So hatten sich das die Bauherren eines neuen Büroblocks in London nicht gedacht. Die nach innen gewölbten Fassaden ihres Walkie Talkie Towers sollten architektonisches Aufsehen erregen. Nun erregen sie Empörung – aus anderem Grund.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Als Martin Lindsay vor ein paar Tagen Eastcheap, eine Straße im Finanzbezirk der City of London, hinunterspazierte, fiel ihm ein Fotograf auf, der von einem am Rinnstein geparkten Wagen eine Aufnahme machte. „Was ist denn hier los?“ forschte Lindsay nach. Der Fotograf erwiderte: „Schauen Sie sich bloß das Auto hier mal an. Dessen Besitzer wird nicht besonders glücklich sein.“

 

„Das ist mein Auto“, sagte Lindsay. Und: „Ach du liebe Güte.“ Sein Jaguar XJ wies schwere Verbrennungen auf. Außenspiegel, Türen und Jaguar-Zeichen hatten zu schmelzen begonnen. „Ich konnte es nicht glauben“, sagt Lindsay. Eine Stunde nur hatte er den Wagen im Schatten eines im Bau befindlichen Wolkenkratzers nahe der U-Bahn-Station Monument geparkt. Der Schatten aber war kein Schatten, sondern erwies sich als eine Strahlenfalle: Die elegante Glasfront des neuen 37-stöckigen City-Wunders 20 Fenchurch Street hatte den Schaden verursacht.

Das Gebäude, das im Volksmund Walkie Talkie heißt, besticht durch zwei nach innen gewölbte Fassaden. Es weitet sich am unteren und am oberen Ende. Mit seinen konkaven Kurven sucht es sich aus dem neuen Wolkenkratzer-Gewimmel in der City herauszuheben. Eben diese Kurven aber lösen nun Verstörung aus.

Die Strahlen lassen sogar Teile eines Jaguars schmelzen

Denn nicht nur Martin Lindsays Jaguar hat Verbrennungen ersten Grades erlitten. Auch andere Fahrzeughalter haben interessante Schäden gemeldet. Der Fahrer eines Vauxhall-Vivaro-Kleintransporters, Eddie Cannon, fand allerlei Plastik im Wageninnern, einschließlich dem Amaturenbrett, in Auflösung begriffen: „Der Wagen war in entsetzlichem Zustand.“ Selbst eine Plastikflasche Limonade hatte es erwischt: „Die sah wie frisch aus dem Ofen aus.“ Als er in den überhitzten Wagen kletterte, sei es ihm vorgekommen, als finde er sich unter gleißendem Scheinwerferlicht wieder – eher wie in der Wüste Nevadas bei einer Begegnung der dritten Art als im überwiegend grauen Alltag Londons.

Auch ein Radfahrer hatte Grund zum Klagen: Sein schönes, kurz mal abgestelltes Rennrad qualmte buchstäblich. Einem Banker, der sich unwissentlich in die gebündelten Strahlen gestellt hatte, schmolzen an einem besonders sonnigen Tag angeblich die Schuhsohlen unter den Füssen. Autofahrer und Passanten, die in die Strahlenfalle gerieten, mussten die Augen schließen, um nicht geblendet zu werden.

Reporter, die mit Thermometern anrückten, kamen selbst bei einer Spätsommer-Temperatur von 20 Grad an einem der letzten Tage in London auf eine Lufttemperatur von fast 50 Grad vor dem Walkie-Talkie-Gebäude. Verschreckt sperrte die Straßenverwaltung der City drei öffentliche Parkplätze im zentralen Zielgebiet der „Strahlenkanone“.

Zwei Stunden am Tag ist es brandgefährlich

Die Bauherren des 240 Millionen Pfund teuren Büroblocks, der zum Jahresende fertig gestellt sein soll, baten zerknirscht um Entschuldigung für das Phänomen, das bisher niemand bedacht hatte. Es komme ja nur etwa zwei Stunden am Tag vor, dass die Sonne in einem unguten Winkel zum Walkie Talkie stehe, versuchten sie die Panik einzudämmen. Und das auch nur zwei bis drei Wochen lang. Schließlich lebe man nicht in Las Vegas oder in Dallas – wo Leuten in ähnlicher Situation schon die Haare versengt worden sind.

Aber das war empörten Londonern wenig Trost. Mit solchen Problemen will man sich in der Square Mile nicht plagen müssen. Um in Zukunft nicht wie Hühnchen geröstet zu werden, wollen die City-Beschäftigten unverzüglich bauliche Änderungen sehen. Experten haben geraten, den betreffenden Glasfassaden durch Sandstrahlung ihre gefährliche Reflexion skraft zu nehmen. Leider würden die Büro-Fenster damit undurchsichtig – was nicht ganz im Sinne der Sache ist.

Martin Lindsay, der Besitzer des beschädigten Jaguar, hat derweil sein „angebranntes“ Auto schnell wieder in Stand setzen lassen. 946 Pfund (gut 1100 Euro) hat ihn die Reparatur gekostet. Erleichtert vermerkt Lindsay, dass die Bauherren anstandslos bezahlen wollen: „Ich weiß wirklich nicht, was meine eigene Versicherung von dieser Sache gehalten hätte.“