Zwischen Anerkennung und Missachtung: Eine Werkschau in Frankfurt würdigt den Architekten des Stuttgarter Bahnhofs.

Frankfurt/Stuttgart - Die ironischsten Drehbücher schreibt immer noch das Leben. Oder welcher Autor sonst hätte sich dieses Zusammentreffen ausdenken können? Während das Deutsche Architekturmuseum das Oeuvre des Architekten Paul Bonatz erstmals umfassend würdigt, tut sich Stuttgart mit der Zerstörung seines Hauptwerks, des Stuttgarter Hauptbahnhofs, hervor.

Hundert Jahre nach dem Bahnhofswettbewerb von 1911 erfährt Bonatz Anerkennung und Missachtung zugleich: Anerkennung von Wissenschaft und Kunst als einer der "herausragenden deutschen Architekten" der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Missachtung ausgerechnet von der Stadt, deren Gesicht er nicht nur als gefragter Baumeister prägte, sondern auch als Entwurfslehrer, der die "Stuttgarter Schule" zu einer der wichtigsten Ausbildungsstätten für Architekten in Deutschland machte. Angesichts der neuen Wertschätzung seines Werks erscheint die Verstümmelung des seit 1987 als "Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung" eingestuften und vom DAM zu den "bedeutendsten deutschen Beiträgen der architektonischen Frühmoderne" gezählten Stuttgarter Bahnhofs aber nur umso banausischer.

Dabei will sich das Museum ausdrücklich nicht in die Debatte um Stuttgart 21 einmischen, sondern das ganze Werk in den Blickpunkt rücken. Einen zentralen Platz nimmt natürlich dennoch das Modell des Bonatz'schen Bahnhofs ein, gefertigt von Studenten der Stuttgarter Universität. Mehr noch als der in seiner Gesamtkomposition allenfalls aus Halbhöhenperspektive zu erfassende Originalbau macht es deutlich, wie raffiniert sich Horizontalen und Vertikalen, Symmetrien und Asymmetrien die Waage halten, wie fantastisch er sich dadurch mit der Stadt verklammert und wie falsch die Rede von der Verzichtbarkeit der Seitenflügel ist.

Von islamischer Baukunst inspiriert


Die Blätter, die die Veränderungen des Baus vom Wettbewerbsentwurf mit seinen noch dem Historismus des 19. Jahrhunderts verhafteten Formen bis zum radikal vereinfachten Ausführungsentwurf von 1914 als "Weg in die Moderne" nachzeichnen, kennen Stuttgarter Besucher der Ausstellung wohl zumeist. Neu dürften ihnen dagegen die in Kairo entstandenen Skizzen des Architekten sein, die zeigen, dass er sich bei der Gestaltung seiner Portale von islamischer Baukunst inspirieren ließ. Charmante Pointe: da Kirchenbauer wie Dominikus Böhm oder Hans Herkommer das Portalmotiv wiederum bei Bonatz entlehnten, lässt sich der orientalische Einfluss via Stuttgarter Bahnhof bis in die deutsche Sakralbauarchitektur der zwanziger Jahre verfolgen.

Bonatz war ein Tausendsassa der Stile und Bauaufgaben. Das vor allem - neben seiner Monumentalität und der Verwicklung in die Metropolenprojekte der Nazis - machte ihn der Nachwelt suspekt. In einer Zeit, die an architektonische Markenartikler gewöhnt ist, fällt einer wie er nur allzu leicht durch den Wahrnehmungsrost. Seine romantischen Wohnhäuser mit ihren breiten Walmdächern, die beim wohlhabenden Stuttgarter Bürgertum sehr begehrt waren, und die mit genialem Gespür für dramatische Wirkung inszenierten Stahlbetontürme seiner technischen Bauten, würde man auf Anhieb nie ein und demselben Architekten zuordnen. Den einheitlichen Formenkanon des Neuen Bauens lehnte er ab. Einen "die Überlieferung klug nutzenden Neuerer" nennt ihn Wolfgang Voigt, der Kurator der Schau. Aus heutiger Sicht erscheint seine "zwischen moderater Moderne, Bautradition und Landschaftsbezug oszillierende Baukunst" daher moderner als der Dogmatismus der Avantgarde, und in diesem Licht ist auch seine Polemik gegen die Stuttgarter Weißenhofsiedlung neu zu bewerten.