Vor 100 Jahren eröffnete mitten im Ersten Weltkrieg das Tropengenesungsheim in Tübingen. Bis heute werden dort Fernreisende behandelt.

Tübingen - Eine Weltkarte hängt quer über der Wand, Infobroschüren über Malaria und Ebola sind in einem Regal ausgelegt. In der Impfsprechstunde der Tübinger Tropenklinik wartet eine 20-jährige Reutlingerin auf einem Ledersofa. Sie will auf große Reise gehen: nach Vietnam, Myanmar und weiter in die Mongolei – ein halbes Jahr Auszeit. „Ich habe mich gegen Malaria, Tollwut und Japanische Enzephalitis impfen lassen“, erzählt sie und, dass sie die Spritzen bisher ganz gut vertragen habe.

 

Wo sich heute immer mehr Weltenbummler und Fernreisende ihre Schutzimpfungen holen, wurden vor 100 Jahren die oft chronisch kranken Rückkehrer aus Übersee stationär behandelt. Mitten im Ersten Weltkrieg wurde im November 1916 das Tübinger Tropengenesungsheim eröffnet – dank finanzieller Unterstützung des Stuttgarter Unternehmers Paul Lechler. Zu den Patienten zählten vor allem Missionare, die nach einem kräftezehrenden Auslandseinsatz mit Parasiten oder anderen Tropenerkrankungen zurück in die Heimat kamen. „Viele schafften es nicht mehr rechtzeitig nach Hause“, sagt der Chefarzt Johannes-Martin Hahn, „eine unbehandelte Malaria tropica verlief oft tödlich.“

Für die damaligen Verhältnisse sei die Klinik in sonniger Tübinger Höhenlage ausgesprochen modern gewesen und habe einen Sanatoriumscharakter gehabt, sagt Hahn. Nicht nur die baulichen Bedingungen – es gab fließend warmes Wasser und eine Heizung –, auch die medizinische Ausstattung mit einem Labor, einer Bäderabteilung und speziellen Therapiegeräten habe hohen Standards entsprochen.

Elektrische Therapiegeräte imitieren die Reitbewegungen auf Kamelen und Pferden

Der Tropenmediziner und erste Direktor Gottlieb Olpp führte allerlei innovative Behandlungsmethoden ein. Bei Parasitenbefall setzte er auf ein sogenanntes subaquales Darmbad. Zur Entspannung ließ er seine Patienten auf Ledersatteln Platz nehmen, die die Bewegung von Kamelen oder Pferden imitierten. In einem Vortrag von 1917 beschreibt Professor Olpp die Wirkung der „medikomechanischen Übungen“: „Außer seinem Heilwert gegen tropische Verdauungsbeschwerden verschiedener Art hat der Zimmergalopp seine besondere Bedeutung für Neurastheniker und Melancholiker, die bald eine heitere Miene zeigen und fröhlich werden können.“ Auch die üppige Gartenanlage lag Olpp am Herzen, er empfahl reichlich Bewegung. „Zu Terrainkuren für Malaria-Rekonvaleszenten-Herzen bietet das leicht ansteigende Hügelgelände ungesucht günstige Gelegenheit.“

Nach und nach wurde die Klinik erweitert – erst mit einer hölzernen Militärbaracke, dann mit einem winterfesten Kinderheim neben dem Hauptgebäude. Denn die Missionare brachten oft ihre Familien mit, wenn sie monatelang stationär kuriert wurden. Im Zweiten Weltkrieg wurden Teile der Klinik von der Wehrmacht beschlagnahmt und als Tropenlazarett genutzt.

In den 50er Jahren sei angesichts der zurückgehenden Belegungszahlen über die Schließung des Hauses nachgedacht worden, sagt der Chefarzt Hahn. Doch glücklicherweise konnte nach Verhandlungen mit der AOK Tübingen ein Vertrag geschlossen werden, um das Tropengenesungsheim in ein Krankenhaus umzuwandeln und über die Jahre zu vergrößern. „Es kamen mehr ältere Menschen mit internistischen Erkrankungen, auch viele Tumorpatienten“, beschreibt Hahn den Wandel. In Zeiten von Tagessatzabrechnungen hätten die Patienten häufig zwei oder drei Monate in der Klinik verbracht. „Es entstand das Image einer Sterbeklinik mit christlicher Ausrichtung, in der man gut aufgehoben ist.“

Eine eigene Station für die Betreuung Sterbender

Seine überschaubare Größe hat dem Paul-Lechler-Krankenhaus gutgetan. Das 90-Betten-Haus, das unter der Trägerschaft des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission (Difäm) steht, hat klare Schwerpunkte gesetzt. Einerseits als Fachklinik für Tropenmedizin – es ist die zweitgrößte Tropenambulanz in Deutschland – und andererseits als Zentrum für Alters- und Palliativmedizin. Für die Betreuung Sterbender wurde eine eigene Station eingerichtet, daraus entwickelte sich das sogenannte Tübinger Projekt. Ein republikweit herausragendes Modell, um Schwerstkranke zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung zu versorgen.

Begeistert von der familiären Atmosphäre ist die 94-jährige Karla Krauß. Weil sie immer wieder gestürzt ist, musste die in Tübingen allein lebende Seniorin in die Klinik. Das rechte Knie mache ihr zu schaffen, erzählt sie, immer wieder gehe ihr die Kraft aus. Schritt für Schritt trainiert sie das Gehen, sie achtet unter Anleitung darauf, dass sie keine falschen Bewegungen macht. „Ich bin eine Geduldsprobe für die Mitarbeiter“, sagt Karla Krauß, „aber die haben hier viel Geduld.“

Der ganzheitliche Ansatz sei ein Prinzip der Klinik, sagt der Chefarzt Hahn: „Die Zuwendung ist uns wichtig“, wir haben uns entschieden, beim Stellenschlüssel für den pflegerischen Bereich etwas großzügiger zu sein.“ Dafür werde an anderer Stelle weniger ausgegeben, es gebe etwa keine Chefarzt-Boni. Außerdem müsse und wolle das Haus keinen Profit erwirtschaften.

Derzeit wird rund um die Klinik mit ihrem großzügigen Park kräftig gebaut. Eine Kindertagesstätte ist schon bezogen, ein Krankenhausneubau für 23 Millionen Euro fast fertig. Der Umzug ist für den kommenden März geplant. Der moderne Bau bietet 1800 Quadratmeter mehr Platz und komfortablere Zimmer. Gekocht wird wie bisher in einer eigenen Küche, das habe sich bewährt, sagt Hahn. Darüber hinaus gibt es Pläne für weitere Bauvorhaben auf dem Gelände: Ein Tübinger Hospiz soll gegründet werden – in drei oder vier Jahren könnte es so weit sein.

Der Wohltäter Paul Lechler