Die Partymeile, wie sie das Nachtleben in Stuttgart noch vor zehn Jahren geprägt hat, ist am Ende. Für die Theodor-Heuss-Straße bräuchte es dringend eine neue Vision.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Als Lutz Metzger an diesem Freitagabend den ersten Tanqueray No. 10 Gin Tonic mit einer Orangenzeste serviert, braust wie auf Bestellung der erste Ferrari mit Tübinger Kennzeichen an der Suite 212 vorbei. Der Plan für diese Nacht: ein Abschiedsspaziergang auf der Theodor-Heuss-Straße mit Lutz Metzger, der sich mit seinem Lokal von der Partymeile verabschiedet. Die Suite, eine Art Role Model für all die Club-Bar-Lounge-Hybride, die sich nach und nach an der Straße angesiedelt haben, verabschiedet sich an diesem Samstag endgültig von ihren Gästen. Statt Ausgehkultur wird hier bald Fast Food aus dem Hause Burger King serviert.

 

Dieser Wechsel auf der Theo stellt eine Zäsur da. Mit Lutz Metzger kehrt der vorletzte Gastronom aus jener Generation der Theo den Rücken, die einst den Ruf der Straße als Partymeile begründet hat. Kein Wunder, dass die Laune von Metzger an diesem Freitagabend zwischen Frust, Ärger und Wehmut wechselt. „Wenn man ehrlich ist, hängen viele ja mehr an der Erinnerung an die Suite und nicht an ihrem jetzigen Zustand“, sagt Metzger und zeigt ins Innere seines Lokals, in das sich um 20 Uhr an diesem Abend nur zwei Gäste verlieren.

Nicht gut für die Feinstaub-Quote: die Shishas an der Theo

Die Suite lief schon lange nicht mehr gut. Das Lokal war mittlerweile schlicht zu groß. „Als wir eröffnet haben, haben große Läden gefehlt. Heute sind kleine Lokale angesagt wie das Petit Coq oder das Paul & George auf der anderen Seite der Innenstadt“, erklärt Metzger den Niedergang seiner stilbildenden Melange aus Club, Bar und Lounge. Das Ende der Suite führt Metzger aber auch auf den schlechten Ruf der Theodor-Heuss-Straße zurück. Metzger begründet das mit seiner These von der Self-Fulfilling Prophecy. „Die Leute haben nur noch schlecht über die Theo gesprochen, waren aber selbst gar nicht mehr hier unterwegs. Wegen des schlechten Geredes kamen aber immer weniger gute Leute auf die Straße“, sagt Metzger.

Wie sieht es außerhalb der Suite im Spätsommer 2015 in einer Freitagnacht aus? Wir spazieren über die Partymeile. Vor dem L’Oasis werden Shishas geraucht, dass es der Feinstaub-Task-Force im Rathaus ganz anders werden dürfte. Vor der Muttermilch ist ähnlich wenig los wie vor der Suite. Rüber auf die andere Straßenseite, dabei aber acht gegeben, dass man nicht von einem der Maserati überfahren wird, die seit kurzem vor dem Trüffel-Pizza-Italiener mit der eigenwilligen Schreibweise H’ugo’s kurz vor dem Hauptbahnhof so gerne ihre Kreise drehen.

In manche Läden traut man sich nicht hinein

In der ehemaligen CDU-Zentrale hat sich das Lokal Gigi Burger breit gemacht, im One Table Club schauen zwei einsame Seelen Fußball. Es folgt das 7 Grad, das die Not der Theo zu einer Tugend gemacht hat: „Der hat Erfolg, weil er sich nicht auf eine Zielgruppe beschränkt. Dank Salsa-Abend, Studi-Nacht und anderen Events läuft der Laden“, sagt Lutz Metzger. Einer Umbenennung in 7 Zielgruppen dürfte nichts im Wege stehen.

Bei den Betreibern des 7 Grad und des Gigi Burgers findet sich ein weiterer Grund für den Wandel der Theodor-Heuss-Straße. „Früher waren wir eine Clique, heute kennt man die Betreiber der anderen Läden kaum mehr“, sagt Gunther Hausch. Er gehört wie Metzger zur Gründungsmannschaft der Theo. Die Lounge Muttermilch eröffnete er 2005, sein Club Tonstudio folgte 2007. Nach Lutz Metzgers Abgang wird Hausch der letzte der alten Theo-Wirte sein. Er hat es dann mit anderen Kalibern zu tun: Der Gigi Burger und das The Bank, das ehemalige To-12, in das wir uns später nicht hineintrauen, werden von ehemaligen Casinobetreibern geführt.

Der Traum von einer verkehrsberuhigten Theo

Gunther Hausch wünscht sich mehr Zusammenhalt unter den Wirten, er träumt davon, eine gemeinsame Initiative zu gründen, „damit über die Straße wieder besser gesprochen wird“. Hausch fordert außerdem mehr Unterstützung durch die Politik und erzählt von einem magischen Moment, den er ausgerechnet im Juni beim Evangelischen Kirchentag hatte. „Das war so schön, als die ganze Straße für einen Abend wieder ein Boulevard war. Warum kann man die Theo nicht zumindest an den Wochenenden teilweise für Autos sperren, damit man als Fußgänger nicht die ganze Zeit Angst haben muss, von Rasern überfahren zu werden?“ Wolfgang Schuster, der ehemalige Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, hatte diese Vision nach dem Sommermärchen 2006, auf dem Höhepunkt der Theo. Schuster wollte die ehemalige Stadtautobahn in eine schwäbische Antwort auf die Rambla Barcelonas verwandeln, in einen Shared Space für mehr Lebensfreude. Der Ex-OB wurde aber von den Pendlern und den Parkhaus-Betreibern schneller zurückgepfiffen, als ein getunter Sportwagen mit Doppelkennzeichen auf der Theo zum Anfahren braucht.

Ein Clubbetreiber, der sich in der grünregierten Landeshauptstadt an die Visionen eines CDU-OBs erinnert und den Kirchentag als Blaupause für eine neue Theo ins Spiel bringt – das ist eine Realität auf der Theodor-Heuss-Straße 2015. Die andere heißt Systemgastronomie. In unserer Vollmondnacht sind wir mittlerweile im Sausalitos angekommen. Im Barcode und im Rohbau, zwei der älteren Lokale auf der Theo, die auch schon lange nicht mehr von den Gründern betrieben werden, war es ruhig. Das Sausalitos, die Filiale einer Kette, brummt dagegen. Über der Bar wird uns auf einem Schild „Ein geiles Ende“ versprochen. Das Schild bezieht sich nicht auf das Ende der Theodor-Heuss-Straße, wie wir sie bisher gekannt haben, sondern auf den Umstand, dass man die Jumbo-Cocktails ab 23 Uhr hier vergünstigt bekommt.

Die Cocktail-2-go-Unkultur eines getriebenen Publikums

Weiter ins Barbee. Unter der grellen Bar befindet sich ein noch grellerer Club. Außer uns ist keiner da. „Das hat aber richtig Geld gekostet. In New York wäre das vor 20 Jahren bestimmt cool gewesen“, sagt Metzger. Historischer Exkurs: An Stelle des Barbee befand sich in den 90ern, lange vor der Theo-Wandlung, das legendäre On-U der Gebrüder Schwarz, die mit ihrem Laden Sex, Drugs und House nach Stuttgart brachten. An das On-U erinnert sich unter den Feiernden auf der Straße an diesem Abend niemand. Die Halbwertszeit der angesagten Popkulturorte ist kurz, gerade deshalb bräuchte die Theo dringend ein neues Konzept, neue Ideen.

Die jüngste Neueröffnung an der Straße ist ein rund zwei Quadratmeter großer Ausschank neben dem Lokal Floating Market, an dem man Eistee zum Mitnehmen ordern kann – gerne mit Wodka verdünnt. T-Icy hat Ende August eröffnet. Metzger freut sich. „Das ist anders, roher.“ Auf den gekachelten Verkaufsraum trifft das zu, der Rest ist aber nur ein Beleg für die Cocktail-2-go-Mentalität, die diese Straße inzwischen hat. Ein Beleg für ein getriebenes Publikum, das lieber am Samstagabend als am Freitagabend zum Feiern kommt und dann an einem Abend eine ganze triste Arbeitswoche kompensieren muss.

Im nächsten Jahr kommen Burger King und die Polizei

Wie aber geht es weiter mit der Theo? Man wird die Zeit nicht zurückdrehen können, vielleicht auch nicht wollen, sonst hätte man wieder eine hässliche Stadtautobahn ohne alles. Ein Ende der Partymeile wäre auch deshalb schlimm, weil sich Stuttgart Marketing dann einen neuen Text für seinen roten Doppeldecker ausdenken müsste. Wenn die Busse auf die Theo einbiegen, hören die Touristen momentan einen unfreiwillig komischen Dialog, in dem ein hippes Ding seinen Opa dazu auffordert, auch mal auf die Theo zum Feiern zu gehen. Ob sich das in Zukunft noch lohnt, wissen wir spätestens Anfang 2016. Dann eröffnet Burger King seine Filiale an der Theo, wenig später zieht die Polizei in ihr neues Innenstadtrevier direkt nebenan. Zyniker schlagen schon jetzt vor, einen Drive-in bei Burger King zu installieren: So könnte man die aktuelle Kernkompetenz der Straße, Fast Food und schnelle Autos, ganz wunderbar vereinen.