Feines Essen, derbe Späße: die neue Schau im Stuttgarter Palazzo macht Spaß und schmeckt manchmal nach mehr.

Lokales: Matthias Ring (mri)

Stuttgart - Wer hin und wieder ins Varieté geht – so lange man dies in Stuttgart noch kann –, der hat irgendwann alles gesehen, was man auf eher beengtem Raum unter einer nicht sehr hohen Kuppel machen kann. Auch im Palazzo kann man im zehnten Jahr in Stuttgart die Bühnenwelt nicht neu erfinden, aber letztlich dreht es sich immer um Dramaturgie und Timing – und die sind in der Show „Fools for Love“ so gut, dass vier Stunden wie im Flug vergehen können.

 

Eine gute Wahl sind die personifizierten Running Gags: zum einen Amy G., die schon Shows am Broadway hatte, ihr Soloprogramm heißt „Entershamement“. Schämen oder nicht schämen – das ist auch die Frage im Palazzo, denn die bierselige Dame rülpst und zotet sich durchs Programm, stürzt sich auf die Herren und stilisiert sich als recht gewöhnlich. Dabei kann sich Amy G. ungewöhnlich gut ausdrücken mit ihrer Gesangsstimme und ihrem ganzen Körper, auch wenn sie gerne das Gegenteil vorgibt; am extremsten in ihrer Nummer als leicht bekleidetes Rollergirl mit Ukulele und Doppeldeutigkeiten im schönsten Denglisch wie „mein G-String ist verrutscht“.

Zum anderen taucht der große Peter Shub – man kann ihn auch aus dem Fried-richsbau kennen – immer wieder auf, um Dinge oder Teile seiner selbst zum Eigenleben zu erwecken. Schade nur, dass er seine stumme Kunst mit dem einen oder anderen Altherrenspruch entzaubert. Denn der Witz ist, dass er das eingeschaltete Mikrofon, das er mit viel Geraschel und Getöse auspackt, eigentlich gar nicht braucht, um das Publikum Tränen lachen zu lassen.

Still staunen kann man bei den Berlinern Kati & Philipp, die mit Akrobatik am Vertikaltuch und ihrer Hand-auf-Hand-Nummer mehr an die Kraft der Poesie als an Muskelgeprotze glauben. Auch die zwei Spanier von Zahir Circo überzeugen mit Körperbeherrschung, allerdings ebenso laut, schnell und slapstickhaft wie der kleine, dicke Russe Konstantin Mouraviev in seinem Rhönrad. Ziemlich verrückte Sachen machen kann der Belgier Sébastien Nicaise mit einem ziemlich simplen Gerät, wobei man immer Angst haben muss, dass sich sein Diabolo endgültig verselbstständigt und einem um die Ohren fliegt. Für mehr anmutige Momente sind die Frauen zuständig: die Österreicherin Christine Gruber in der Luft und die schwedischen Zwillinge des Duos Vilja mit gespiegelten Verbiegungen am Boden.

Dank des Regisseurs Maximilian Rambaek bleibt es nicht bei einer bloßen Nummernrevue, sondern das Ensemble fügt sich zu schrägen Gruppenbildern zusammen, mit denen der nächste Gang angekündigt wird, denn, richtig: zu Essen gibt es im „Gourmet-Theater“ ja auch. Im 22. Jahr mit drei Sternen geehrt, hat sich Harald Wohlfahrt ein Vier-Gang-Menü ausgedacht, das in dieser Größenordnung – acht Köche schicken pro Show 1600 Teller raus – vor allem funktionieren muss.

Oft schmeckt es auch, etwa die Kabeljauschnitte und die glasierte Perlhuhnbrust oder die Rote-Bete-Suppe für Vegetarier. Enttäuschend sind allerdings die Artischockenravioli mit Alibi-Trüffel und muffigem Aroma sowie die meisten Teile des Quartetts von der Crème brûlée. Trotz aller Verheißungen: Haute Cuisine spielt sich natürlich weiterhin woanders ab – genießen im weitesten Sinne kann man einen Abend im Palazzo dennoch.

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