Weil sich die Parteien nicht auf eine gemeinsame Regierung verständigen konnten, müssen die Spanier erneut an die Urnen. Das mögliche Ausscheiden Großbritanniens aus der EU spielte bisher keine Rolle – nun aber doch.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Madrid - Ministerpräsident Mariano Rajoy trat am Freitagmorgen um halb zehn vor die Presse und verlas eine Erklärung. Die spanische Regierung nehme „mit Traurigkeit“ davon Kenntnis, dass das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen will. Aber er wolle eine „Botschaft der Gelassenheit und Ruhe“ verbreiten: Zunächst einmal, zumindest während der kommenden zwei Jahre, bleibe alles wie bisher. Spaniens Wirtschaft besitze „solide Fundamente“, um alle denkbaren Turbulenzen der Zukunft zu überstehen. „Wenn dies vor einigen Jahre geschehen wäre, hätte uns das in die Pleite führen können.“

 

Mit dem letzten Satz machte der konservative Regierungschef in seiner „institutionellen Erklärung“ dann doch Wahlkampf. Am Sonntag wählt Spanien ein neues Parlament, und Rajoy wollte die Spanier daran erinnern, dass ihr Land während seiner viereinhalbjährigen Regierungszeit die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten überstanden hat. Kann sein, dass die Botschaft verfängt. Rajoys Volkspartei (PP) ist noch immer die stärkste politische Kraft Spaniens. Bei den jüngsten Wahlen im Dezember erhielt sie knapp 29 Prozent der Stimmen, die Umfragen sagen ihr einen leichten Zugewinn voraus. Und in unsicheren Zeiten – wie nun mit dem Brexit – sehnen sich viele nach Stabilität.

Die politischen Verhältnisse drohen auch nach der Neuwahl unklar zu bleiben

Rajoys stärkster Herausforderer ist die Linkspartei Podemos, die damit rechnen kann, an den Sozialisten (PSOE) vorbeizuziehen und zweite Kraft in Spanien zu werden. Auch Podemos-Chef Pablo Iglesias sprach am Freitag von einem „traurigen Tag für Europa“. Podemos könnte unter der Brexit-Entscheidung leiden, weil es im eigenen Land ein Referendum befürwortet: in diesem Fall über den Verbleib Kataloniens im spanischen Staat. Die große Mehrheit der Spanier lehnt ein solches Referendum ab. Die Entscheidung der Briten hat gezeigt, dass eine Volksabstimmung mehr als eine demokratische Geste ist und dramatische politische Konsequenzen haben kann. Der Wahlkampf ist noch einmal spannender geworden.

In den vergangenen Wochen hatte der mögliche Brexit in der politischen Debatte kaum eine Rolle gespielt. Alles konzentrierte sich auf die Frage, wer die nächste Regierung bilden wird. Spanien hatte schon am 20. Dezember gewählt, doch den Parteien war es in den folgenden Monaten nicht gelungen, eine Regierung auf die Beine zu stellen. Nach den Umfragen sieht es nicht so aus, als ob die Verhältnisse mit den Neuwahlen viel klarer werden würden.

Podemos behauptet: Wir sind die Stimme des Volkes

Die einzige anstehende Neuigkeit ist das Erstarken von Podemos, die sich für diese Wahl mit der Vereinten Linken, einem Bündnis rund um die Kommunistische Partei, zusammengetan hat. Der kometenhafte Aufstieg von Podemos innerhalb der vergangenen zweieinhalb Jahre gründete sich auf ihrer populistischen Strategie: ihrer Botschaft, dass es kein Rechts und Links mehr gebe, sondern nur ein Unten und Oben, das Volk und die Elite. Und Podemos sei die Stimme des Volkes.

Während dieses Wahlkampfs hat sich Podemos-Chef Iglesias festgelegt: Seine Partei vertrete eine „neue“ Sozialdemokratie, im Gegensatz zur „alten“ der PSOE, die sich in Richtung Neoliberalismus bewegt habe. Ob die neue Strategie Erfolg hat, muss sich zeigen. Wenn die Wahlen ausgehen, wie es die Umfragen voraussagen, und sich die Politiker keinen Ruck geben, wird auch nach dem Sonntag niemand eine Regierung bilden können. Podemos bräuchte die Unterstützung der PSOE, was denkbar wäre, aber nicht ausreichend. Für eine absolute Mehrheit würden noch ein paar Sitze fehlen – etwa die der katalanischen Nationalisten, mit denen sich zwar Podemos versteht, die PSOE aber keineswegs.