Mit seinem Aufruf, bei der Bundestagswahl bestimmte Parteien zu boykottieren, hat der türkische Präsident Erdogan scharfe Kritik ausgelöst – nicht nur von deutschen Politikern.

Berlin - SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) haben den Boykott-Aufruf des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen deutsche Parteien zurückgewiesen. „Erdogan hat jedes Maß verloren. Umso mehr stehen wir an der Seite all derer, die für eine freiheitliche und demokratische Türkei kämpfen“, schrieb Schulz am Freitag im Internetdienst Twitter. Kritik an Erdogan kam auch von deutsch-türkischen und kurdischen Verbänden.

 

Der türkische Präsident hatte nach dem muslimischen Freitagsgebet in Istanbul die türkischstämmigen Wähler in Deutschland aufgerufen, bei der Bundestagswahl nicht für Union, SPD oder Grüne zu stimmen. Er begründete dies mit einer antitürkischen Politik dieser Parteien. Zu anderen Parteien äußerte sich Erdogan nicht.

„Das ist ein bislang einmaliger Akt des Eingriffs in die Souveränität unseres Landes“, sagte Gabriel den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND - Samstagsausgaben). Mit seinem Vorgehen zeige Erdogan, „dass er die Menschen in Deutschland gegeneinander aufhetzen will.“ Gabriel forderte alle Wähler in Deutschland auf, dem Versuch der Einflussnahme durch Erdogan entgegenzutreten. „Zeigen wir denen, die uns gegeneinander ausspielen wollen, dass wir dieses böse Spiel nicht mitmachen“, sagte der Außenminister. Er hob weiter hervor, in Deutschland fänden alle Menschen jedweder Herkunft das, „was Erdogan in der Türkei zerstören will: Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie“.

Kritik von türkischer und kurdischer Gemeinde

Die Türkische Gemeinde in Deutschland rief die wahlberechtigten Deutsch-Türken auf, jetzt erst recht an der Bundestagswahl teilzunehmen. „Wir brauchen keine Belehrungen in Sachen Demokratie“, sagte der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde, Gökay Sofuoglu, der Nachrichtenagentur AFP. „Die paternalistische Haltung von Erdogan, über die Türken in Deutschland verfügen zu wollen, muss aufhören.“

Als eine „Unverschämtheit ohnegleichen“ kritisierte der Generalsekretär der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Cahit Basar, die Äußerungen Erdogans. Basar äußerte die Befürchtung, dass der unter dem Einfluss der türkischen Regierung stehende deutsch-türkische Moscheeverband Ditib sowie die Erdogan-nahe Organisation UETD nun versuchen würden, den Aufruf des türkischen Präsidenten umzusetzen. Zugleich rief die Kurdische Gemeinde ihrerseits alle Deutschen kurdischer und türkischer Abstammung auf, sich Erdogans Aufruf entgegenzustellen und bei der Bundestagswahl ihre Stimmen den demokratischen Parteien in Deutschland zu geben.