Wegen der niedrigen Zinsen muss die EnBW die Rückstellungen für Pensionen und Atommeiler erhöhen. Die Folge: die Schulden steigen, das Eigenkapital sinkt. Nun baut der Konzern darauf, dass Berlin das Problem durch eine Gesetzesänderung entschärft.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Frank Mastiaux klang nicht so optimistisch wie sonst. „Mit zunehmender Sorge“, berichtete der Chef des Energiekonzerns EnBW bei der Hauptversammlung 2015, schaue man auf die sinkenden Zinsen. Diese wirkten sich negativ auf die Rückstellungen für Pensionen und für die Stilllegung der Kernkraftwerke aus – und damit auf die Verschuldung des Unternehmens. In den zurückliegenden vier Jahren hätten sich die Schulden der EnBW durch den Zinseffekt um 3,2 Milliarden Euro erhöht, was den Spielraum für Investitionen einschränke. Im laufenden Geschäftsjahr drohe sich der Trend fortzusetzen, sagte Mastiaux.

 

Nun aber hofft die EnBW – und mit ihr viele andere betroffene Unternehmen – auf Hilfe aus Berlin. Für „dringend geboten“ hält der Energiekonzern eine Gesetzesänderung, um die Auswirkungen des Zinstiefs auf die Rückstellungen abzumildern. Wenn der für die Höhe der Vorsorge maßgebliche Durchschnittszinssatz künftig anders berechnet werde, erwartet ein Sprecher, könne man die Belastung etwa halbieren. Ändere sich hingegen nichts, werde es der EnBW wie anderen Unternehmen langfristig schwerer fallen, noch eine Dividende zu bezahlen – auf die besonders das Land als Großaktionär angewiesen ist.

Vorschläge von Schäuble erwartet

Bei der großen Koalition in Berlin treffen solche Forderungen aus der Wirtschaft auf offene Ohren. Kurz vor der Sommerpause beschloss sie im Bundestag einen Antrag, die Regierung solle eine „angemessene Neuregelung“ erarbeiten. Anfang dieser Woche wird in den Fraktionen von Union und SPD nun ein entsprechender Vorschlag aus dem Bundesfinanzministerium von Wolfgang Schäuble (CDU) erwartet. Angesichts des Leidensdrucks der Unternehmen soll es möglichst schnell zu einer Gesetzesänderung kommen. Es bestehe dringender Handlungsbedarf, wurde Schäuble aus der Unionsfraktion bedeutet.

Angesetzt werden soll bei dem Rechnungszins, mit dem der Bedarf für Rückstellungen ermittelt wird. Je stärker dieser sinkt, umso mehr müssen die Unternehmen die Beträge in der Bilanz aufstocken. Maßgeblich ist derzeit der Zinsdurchschnitt der vergangenen sieben Jahre. Dadurch schlägt die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank relativ schnell auf den Bilanzwert durch. Wie sich das bei der EnBW auswirkt, rechnete Finanzvorstand Thomas Kusterer vor: Von 3,75 Prozent sei der Diskontierungszins für Pensionsrückstellungen im vergangenen Jahr auf 2,2 Prozent gesunken – mit der Folge, dass die Rückstellungen allein für 2014 um fast 1,5 Milliarden Euro erhöht werden mussten. Insgesamt würden die Ergebnisse der deutschen Unternehmen jährlich um einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag belastet, sagte ein EnBW-Sprecher.

Bei Atomrückstellungen kein Konsens

Entschärft werden soll der Effekt nun durch eine Verlängerung des Zeitraums, über den der Durchschnittszins ermittelt wird. Je mehr Jahre mit noch höheren Zinsen einbezogen werden, umso weniger stark wirkt sich das aktuelle Zinstief aus. Die EnBW und andere Unternehmen plädieren für eine Umstellung auf 15 Jahre, diskutiert werden aber eher zwölf Jahre; für diesen Zeitraum, heißt es, lägen die nötigen Berechnungen der Bundesbank vor. Über die Einzelheiten dürfte nun bald in den Fraktionen diskutiert werden, noch im Herbst soll ein Beschluss fallen.

Die EnBW sieht sich von der Problematik „in besonderem Maße betroffen“, da sie neben den Rückstellungen für Pensionen auch solche für den Rückbau der Atommeiler in ihrer Bilanz ausweist. Ob sie auch dafür mit einer Entlastung rechnen kann, erscheint aber ungewiss. Der Fokus der Reform liegt auf der betrieblichen Altersvorsorge, die politisch einhellig erwünscht ist. Inwieweit auch die Atomkonzerne profitieren sollen, ist in der Koalition hingegen strittig. Aus der Unionsfraktion verlautet, die SPD tue sich damit schwer. Dies wird in SPD-Kreisen bestätigt: Die Änderung würde kaum zu dem harten Kurs passen, den Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel bei den Atomrückstellungen verfolge. Derzeit werde geprüft, ob man bei einer Neuregelung zwischen Pensionen und Atomrückbau differenzieren könne, hört man.

Folgen für die künftige Dividende

In einem internen Szenario hat die EnBW nach Informationen der Stuttgarter Zeitung ausgerechnet, wie sich die Problematik auf ihre Dividende auswirkt. Ohne eine Rechtsänderung, heißt es darin, könne eine Ausschüttung bis 2017 nur durch eine „maximale Realisierung stiller Reserven“ gesichert werden; danach wäre sie ohne weitere Schritte fraglich, weil die Gewinnrücklagen aufgezehrt wären. Werde die Zinsberechnung aber auf zwölf Jahre umgestellt, sei die „Dividendenfähigkeit“ bis 2020 gewährleistet, wobei stille Reserven nur moderat gehoben werden müssten. Offiziell wollte sich die EnBW nicht zu künftigen Dividenden äußern.