Der Gutenberger Lyriker Peter Baumhauer hat seinen sechsten Gedichtband herausgebracht. 86 Jahre ist er alt und die Erfahrung des Krieges, die ihn in jungen Jahren prägte, ist auch heute noch die Basis für seine sprachliche Kunst.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Gutenberg - Ich bin allein, aber nicht einsam“, sagt Peter Baumhauer. Seine Sätze sind um ihn und seine Gedichte, die er auswendig spricht. Aber gefangen fühlt sich der 86 Jahre alte Lyriker in Lenningen-Gutenberg doch. Er kann kaum gehen, er ist fast blind. Er sieht weder die auffälligen Farben seines Hauses außen noch die Kunstwerke seiner Geschwister und Kinder drinnen. Das Tor der Gutenberger Höhle hoch über seinem Quartier, wo jetzt Bussarde kreisen, ist nur noch eine Erinnerung für ihn. Dennoch gibt Baumhauer nicht auf. Mit einem Lesegerät versucht er, weiter zu schreiben. Er ist bei den Vorarbeiten zu seinem siebten Gedichtband, der sechste „Ein Bissen Zeit“ ist soeben erschienen.

 

1000 Entwürfe hat er gemacht

1000 Entwürfe hat er in den letzten sechzig Jahren gemacht. Er arbeitet oft Monate an einem Text, bis er klar ist und ein Bild ergibt. Baumhauer schreibt mit der Hand. Er beginnt auf einem weißen Blatt mit Notaten, Gedankenkonstruktionen, Zitaten und Assoziationen. Alles wandert in eine Klarsichthülle. Manche davon sind fingerdick. Kunst ist für ihn die Kunst des Weglassens. „Ich verliere die Kontrolle bei langen Gedichten“, sagt er.

Worte und Sätze stellt er immer wieder um, „ich muss das Wortfleisch weglassen“, sagt er. Bis die Metapher glüht, strahlt, brennt. Feuer ist seine Metapher und der Krieg: Als Skulpturen im Garten stehen zerschossene Metallteile, die er vom ehemaligen Truppenübungsplatz Münsingen geborgen hat.

„Sie zwangen die stolzen Häuser Feuer zu essen / immer mehr Feuer / bis sie erbrachen“ heißt es in dem Gedicht „Danzig“.

Die äußere und innere Bedrohung des Zweiten Weltkrieges hat Peter Baumhauer geprägt. Sein Vater verköstigte einmal halb verhungerte Kriegsgefangene und brachte damit sich und die elfköpfige Familie in Gefahr. Aber er stärkte damit auch die Familie durch das Gefühl, das Richtige getan zu haben.

Der Sohn sah jeden Tag in der Zeitung die Todesanzeigen mehr und mehr werden. 1945 fiel der Bruder. „Das änderte alles in der Familie und alles für mich“, sagt Baumhauer. Eines Tages fuhr er nach Slowenien, um das Grab zu besuchen. Es war verschwunden, doch Worte in Slowenisch und Englisch halfen. Denn die Erinnerung war noch da, und ein alter Mann konnte ihnen die überwachsene Stelle zeigen.

Peter Baumhauer kommt aus einer Künstlerfamilie. Der Vater war ein begnadeter Zeichner, sein Bruder Sepp hat den Christus in der Kirche St. Magnus in Wernau geschaffen, sein Sohn Till Ansgar Baumhauer ist Wissenschaftler und Künstler gleichermaßen und beschäftigt sich immer wieder mit dem Krieg, zurzeit hat er einen Forschungsauftrag in Pakistan.

Sein erstes Gedicht schrieb Peter Baumhauer mit neun Jahren. Als er sechzehn war, wurde ein Gedicht in der Schwäbisch Gmünder Zeitung abgedruckt. Es war in Rilke-Manier. Sein Deutsch-Lehrer, der ihn doch hätte fördern sollen, ignorierte es völlig, und das schmerzt Baumhauer heute noch. Aber er schrieb weiter.

Er hatte im Tübinger Wilhelmsstift katholische Theologie studiert, sattelte dann um auf Lehramt und studierte Germanistik und Anglistik. Es war die Sprache, die ihn weitertrug. „Mich widerte die sterile Verkündigungssprache der Predigten an“, sagt Baumhauer. Er wollte sie durchbrechen, zu einer Sprache finden, wie sie die Propheten sprachen, nackt, deutlich, bildlich. Er studierte in England und lernte Gerard Hopkins kennen, einen der bedeutendsten Lyriker des Viktorianischen Zeitalters. Dessen Idee, jedes Lebewesen sei von einer Art Gestaltkraft des Wortes durchdrungen, faszinierte ihn. „Es ist das Wort, das die Bildlichkeit eines Busches zeigt und nach außen bringt“, sagt Peter Baumhauer. Und mehr noch, „wenn ein Busch sich ausbreitet, dann bricht er in eine Wirklichkeit des Wortes hinein.“

Er war ein Nachtmensch und schrieb unter der Schreibtischlampe. Auch neben seiner Tätigkeit als Lehrer dichtete er. Da war es die Sprache, die ihn hemmte, stolpern ließ. „Das elende Korrigieren, das schlechte Deutsch, das mir Schüler vorlegten, trieb mich zur Weißglut“, erinnert er sich. Am schlimmsten sei das Abitur gewesen, „da war ich froh, dass ich nach zehn Jahren das Angebot bekam, in der Lehrerbildung zu arbeiten“.

Abends am Schreibtisch schob er das weg,, spann seine Assoziationen, spinnt sie auch heute. Er vergleicht den Zug des Volkes Israel durch die Wüste mit den Flüchtlingszügen heute. Nicht das Geld, das man den Schleppern zahlt, sondern nur die Liebe führe in das Gelobte Land. Wie es Moses erlebte, wie es Baumhauer erlebt hat, mit seiner Liebe zum Wort.

Am Anfang war das Wort

Fragt man Baumhauer, warum er Gedichte schreibt, dann antwortet er lapidar: „weil ich es muss“. Das Wort, das zusammenbringt, zusammenführt, das sogar die Gewalt und die Furcht eines Krieges heilen kann. „Am Anfang war das Wort“, zitiert Baumhauer die Bibel, und dieses Wort aus dem Johannesevangelium führt ihn zurück zum Beginn der Schöpfung: „Und Gott sprach: Es werde Licht.“

Für Baumhauer ist die Welt geboren aus dem Wort – „und Gott sprach“. Dieses Sprechen hat die Schöpfung erwirkt. Das Wort ist für ihn der Träger der Wirklichkeit. Gott hat ihm, dem Theologen, dem Lehrer und dem jetzt gebrechlichen blinden Mann diese Wirklichkeit geschenkt.