Nicht wenige Landtagsabgeordnete profitieren von fragwürdigen Extrazahlungen aus den Fraktionskassen. Hatte sich das Bundesverfassungsgericht dies nicht anders vorgestellt?

Stuttgart - Anfang Mai will Parlamentspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) die fünf Fraktionsvorsitzenden im baden-württembergischen Landtag zu einem Gespräch über eine Reform der Altersversorgung der Abgeordneten einladen. Der erste Anlauf war Mitte Februar gescheitert – nur eine Woche, nachdem Grüne, CDU und SPD ihren Plan offenbart hatten, den Abgeordneten wieder eine komfortable staatliche Pension zu ermöglichen. Doch zu offenkundig war der Versuch, die Öffentlichkeit in einem Blitzverfahren zu übertölpeln. Das Unterfangen stieß noch aus einem anderen Grund auf Unverständnis: Im Zuge der 2007 auf den Weg gebrachten Parlamentsreform waren die Diäten um 30 Prozent erhöht worden zum Ausgleich dafür, dass die Abgeordneten – mit Ausnahme der Bestandsschutz genießenden Parlamentarier, die vor 2003 in den Landtag gewählt worden waren – künftig Eigenvorsorge betreiben. Dafür erhielten sie fortan einen Extrabetrag, der aktuell bei 1679 Euro liegt. Die Abgeordnetenentschädigung, auch Diät genannt, beträgt 7616 Euro.

 

In der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen wird indes, dass viele Abgeordnete erhöhte Diäten erhalten. Dies geschieht, obwohl das Bundesverfassungsgericht Wert darauf legt, „die Abgeordneten in Statusfragen formal gleich zu behandeln“. So heißt es im zweiten Diätenurteil vom 21. Juli 2000. Am Beispiel des Landtags von Thüringen mühte sich der zweite Senat damals, die ins Kraut geschossene Praxis der Vergabe von so genannten Funktionszulagen einzudämmen. Eine zusätzliche Entschädigung, so das Karlsruher Diktum, sei nur für drei besonders hervorgehobene, für das Parlament in seiner Gesamtheit wichtige Ämter zulässig: für den Parlamentspräsidenten, dessen Stellvertreter sowie die Fraktionsvorsitzenden. Die Richter warnten, andernfalls drohe die Gefahr, „dass das parlamentarische Handeln am Leitbild einer ‚Abgeordnetenlaufbahn‘ und dem Erreichen einer höheren Einkommensstufe ausgerichtet“ werde.

Klandestine Zahlungen über die Fraktionskassen

Dass die Zusatzentschädigungen respektive Funktionszulagen wenig Aufmerksamkeit erfahren, liegt auch daran, dass die Abgeordnetengesetze darüber vielfach keine Auskunft geben. Die Zahlungen laufen über die – aus Steuergeld gespeisten – Fraktionskassen. So sah das Abgeordnetengesetz in Baden-Württemberg bis zur Reform der Funktionszulagen im Jahr 2010 eine Zusatzentschädigung nur für den Landtagspräsidenten und – in reduzierter Form – dessen Stellvertreter vor. Die anderen Zahlungen flossen in klandestiner Weise über die Fraktionskassen. In der Neuregelung bezieht sich der Landtag zwar auf das Bundesverfassungsgericht, doch hält er es für nicht geklärt, ob sich das Urteil nur auf direkte Zahlungen nach dem Abgeordnetengesetz bezieht – oder auf Zahlungen aus den Fraktionszuschüssen. So lautet die Auskunft der Parlamentsverwaltung.

Dagegen schreibt der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim in seinem kürzlich erschienenen Buch „Die Hebel der Macht und wer sie bedient“, den Fraktionen könne nicht erlaubt sein, was im Parlament verboten sei.

Solcher Kritik beugte der Landtag in seiner Neuregelung 2010 vor, indem er die Funktionszulagen aus den Fraktionskassen zu bloßen, verfassungsrechtlich zulässigen „Aufwandsentschädigungen“ umformulierte. Dies mag angehen, wenn etwa die Grünen ihren zwölf Arbeitskreisvorsitzenden monatlich 200 Euro zusätzlich zahlen. Bei den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden sieht das schon anders aus. Davon gibt es bei den Grünen vier, von denen jeder auf die Diät von 7616 Euro einen Aufschlag von 1500 Euro erhält. Das macht 9116 Euro. Gleiches gilt für die beiden Vizefraktionschefs bei der FDP. Die SPD zahlt an ihre vier Vizefraktionschefs derzeit 1400 Euro, was monatlich 9016 Euro ergibt. Arbeitskreisleiter erhalten bei SPD und FDP anders als in der Vergangenheit keine Extrazahlungen mehr.

CDU und AfD mauern

Während die Grünen diese Zahlungen offen kommunizieren, SPD und FDP jedenfalls kein Staatsgeheimnis daraus machen, lehnen CDU und AfD Auskünfte über die Höhe der funktionsbezogenen Einzelzahlungen unter Hinweis auf die Fraktionsautonomie ab. Die CDU verweist pauschal auf den jährlichen Geschäftsbericht, dem lediglich die Gesamtsummen zu entnehmen sind. Der jüngste stammt vom Frühjahr 2016, bezieht sich also auf die ablaufende vergangene Legislaturperiode. Damals war die CDU noch stärkste Fraktion im Landtag, sie weist aber auch die mit Abstand höchsten Ausgaben für so genannte Aufwandsentschädigungen aus: Auf die Vizefraktionschefs entfielen insgesamt 151 402 Euro, auf die Vorsitzenden der Arbeitskreise 175 877 Euro. Das deutet auf saftige Zuwendungen, die deutlich höher lagen als das, was die anderen Fraktionen derzeit an Zulagen verausgaben. Der Landesrechnungshof teilte mit, im Rahmen der aktuellen Prüfung zur Wahlperiode 2011 bis 2016 prüfe er auch die Höhe der von den Fraktionen gewährten Aufwandsentschädigungen nach dem Fraktionsgesetz.

Dabei liegt ja der Gedanke nahe, wer mehr leiste, verdiene mehr Geld. So heißt es etwa im 2013 vorgelegten Bericht der vom Bundestag eingesetzten Schmidt-Jortzig-Kommission (benannt nach dem früheren Bundesjustizminister von der FDP), die Vergütung von Funktionsstellen erhöhe den Anreiz, „eine stets mit einem erheblichen Mehraufwand verbundene Stelle zu übernehmen“. Das Landesverfassungsgericht von Schleswig-Holstein befand in einem Urteil über die Rechtmäßigkeit einer Funktionszulage für Parlamentarische Geschäftsführer (PGF), das Maß der Arbeitsbelastung sei zwar für die Bemessung der Abgeordnetenentschädigung unerheblich, bejaht die Funktionszulage dennoch unter Hinweis auf die „aus der Fülle der ohne die Verfolgung eigener politischer Ziele anfallenden, zwingend zu erbringenden Aufgaben“.

Nach dem baden-württembergischen Abgeordnetengesetz erhalten die parlamentarischen Geschäftsführer eine um 50 Prozent erhöhte Diät. Das sind 11 424 Euro. Die Landtagspräsidentin und die Fraktionsvorsitzenden bekommen eine um den Faktor 1,25 erhöhte Diät, also 17 136 Euro. Entsprechend höher liegen auch die Beiträge für die Altersvorsorge. Dieser Personenkreis bekommt auch eine höhere Aufwandsentschädigung.