Auf seiner Reise nach Kolumbien begeistert der Papst vor allem die Jugend. In Bogota entpuppt sich der Papst als moderner Rebell – das gefällt nicht allen.

Korrespondenten: Klaus Ehringfeld (ehr)

Bogota - Alba Pinzón und ihre drei Freundinnen waren mehr als zwei Tage unterwegs, sind Tag und Nacht im Bus gesessen, haben kaum geschlafen. „Aber das fällt uns leicht, schließlich geht es um den Papst“, sagen sie. Die kolumbianische Studentin von 21 Jahren und ihre Mitstreiterinnen stammen aus Pasto im südlichen Departement Nariño, nahe der Grenze zu Ecuador. „19 Stunden im Bus bis Bogotá“ hierher. „Und nun trotzen wir Kälte und Müdigkeit in der ersten Reihe“, sagt die junge Frau mit den langen schwarzen Haaren und lächelt. „Es gibt kaum Worte, das zu beschreiben. Ich fühle den Franziskus im Herzen“, sagt Alba.

 

Es ist früh am Morgen an der Plaza Bolivar, dem Hauptplatz von Bogotá. Schon um Mitternacht haben die Sicherheitskräfte begonnen, den Zugang zum historischen Zentrum der kolumbianischen Hauptstadt weiträumig abzusperren. Im frühen Morgengrauen, das Thermometer zeigte kaum mehr als fünf Grad, kamen die ersten jungen und nicht mehr ganz so jungen Katholiken auf den Platz. Mehr als hunderttausend wollten beim ersten großen Event der Papstreise in Kolumbien dabei sein, aber die Plaza Bolivar, um die sich der Senat, das Bürgermeisteramt, die Kathedrale und der erzbischöfliche Palast gruppieren, bietet nur Platz für 22 000 Menschen. Sie kamen von weit her, aus den abgelegenen Provinzen des Landes, aber auch aus den Nachbarländern Ecuador und Venezuela. Und sie feierten Papst Franziskus bereits, bevor er überhaupt zu ihnen sprach: „Papa, te queremos“ – Papst, wir lieben dich“ oder Papa – hermano“, Papst – Bruder“ riefen sie und klatschen mit riesigen Schaumstoffhänden in den kolumbianischen Nationalfarben gelb, blau und rot unaufhörlich in die Hände. „Er soll unserem Land Hoffnung geben“, sagt Alba Pinzón. „Die brauchen wir so dringend, vor allem wo ich herkomme. Da gibt es so viel Gewalt und Kriminalität“.

Die Kritik der Linksrebellen

Kurz vor elf Uhr dann der ersehnte Moment. Papst Franziskus erscheint auf dem Balkon des Erzbischöflichen Palastes und aus Tausenden Kehlen kommt ein spitzer Schrei, als handele es sich um einen Popstar. Länger als die geplanten zehn Minuten wendet sich der Pontifex an die jungen Leute. Der argentinische Papst flirtet mit ihnen, spricht ihre Sprache, redet über Fußball, ermuntert sie und gibt ihnen das Gefühl, dass in ihren Händen die Zukunft dieses geschundenen Landes liegt. „Lasst euch nicht die Hoffnung rauben, fliegt hoch und träumt groß“. Der Pontifex ist in seinem Element, das merkt man. Auf seinen Reisen wendet er sich immer besonders an die jungen Menschen, in ihnen sieht er die Kräfte der Veränderung. Das ist nicht anders in Kolumbien, das so verkrustet ist und in dem sich die Eliten so sehr an die Macht klammern. „Helft uns, dass wir und nicht an den Schmerz und die Vernachlässigung gewöhnen“.

Schon Stunden vorher hatte Franziskus den kolumbianischen Mächtigen die Leviten gelesen. Vor geladenen Gästen und im Beisein von Präsident Juan Manuel Santos forderte er am frühen Morgen, die strukturellen Ursachen der Gewalt zu beseitigen. Er erntete bescheidenen und höflichen Applaus, aber es kann den Vertretern aus Politik, Wirtschaft und bester Gesellschaft nicht gefallen haben, dass der Papst im Grunde das gleiche kritisierte, was auch diejenigen immer gegeißelt haben, die sich im Laufe der vergangen 50 Jahren den Linksrebellen von FARC und ELN angeschlossen haben. In Bogotá entpuppte sich der Papst als ein moderner Rebell, dessen Waffe die Worte und nicht die Gewalt ist.

Nur der Kirche vertrauen alle

Wer in diesen Tagen vor und während des fünftägigen Papstbesuchs in Kolumbien mit den Menschen spricht, spürt eine reservierte Freude, eine nachdenkliche Erwartung und die Hoffnung, dass Papst Franziskus eine Veränderung und wahrhafte Versöhnung für Land bringen kann. Die Kolumbianer sind nüchterner, aber auch stolz. „Die Welt schaut jetzt auf unser Land, das gefällt mir“, sagte Jhon Morente, ein junger Restaurator zwei Tage vor der Ankunft des Papstes. Er lässt die Augen über die Kathedrale schweifen, die in den vergangenen Wochen aufgehübscht wurde. Die Kuppel erstrahlt in neuen, kräftigem rot. „Wir hoffen aber, dass der Papst auch über den Frieden redet, wir brauchen eine Wiedergeburt nach so vielen Jahren des bewaffneten Konflikts.“ Morente ist 25 Jahre alt. Er kennt seine Heimat nur als Land im Bürgerkrieg.

Eine verheerende Bilanz

250 000 Tote, 100 000 Vermisste und sieben Millionen Vertriebene sind der bittere Saldo eines Konflikts, der 53 Jahre gedauert hat und noch immer nicht ganz zu Ende ist. „Ihr Kolumbianer sollt Euch als Brüder und nicht als Feinde begegnen“, mahnte Franziskus am Montag aus dem fernen Vatikan in seiner Grußbotschaft nach Kolumbien. Nach Einschätzung von Experten stehen die Chancen nicht so schlecht, dass der Papst auf seiner Mission in dem südamerikanischen Land Erfolg hat. „ Die Kirche ist die einzige Institution, der alle Seiten in Kolumbien vertrauen“, sagt zum Beispiel Pater Michael Heinz, Hauptgeschäftsführer des bischöflichen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat in Essen. Zwar betont die Katholische Kirche Kolumbiens, die Visite des Papstes sei ein Pastoralbesuch wie alle anderen auch, aber jeder weiß, dass die Reise eine hohe politische Bedeutung hat.

Die FARC ist nun eine Partei

Das Land befindet sich in einem historischen Moment seiner Geschichte. Der Frieden mit den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC), der ältesten und größten Guerilla Amerikas, ist seit einem Jahr unterzeichnet. Auch wenn die Implementation holpert, so kommt sie doch voran. Gerade erst hat sich die Rebellengruppe in eine politische Partei verwandelt, die schon bei den nächsten Wahlen antritt. Mit der kleineren Linksguerilla ELN (Nationales Befreiungsheer) verhandelt die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos seit Monaten in Ecuador ein Friedensabkommen. Und pünktlich zum Besuch des Papstes vereinbarten die Konfliktparteien am Montag eine viermonatige Waffenruhe ab dem 1. Oktober. Sie soll zunächst bis Mitte Januar halten. Es ist das erste Mal in 50 Jahren Konflikt, dass beide Seiten sich auf eine Waffenruhe verständigen.

Waffen sind kein Weg

Der Schritt war sicher auch ein Willkommensgeschenk seitens der ELN an den Papst, denn die marxistische Guerilla wurde dereinst von vielen linken aktiven Christen geprägt. Der bekannteste unter ihnen war der Befreiungstheologe Camilo Torres, der 1966 bei seinem ersten Gefecht ums Leben kam, aber heute noch das Idol von Linken und progressiven Katholiken in ganz Lateinamerika ist. Torres schloss sich der ELN an, weil er nur im bewaffneten Kampf wirkliche Chancen auf Veränderungen in Kolumbien sah. Papst Franziskus würde ihn heute vielleicht sogar verstehen. Zu gravierend waren die Ungleichheiten, zu stark und veränderungsresistent die Eliten des Landes. Das ist heute kaum anders, nur wissen inzwischen alle, dass der bewaffnete Kampf kein Weg zur Verbesserung ist.

Wer füllt das Vakuum?

Aber das Entwicklungs- und Einkommensgefälle zwischen Stadt und Land ist in Kolumbien nach wie vor riesig, Landraub durch die lokalen Eliten vielerorts Routine. Und der Staat schafft es auch nach Abschluss des Friedensprozesses mit den FARC nicht, schnell genug mit Verwaltung, Schulen, Polizei und Militär in die Zonen einzurücken, welche die Guerilla im Zuge des Friedensabkommens verlassen haben. Dieses Vakuum füllen andere bewaffnete Akteure aus – die ELN, ultrarechte Paramilitärs, Drogenbanden. Alba Pinzón und ihre Freundinnen sind zufrieden mit der Rede von Franziskus. „Er hat uns aus der Seele gesprochen“. Hoffentlich könne der erste Besuch eines Papstes in Kolumbien seit 31 Jahren wirkliche Veränderungen bringen. „Wir haben so viel gelitten“.