Tettnang ist nicht München und Waldenbuch nicht Berlin. Doch viele Mittelständler haben ihren Standort fernab der Metropolen. Sie müssen Mitarbeitern andere Vorzüge bieten.

Stuttgart - Als hätte es noch eines Beweises bedurft, wo man sich befindet: Da röhrt doch tatsächlich ein Traktor mit lautem Grollen am Büro von Miriam Schilling vorbei. „Wir sind halt auf dem Land“, entschuldigt sich die junge Frau, während sie das Fenster schließt. Draußen, das ist Obereisenbach, ein Ortsteil von Tettnang (Bodenseekreis, 19 000 Einwohner). Die Kleinstadt zwischen Ravensburg, Friedrichshafen und Lindau ist bekannt für ihre Hopfenfelder – und für den international erfolgreichen Outdoor-Ausrüster Vaude . Als dessen Personalleiterin ist es Miriam Schillings Job, qualifizierte Fachkräfte an den Standort zu locken.

 

Das gelinge mal leichter und mal weniger leicht, erklärt die Personalerin, die selbst Ende 2015 die Metropole München gegen die Provinz eingetauscht hat. Auf eine ausgeschriebene Stelle in der Verwaltung lande schon mal eine dreistellige Zahl an Bewerbungen auf ihrem Schreibtisch. Sucht das Unternehmen, das rund 450 Mitarbeiter am Stammsitz beschäftigt, dagegen einen Spezialisten, etwa einen Designer oder Techniker, lässt sich die Zahl der eingegangenen Bewerbungen manchmal an einer Hand abzählen. „Für eine Stelle als IT-Fachmann hatten wir sogar nur einen passenden Kandidaten“, sagt Schilling. Der gefragte Bewerber trete die Stelle demnächst an. In diesem Fall hat sich das Werben gelohnt.

Vaude erleichtert Beschäftigten den Alltag

„Wir versuchen, unseren Mitarbeitern den Alltag so leicht wie möglich zu machen“, sagt die Personalchefin. Dann zählt sie Angebote auf, die der Mittelständler seinen Beschäftigten macht: Das reicht von Sportkursen über die moderne Betriebskantine und das Kinderhaus am Standort bis hin zu flexiblen Arbeitszeitmodellen. Außerdem ermöglicht Vaude seiner überwiegend jungen Belegschaft – das Durchschnittsalter liege bei 38 Jahren – mehrmonatige Auszeiten vom Job. Wenn ein Mitarbeiter für drei Monate durch Pakistan wandere oder ein anderer mit seiner Familie durch Australien toure, profitiere davon auch das Unternehmen, ist Schilling überzeugt. Von rein finanziellen Anreizen hält die Personalleiterin dagegen nichts. Die Gehälter seien transparent. Über den vorgegebenen Rahmen könne sie nicht hinausgehen. „Da passiert es auch schon mal, dass wir einem guten Bewerber sagen müssen, wir kommen nicht zusammen.“

Mit Anreizen wie individuellen Arbeitszeitmodellen, der Beteiligung am Unternehmenserfolg, einer überdurchschnittlichen betrieblichen Altersvorsorge oder Kinderbetreuung während der Ferien wirbt Thomas Egenter, stellvertretender Personalchef des Brausen- und Armaturenherstellers Hansgrohe aus Schiltach (Landkreis Rottweil, 3800 Einwohner), um Personal. „Erfolgreiches Recruiting bedeutet für uns, möglichst viele eingestellte Bewerber auch nach zwei Jahren noch im Unternehmen zu haben.“ Neue Mitarbeiter erwarte eine familiäre und zugleich internationale Arbeitsatmosphäre. Hansgrohe beschäftigt 4800 Mitarbeiter, 60 Prozent davon an den deutschen Standorten Schiltach, Offenburg und Alpirsbach, also im Schwarzwald oder wie Egenter sagt: „Dort, wo andere Menschen Urlaub machen.“

Ritter Sport hat starke Konkurrenz im Umfeld

Weniger mit der Nähe zu Tourismusregionen als mit dem kurzen Weg in die baden-württembergische Landeshauptstadt kann der Schokoladenhersteller Ritter Sport aus Waldenbuch (Landkreis Böblingen, 8500 Einwohner) punkten. Die Lage im Stuttgarter Speckgürtel könne allerdings auch ein Nachteil sein, erklärt Thomas Seeger, der bei Ritter für Öffentlichkeitsarbeit und Rechtsfragen zuständig ist. Immerhin kämpfe in der Region eine Vielzahl von namhaften Unternehmen um qualifiziertes Personal: „Wir können rein pekuniär nicht mit den Größen aus der Industrie und dem IT-Bereich mithalten“, sagt Seeger.

Der Schokoladenproduzent lockt potenzielle neue Mitarbeiter denn auch lieber mit Karrierechancen, die im Zuge der Internationalisierung zugenommen hätten. Das Familienunternehmen hat seinen Umsatz seit 2009 nahezu verdoppelt. In dieser Zeit seien mehrere Tochtergesellschaften im Ausland gegründet worden: „Wir können Mitarbeitern heute die Möglichkeit bieten, für eine bestimmte Zeit nach Moskau, Brescia, Wien oder Nicaragua zu gehen“, sagt Seeger. Agraringenieure und Projektentwickler von Ritter seien zudem regelmäßig in den Ländern Westafrikas unterwegs, aus denen ein großer Teil des Kakaos kommt.

Für die rund 1000 Beschäftigten in Waldenbuch bietet das Unternehmen umfangreiche Zusatzleistungen an, die weit über das obligatorische „Freitagspäckle“, eine große Portion Schokolade zum Wochenausklang, hinausgehen: Das reicht von Kitaplätzen und Zuschüssen zur Kinderbetreuung für jüngere Mitarbeiter über Gesundheits- und Sportangebote für alle Beschäftigten bis hin zu attraktiven Altersteilzeitregelungen. „Das ist alles nicht selbstverständlich für einen Mittelständler“, sagt Seeger. Auch ehrenamtliches Engagement von Mitarbeitern werde gefördert. Nicht zuletzt sei die gleiche Bezahlung für männliche und weibliche Beschäftigte schon lange Standard im Unternehmen.

Hartmann arbeitet mit einer Hilfsorganisation zusammen

Während sich Ritter Sport geografisch eher „am Rande der Provinz“ gelegen fühlt, ist die Paul Hartmann AG aus Heidenheim an der Brenz (48 000 Einwohner) mittendrin. Hartmann stellt Medizin- und Pflegeprodukte her und beschäftigt gut ein Fünftel seiner weltweit 10 000 Mitarbeiter auf der Ostalb: in Heidenheim und im benachbarten Herbrechtingen. Verantwortlich für Personalentwicklung bei Hartmann ist Andreas Lämmlein: „Mitarbeiter wollen Perspektiven haben“, sagt er. Daher biete man Neueinsteigern im Rahmen des 18-monatigen Programms „International Graduate“ die Möglichkeit, in verschiedene Abteilungen an unterschiedlichen Standorten des Unternehmens hineinzuschauen. Auslandseinsätze seien etwa in Frankreich, Spanien oder in der Schweiz möglich.

Im Zuge einer Kooperation mit der Hilfsorganisation Care International dürfen Hartmann-Mitarbeiter darüber hinaus an Gesundheitsprojekten in Afrika oder Südamerika teilnehmen. Zuletzt schickte Hartmann fünf Beschäftigte für zehn Tage in eine Krankenstation in Kenia, erläutert Lämmlein. Hartmann profitiere bei der Suche nach Mitarbeitern auch vom Image seiner Gesundheitsprodukte: „Es geht uns darum, Menschen das Leben wieder lebenswert zu machen“, sagt der Personalentwickler. Dafür könnten sich viele Bewerber begeistern.