Wann lohnt sich der Kauf von Aktien, wann der Verkauf? Der Wirtschaftswissenschaftler Martin Weber setzt auf Indexfonds, Allianz-Mann Hans-Jörg Naumer vertraut Fondsmanagern.

Stuttgart - Steigende Aktienkurse lösen bei Anlegern nicht automatisch unbeschwerte Freude aus. Denn sofort schließt sich die nächste Frage an: Steigen die Kurse weiter, so dass es sich lohnt, weitere Aktien zu kaufen, oder ist jetzt der richtige Zeitpunkt für den Ausstieg? – getreu einer „Bauernregel“ für Anleger: Sell in May and go away (sinngemäß: Verkaufe im Mai und halte dich von der Börse fern). Zwei Experten haben beim Parkettgespräch an der Stuttgarter Börse vor Lesern der Stuttgarter Zeitung sehr unterschiedliche Antworten gegeben: Martin Weber, Inhaber des Lehrstuhls für Bankbetriebslehre an der Uni Mannheim, und Hans-Jörg Naumer, Leiter Kapitalmarktanalyse der Anlagegesellschaft Allianz Global Investors.

 

Eigentlich scheint die Lage klar zu sein, und Moderator Andreas Scholz, Marktbeobachter an der Börse Stuttgart, beschreibt sie zu Beginn der Diskussion mit vielen Beispielen ; eines davon: „Wir sind im neunten Jahr eines Bullenmarktes,“ sagt Scholz, „und gerade liegt die Macron-Rallye, die schon nach dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Frankreich begonnen hat, hinter uns.“ Auch wenn sich die Kurse gemessen am Dax seit 2012 verdoppelt haben, so traut sich Naumer doch die Prognose zu, dass es sich trotz einiger Warnsignale noch lohnt, weiter Aktien zu kaufen. Das gesamtwirtschaftliche Bild ist nach seiner Einschätzung noch intakt.

Ganz einfach: Wer Geld hat, sollte es anlegen

Da widerspricht Weber. Der 65-Jährige, der als Experte für Behavioral Finance gilt, also die Psychologie der Anleger erforscht, hat vor zehn Jahren mit einem Buch Furore gemacht: „Genial einfach investieren“. Entsprechend einfach fällt seine Antwort auf die Frage von Moderator Scholz aus, in welcher Marktphase wir uns gegenwärtig befinden. Aus Weber Sicht wird sich das erst im Nachhinein feststellen lassen, so wie stets, sei es nach dem Platzen der Dotcom-Blase oder nach dem Ausbruch der Finanzkrise im Anschluss an die Lehman-Pleite. Webers Ratschlag setzt anderswo an: Wer Geld übrig hat, soll es anlegen, wer Geld braucht, sollte Papiere aus seinem Depot verkaufen. Die Entwicklungen der Vergangenheit, so sagt Weber, lassen sich nicht in die Zukunft hochrechnen. Naumer freilich bezeichnet es als gefährlich, „wenn ein Anleger blind kauft, nur weil Geld da ist“.

Webers „genial einfache“ Empfehlung lautet: Ein Privatanleger dürfe nicht erwarten, den Markt schlagen zu können; Anleger sollten schlicht dem Markt folgen und auf diese Weise auch die Handelsgebühren sparen, die bei der Jagd nach vermeintlich todsicheren Tipps fällig werden. Der Wissenschaftler hält eine Drittelung der Geldanlage – Aktien, Renten und Rohstoffe; abgekürzt: Arero – für sinnvoll, wobei die Anleger nach seiner Meinung die Depots nicht managen (lassen) sollten; seine Empfehlung: Fonds kaufen, die ganz automatisch einen bestimmten Index und damit den Markt abbilden. Weiterer Vorteil: Der Anleger spart Gebühren.

Von der Charttechnik sind die beiden Experten nicht überzeugt

Naumer versucht die Ehre der Anlageprofis bei den Fondsgesellschaften zu retten: „Ich bin für aktiv gemanagte Fonds“, sagt er. Von einer starren Verteilung auf Anlagekategorien hält der Allianz-Manager nichts, er plädiert für ein jeweils eigenes Risikoprofil. Naumer selbst würde stark in Aktien investieren und dafür den Anteil von Staatsanleihen zurückschrauben. Und: „Ein Fondsmanager muss das verschieben können.“ Damit kann er Weber aber nicht überzeugen: „Die Anlageprofis sind nicht besser als die Märkte“, sagt der Wissenschaftler.

Einig wiederum sind sich die beiden mit dem Rat an Privatkunden, die Geldanlage möglichst breit zu streuen. Eine weitere Gemeinsamkeit: Von der Charttechnik zur Aktienanalyse halten beide nicht viel.