Baden-Württembergs Ministerpräsident  hat auf dem Tuttlinger Parteitag versucht, die Grünen als Wirtschaftspartei zu positionieren. Für seine Asylpolitik erhielt er breite Unterstützung.

Tuttlingen - Grüne Politik hat sich schon mit vielen Themen beschäftigt, mit größeren und kleineren: mit der Rettung des Weltklimas, der Sicherung des Friedens und der Bewahrung der Bürgerrechte, aber auch mit der Liebe zum fleischfreien Essen und der Ausweisung eines neuen Radwegs zwischen Unterdorf und Oberdorf. Auf ihrem Landesparteitag in Tuttlingen nahmen die Grünen an diesem Wochenende wieder einmal ein größeres Werkstück in die Hand: Sie wollen die CDU als klassische Wirtschaftspartei ablösen. Diesen Anspruch erhob jedenfalls Ministerpräsident Winfried Kretschmann in seiner Rede zur Digitalisierung der Wirtschaft und der „Industrie 4.0“. Kretschmann sprach von einer „riesigen Chance“ für die Grünen, mit einem zentralen Zukunftsthema in die Mitte der Gesellschaft vorzustoßen.

 

Die digitale Revolution erfasse die gesamte Breite nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Gesellschaft, sagte Kretschmann. „Wer hätte vor fünfzehn Jahren noch gedacht, dass ein Jahrhundertkaufhaus wie Karstadt durch Online-Händler wie Amazon oder Ebay in die Krise geraten könnte? Wer hätte es vor zehn Jahren noch für möglich gehalten, dass eine Suchmaschine wie Google einmal Unternehmen wie Daimler und Bosch Konkurrenz machen würde?“

Kritik an der CDU

Der Landes-CDU warf Kretschmann vor, das Thema Digitalisierung völlig verschlafen zu haben. Von den wenigen Regierungserklärungen seiner drei Vorgänger im Amt des Ministerpräsidenten zum Thema Wirtschaft habe eine ausgeführt, weshalb der Verkauf der EnBW-Anteile von genialer Weitsicht künde, eine andere, weshalb der Zurückkauf der EnBW-Anteile von ebenso großer Weitsicht geprägt sei. Die Volte verfing, Kretschmann brachte mit seiner Anspielung auf die konträren Aktivitäten seiner Vorgänger Erwin Teufel (EnBW-Verkauf) und Stefan Mappus (EnBW-Rückkauf) die Delegierten hinter sich. Er blieb dabei aber nicht stehen.

Natürlich sei die CDU die klassische Wirtschaftspartei in Deutschland. Aber in ihrem Fach seien auch Homer, Shakespeare und Goethe Klassiker gewesen. „Dies heißt jedoch nicht, dass es keine modernen Schriftsteller mehr gibt“. Übersetzt auf die Wirtschaft bedeute dies: „Die Grünen sind die neue Wirtschaftspartei.“ Dass sich Kretschmann neuerdings verstärkt, zuletzt in einer Regierungserklärung, mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt, hat zwei Gründe. Bei seinen Besuchen in mittelständischen Betrieben beobachtet Kretschmann eine gewisse Verunsicherung, die sich aus der Angst speist, über das Datennetz ausspioniert zu werden. Das könne sich innovationshemmend auswirken. Zum anderen versucht Kretschmann, die Grünen politisch auf jene Felder zu führen, die als wahlentscheidend gelten. Themen wie zum Beispiel das Freihandelsabkommen mit den USA, sagte Kretschmann bei anderer Gelegenheit, müssten die Grünen offener und positiver aufgreifen.

Breite Unterstützung in der Asylpolitik

Der Regierungschef rechtfertigte auf dem Parteitag auch seine Zustimmung zum Asylkompromiss im Bundesrat im September. Die Neuregelung, welche die Westbalkanstaaten Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsländern erklärt, trat diese Woche in Kraft. Kretschmann rechtfertigte sein Stimmverhalten in einer starken Rede: „Ich habe die Verantwortung als Ministerpräsident dieses Land in dieser Frage zusammenzuhalten, und nur wer selber Kompromisse macht, kann von anderen welche erwarten.“ Die kontroverse Debatte auf dem Parteitag endete mit einer breiten Unterstützung für Kretschmanns Kurs. Für den Leitantrag des Parteivorstands stimmten 180 von 223 Delegierten. Kritiker bemängelten, mit dem Konzept der sicheren Herkunftsländer würden Flüchtlinge verschiedener Herkunft gegeneinander ausgespielt.