall – also protestierte der Familienvater auf seine Art.

„Comics erzählen Geschichten“

 
Verstehen Sie Architektur als eine Form von Politik?
Architektur ist immer Politik. Die aktuelle Bombardierung des Gazastreifens wie auch der Siedlungsbau im Westjordanland, all das ist eine Machtdemonstration Israels. Betrachtet man das Ganze aus der Vogelperspektive, schrumpft auf palästinensischer Seite die Architektur, während sie auf israelischer Seite expandiert. Als Architekt sehe ich diese Form von Aggression als ein politisches Instrument.
Ist ein Comic das geeignete Medium für solch ernste Themen?
Comics erzählen Geschichten. Zu meiner Zeit als Architekt habe ich sehr viele Erfahrungen gemacht, die ich teilen möchte. Die Geschichte mit dem Familienvater zeigt, dass das Ganze manchmal ein bizarrer und tragikomischer Teufelskreis ist, der den Israel-Palästina Konflikt seit Jahren beherrscht. Der Comic bietet mir die Möglichkeit solche Erfahrungen sozialkritisch aufzuarbeiten.

Termin
Die Ausstellung wird am Donnerstag, den 24. Juli, um 19 Uhr in der Akademie Schloss Solitude/Studio 15 eröffnet und ist dann bis zum 10. August samstags und sonntags von 10 bis 17 Uhr und zusätzlich nach Vereinbarung zu sehen.

Das Gespräch führte Berkan Cakir.