Manche Parasiten haben unheimliche Talente: Sie greifen das Gehirn ihrer Opfer an - und manipulieren deren Verhalten zu ihrem Vorteil.

Stuttgart - Ratten wissen ganz genau, wie das Böse riecht. Klar: nach Katze. Sobald ihnen dieser Duft in die Nase steigt, schlagen sie einen möglichst großen Bogen. Millionen von Rattengenerationen sind mit dieser Strategie gut gefahren. Doch manchmal versagt der gesunde Nager-Verstand. Dann fühlen sich die Tiere von Katzenurin geradezu magisch angezogen und schnüffeln ausgiebig daran. Im Kopf der betroffenen Ratten hat dann ein Parasit namens Toxoplasma gondii das Kommando übernommen; er bringt sie dazu, gegen alle Regeln der Vorsicht zu verstoßen. Wie aber hebelt der Einzeller die angeborene Angst der Tiere aus?

 

Auf diese Frage haben Patrick House und Robert Sapolsky von der Stanford-Universität gemeinsam mit Ajai Vyas von der Technischen Universität Nanyang in Singapur nun eine erstaunliche Antwort gefunden. Offenbar geraten bei den Ratten zwei Triebe durcheinander, berichten die Forscher im Online-Fachjournal "Plos One": Statt an Flucht scheinen die befallenen Nager eher an Sex zu denken. "In mancher Hinsicht weiß Toxoplasma gondii mehr über die Neurobiologie der Angst als wir", staunt Robert Sapolsky. "Denn es kann sie gezielt beeinflussen."

Verhaltensweisen werden bestimmt

Es ist nicht der erste Fall, in dem Wissenschaftler auf Parasiten mit beinahe unheimlichen Talenten stoßen. Etliche Arten manipulieren ihre Opfer geschickt. Otto Seppälä und seine Kollegen von der Universität Jyväskylä in Finnland haben beispielsweise die durchaus hinterhältigen Machenschaften des Saugwurms Diplostomum spathaceum aufgedeckt. Der nistet sich in den Augen von Fischen ein und löst eine Art Grauen Star aus. Die schuppigen Patienten können dann nur noch schlecht sehen und lassen sich daher leichter fangen als ihre gesunden Artgenossen. Und genau darauf legt es der Parasit an. Denn er vermehrt sich im Verdauungstrakt von Möwen und anderen geflügelten Fischfressern.

Andere Parasiten können noch mehr, als ihrem Opfer nur eine körperliche Behinderung zufügen. Wie winzige Puppenspieler übernehmen sie die Kontrolle über Teile des Nervensystems und steuern so bestimmte Verhaltensweisen. Ram Gal von der Ben-Gurion-Universität im israelischen Beer Scheva und Frederic Libersat von der Universität des Mittelmeeres im französischen Marseille haben zum Beispiel beobachtet, wie die tropische Juwelwespe (Ampulex compressa) Küchenschaben in willenlose Marionetten verwandelt.

Das Opfer kann nicht entkommen

Der Insekten-Horrorfilm beginnt, wenn die Wespe ihrem Opfer einen gezielten Stich in den Kopf verpasst (siehe Bild). Dabei injiziert sie einen Giftcocktail direkt in jene Nervenknoten, die den Krabbeltieren als Gehirn dienen. "Die Schabe verwandelt sich dadurch sozusagen in einen gehorsamen Zombie", berichten die Forscher im Fachjournal "Communicative & Integrative Biology". Das angegriffene Tier kann sich zwar durchaus noch bewegen, tut das aber nicht mehr aus eigenem Antrieb. Ohne jeden Verteidigungs- oder Fluchtversuch lässt es zu, dass ihm die Wespe beide Fühler abbeißt und einen kräftigen Schluck Schabenblut zu sich nimmt.

Dann packt die Angreiferin ihre willenlose Marionette an einem Fühlerstumpf und führt sie zu ihrem Nest. "Die Schabe läuft dabei mit ganz normalen Bewegungen", berichten die Forscher. "Wie ein Hund an der Leine." Im Nest angekommen, legt die Wespe der Schabe ein Ei ans Bein, versiegelt den Eingang und verschwindet. Das hilflose Opfer kann nicht entkommen und muss warten, bis es von der schlüpfenden Larve aufgefressen wird.

Auch bei anderen Insekten und manchen Krebsen gelingt es Parasiten mitunter, die Kontrolle über das Verhalten zu übernehmen. Bei Säugetieren dagegen ist das schwieriger, denn sie haben eine effektive Schranke zwischen Blutkreislauf und Gehirn. Toxoplasma gondii hat damit jedoch keine Probleme. Zwei Wochen nach der Infektion hat sich der Einzeller im Rattenhirn ausgebreitet. Patrick House und seinen Kollegen ist aufgefallen, dass er sich dabei mit Vorliebe in der Amygdala einrichtet, einer Hirnregion, die bei Emotionen eine Rolle spielt. Dort manipulieren sie die Ratten so, dass sie möglichst einer Katze vors Maul spazieren. Denn dort kann sich der Erreger selbst sexuell vermehren.

Infektion mit Toxoplasma

Erreger: Toxoplasma gondii ist ein Einzeller, der mit dem Erreger der Malaria verwandt ist. Er befällt Katzen, als Zwischenwirte aber auch andere Wirbeltiere einschließlich des Menschen. Menschen infizieren sich über Kontakt mit Katzenkot. Der Parasit kann aber auch über diesen Kot auf Nutzpflanzen und dann in den Körper von Schweinen und Schafen gelangen.

Krankheit: Bei Erwachsenen mit gesundem Immunsystem verläuft eine Infektion normalerweise ohne Symptome. Wenn sich Frauen während der Schwangerschaft zum ersten Mal infizieren, kann das Kind geschädigt werden.