Längst redet die Partei nicht mehr vom Euro. Aber das wirtschaftspolitische Programm ist neoliberal, so wie in der Gründungsphase.

Stuttgart - Bei den jüngsten Landtagswahlen in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern hat die Alternative für Deutschland (AfD) die Mehrheit erzielt – bei den Arbeitern und bei den Arbeitslosen. Eigentlich gelten diese Gruppen als angestammte Klientel des linken politischen Spektrums. Und etwas linke Rhetorik pflegt die AfD auch. So lehnt sie die Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA ab, gegen die vor einer Woche ein linkes Aktionsbündnis demonstriert hat (ohne die explizit ausgeladene AfD), und findet den Mindestlohn gut; sie setzt sich dafür ein, dass Hartz-IV-Empfänger mehr Geld ohne Anrechnung auf die Unterstützung hinzuverdienen dürfen und will im Rahmen einer Steuerreform die Grundfreibeträge erhöhen.

 

Trotzdem ist die wirtschaftspolitische Ausrichtung des AfD-Programms nach Ansicht von Gustav Horn, Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, eindeutig: „Es ist ein neoliberal ausgerichtetes Programm.“ Beispiel Steuerpolitik. Nur ganz allgemein spricht sich die AfD für „einen neuen Einkommensteuertarif mit wenigen Stufen und einen deutlich höheren Grundfreibetrag“ aus. Was damit gemeint ist, hat Parteichefin Frauke Petry mit dem Hinweis erhellt, dass sich die Partei am Stufenmodell von Paul Kirchhof orientiere, ohne es jedoch zu übernehmen.

Der Verfassungs- und Steuerrechtler, der immer wieder für ein radikal vereinfachtes Steuerrecht wirbt und vor der Wahl 2005 kurzzeitig als Bundesfinanzminister vorgesehen war, hatte 2011 diesen Tarif vorgeschlagen: drei Stufen, 15 Prozent, 20 Prozent, 25 Prozent. Niemand, auch ein Millionär nicht, müsste mehr als 25 Prozent Steuern zahlen. Noch gibt es kein AfD-Steuermodell, aber für Horn steht doch fest: „In der Summe geht es um eine massive Umverteilung von unten nach oben, trotz zum Beispiel der vorgeschlagenen Erhöhung des Grundfreibetrags“.

Soziale Wohltaten und Nationalismus

Horn sieht das Grundsatzprogramm stark geprägt von den Vorstellungen der „alten AfD“ unter dem Gründer und früheren Parteivorsitzenden Bernd Lucke, als der Kampf gegen den Euro im Mittelpunkt stand und eine marktliberale Wirtschaftspolitik propagiert wurde. Dass die Partei nach ihrer Neuausrichtung auch ein wenig nach links schielt, erklärt sich Horn so: „Das ist eine alte Strategie der Rechten, soziale Wohltaten mit nationalen Parolen zu mischen, nach dem Muster, die Deutschen müssten wieder Priorität haben.“

In der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik folgt das Grundsatzprogramm, das im Frühjahr in Stuttgart beschlossen wurde, nur in wenigen Punkten den Vorstellungen der Gewerkschaften. Als „kalt und unsozial“ hat deshalb zum Beispiel die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi den Entwurf für das Parteiprogramm beschrieben, der dann jedoch in einigen Punkten noch entschärft wurde. Ins Parteiprogramm Eingang gefunden hat die Forderung, die Bundesagentur für Arbeit aufzulösen und ihre Aufgaben auf kommunale Jobcenter zu übertragen. Ursprünglich sollte auch das Arbeitslosengeld I in der bestehenden Form abgeschafft werden; als Alternative wurde vorgeschlagen: „Dabei können private Versicherungsangebote ebenso eine Rolle spielen wie die Familie oder der Verzicht auf Absicherung zugunsten des schnelleren Aufbaus von Ersparnissen.“ Auch die über Arbeitgeberbeiträge finanzierte gesetzliche Unfallversicherung wollte die Partei nicht mehr fortführen: „Die AfD hält die gesetzliche Unfallversicherung für Arbeitnehmer nicht mehr für zeitgemäß. Es findet sich eine Vielzahl von privaten Angeboten, mit deren Hilfe Unfallrisiken angemessen abgesichert werden können.“

Die Menschen sollen länger arbeiten

Diese Vorschläge aus dem Entwurf fanden sich dann bereits im Leitantrag der Programmkommission und des Vorstands nicht mehr wieder. Im beschlossenen Programm spricht sich die Partei aber allgemein für grundlegende Reformen der Sozialversicherungen aus, denn: „Die hohen Abgaben wirken sich negativ auf die Einkommen der Arbeitnehmer aus. Auch der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands leidet darunter.“ Auch das Renteneintrittsalter will die AfD weiter erhöhen. Der Hinweis darauf steht eher unauffällig im Kapitel „Familien und Kinder“. Dort beschäftigt sich das Programm auch mit der sogenannten Demografiekrise und empfiehlt als ein Mittel dagegen „flexible Modelle einer sich parallel zum Anstieg der Lebenserwartung verlängernden Lebensarbeitszeit“.

Steuerverschwendung soll ein Straftatbestand werden

In der Steuer- und Finanzpolitik gehen die Vorstellungen der AfD nicht nur den Gewerkschaften, sondern teilweise auch den Arbeitgebern zu weit. Dass die Staatsverschuldung zurückgeführt werden soll, findet noch Zustimmung beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). „Gegen die planmäßige Tilgung von Staatsschulden spricht überhaupt nichts“, sagt Hans-Peter Klös, Geschäftsführer und Leiter Wissenschaft beim IW. „Im Gegenteil. Ein Teil unserer Probleme in Europa hat damit zu tun, dass wir wegen ausgeuferter Staatsschulden die fiskalische Handlungsfähigkeit verloren haben.“ Aber die AfD setzt sich auch dafür ein, analog zur Schuldenbremse eine verbindliche Steuer- und Abgabenbremse im Grundgesetz zu verankern. „Steuern und Abgaben sollen in Zukunft nicht mehr beliebig erhöht werden können“, heißt es.

In Kalifornien hat die Bremse für Steuererhöhungen versagt

„Das passt nicht zu einer sauberen ordnungspolitischen Ausrichtung“, sagt Klös. „Es gibt nun einmal Zeiten, in denen fiskalisch gegengesteuert werden muss“. Indirekt deckelt die Schuldenbremse die Staatsausgaben; das reicht Klös. IMK-Chef Gustav Horn erinnert daran, dass solch ein Versuch in Kalifornien schon einmal gescheitert ist. Ende der 70er Jahre setzten die Republikaner dort eine Volksabstimmung über die Steuerpolitik durch. Für Steuererhöhungen wurden in der Folge Zwei-Drittel-Mehrheiten in beiden Parlamentskammern nötig, womit Steuererhöhungen faktisch blockiert waren. „Das Ergebnis: Kalifornien geriet an den Rand des Staatsbankrotts“, sagt Horn.

Für ihn sind die Forderungen der AfD Ausdruck eines ganz bestimmten Staatsverständnisses: „Die AfD will den Staat zurückdrängen, strebt den Minimal-Staat an.“ Dazu passen auch die Forderungen im Parteiprogramm, die Erbschaftsteuer sowie die gegenwärtig nicht erhobene Vermögensteuer abzuschaffen; Umsatzsteuerbefreiungen und -ermäßigungen sollen eingeschränkt werden. Die Gewerbesteuer, die den Kommunen zusteht, soll durch die Beteiligung am Aufkommen anderer Steuern ersetzt werden, weil sie ertragsunabhängige Bestandteile hat. Dass die AfD dem Staat grundsätzlich misstraut, zeigt sich auch in der Forderung, einen neuen Straftatbestand der Haushaltsuntreue einzuführen: Das soll „die Bestrafung von groben Fällen der Steuergeldverschwendung durch Staatsdiener und Amtsträger ermöglichen“, steht im Programm.

Die AfD ist gegen den Datenaustausch der Steuerbehörden

Auf dem Gebiet der Steuerpolitik will die AfD die Hoheit des Nationalstaats erhalten und lehnt eine Vergemeinschaftung in der EU ab; das Ziel: ein Wettbewerb nationaler Steuersysteme. Bis dahin hat der IW-Ökonom keine Einwände, aber: „Dafür braucht es Transparenz und Regeln, die für alle gelten, was gegenwärtig – Stichwort Apple – noch nicht der Fall ist.“ Auch Horn verweist auf Apple, sieht darin aber den Beleg für einen schädlichen Steuerwettbewerb. „Das eigentliche Problem liegt bei einem Steuerwettbewerb, der immer zu einer Angleichung der Standards nach unten führen muss“, sagt er. „Dieses Problem ist auf nationalstaatlicher Ebene eben nicht zu lösen.“ Zur Autonomie des Nationalstaats gehört für die AfD auch, das Bank- und Steuergeheimnis wieder herzustellen. Deshalb lehnt die Partei den Austausch von Steuerdaten mit anderen Staaten ab. Das geht auch dem IW zu weit. „Am Datenaustausch der Steuerbehörden wird kein Weg vorbeiführen“, sagt Klös. Bedingung: „Das darf aber nicht so weit gehen, dass Daten von Unternehmen an die Öffentlichkeit gelangen. Transparenz ist gut, aber Geschäftsgeheimnisse müssen auf jeden Fall gewahrt bleiben.“

Dass die AfD gegen die Freihandelsabkommen Ceta und TTIP ist, hält das IW für falsch. Zu den Trägervereinen des Instituts gehört auch der Industrieverband BDI, dessen Präsident Ulrich Grillo sich deutlich von der AfD distanziert hat, weil „sie gegen den Euro, gegen Freihandel und gegen Globalisierung“ sei. Kritik am Freihandel üben auch Teile der Gewerkschaften. Aber sie wollen keine gemeinsame Sache mit der AfD machen.