„Brotherly Love“ nannte der amerikanische Kultautor Pete Dexter einst seine Geschichte über die mafiöse Gewerkschaftswelt von Philadelphia. Der lobenswerte Liebeskind Verlag hat das Werk jetzt mit dem Titel „Unter Brüdern“ auf den deutschen Markt gebracht.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Pete Dexter gehört zu den Großen seiner Branche. „Paperboy“, „Deadwood“, nicht zu vergessen „God’s Pocket“ sind mächtige Stücke der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Und Liebeskind ist ein ausgewiesener Fachverlag für feinste US-Importe. Jüngstes Ergebnis dieser glücklichen Verbindung: „Unter Brüdern“, ein Mafiaroman, den Dexter vor knapp einem Vierteljahrhundert unter dem Titel „Brotherly Love“ veröffentlichte.

 

Unter Brüdern, das ist die Geschichte von Peter Flood, erzählt über einen Zeitraum von 25 Jahren. Peter wächst bei seinem Onkel auf, weil seine eigene Familie nach dem Unfalltod der kleinen Schwester zugrunde ging: die Mutter wurde wahnsinnig, der Vater ermordete den Nachbarn, der wegen eines schicksalhaften Glatteisunfalls das Leben der Kleinen auf dem Gewissen hatte. Streng genommen müsste das Buch eigentlich „Unter Cousins“ heißen, aber der Onkel und Stiefvater ist der Meinung, sein leiblicher Sohn und Peter müssten sein wie Brüder.

Mafiöser Gewerkschaftsboss

Nicht nur familiäres Zusammengehörigkeitsgefühl ist es, das den irischstämmigen Alten antreibt. Als mafiöser Gewerkschaftsboss in Philadelphia hat er vielmehr ein großes Interesse an einem fest zusammengeschweißten Familienverband. Denn auf der anderen Seite stehen die Italiener, mit denen es immer wieder schwere Konflikte gibt. Schon der Mord, den Peters Vater an dem Unglücksfahrer verübt hat, war eine Kampfansage an die gegnerische Seite.

Und mit den Jahren werden die Gewalttaten nicht weniger. So muss Peter im doppelten Wortsinn auch in den Ring, ob er will oder nicht: Als Boxer mit bemerkenswerten Nehmerqualitäten. Und als Juniorpartner seines Vetters, der alsbald in die Fußstapfen des Vaters tritt.

Problematische Gegenwartsform

Pete Dexter wäre nicht Pete Dexter, würde er diese unheile Welt nicht mit grimmigen Ernst beschreiben. Sein lakonischer Tonfall macht viel von der Wirkung des Buches aus. Allerdings reicht er an selbstgesetzte Maßstäbe wie etwa in „God’s Pocket“ nicht ganz heran. Das liegt zum einen daran, dass er die Charaktere, vor allem die Hauptperson Peter, ein bisschen zu lapidar angelegt. Es liegt aber auch am Präsens, in dem der Roman gehalten ist. Die Gegenwartsform ist eine problematische Angelegenheit, die durchaus funktionieren kann (siehe etwa „Ein seltsamer Ort zum Sterben“). Bei Dexter hingegen hemmt das ständige „Peter macht dies, Peter tut jenes“ etwas den Erzählfluss – was sich ein ums andere Mal in den Rückblenden zeigt, für die der Autor das Präteritum wählt.

Pete Dexter: „Unter Brüdern“. Roman. Aus dem Englischen von Götz Pommer. Liebeskind, München 2015. 304 Seiten, 19,90 Euro. Auch als E-Book, 14,99.