Die Natur hat der Mensch nun zur Technosphäre . Was fehlt, ist ein Bewusstsein für die Ökologie dieser Welt. Dabei kann einen der überbordende Datenstrom ganz modern erfrischen, schreibt unser Kolumnist Peter Glaser.

Stuttgart - Hier geht es in Zukunft um die Zukunft. Das StZ-Hausorakel Peter Glaser befragt einmal die Woche die Kristallkugel nach dem, was morgen oder übermorgen sein wird – und manchmal auch nach der Zukunft von gestern. Dazu als Bonus: der Tweet der Woche!

 

Es gibt ein paar Dinge, an denen deutlich wird, dass die digitale Welt noch steinzeitlich ist. Eines davon ist ein fehlendes digitales Umweltbewusstsein. Wenn ich auf meinen Bildschirm blicke, sehe ich ein einsames Mülleimer-Symbol und fühle mich wie ein Frühmensch, der alles unterschiedslos auf einen Haufen schmeißt. Warum gibt es noch keine Mülltrennung für Daten? Ich vermisse eine Galerie von Abfallcontainern am Bildschirmrand – rot für Textdateien, blau für Musik, gelb für Fotos, undsoweiter. Warum gibt es noch keine Grasfaserkabel, die all der Internet-Hochgeschwindigkeit ein wenig, ja: Wiesenschaftlichkeit und Grün verleihen?

Durch das Bildschirmfenster öffnet sich der Blick in ein neues Environment, das inzwischen die ganze Erde umfasst. Nach der ersten Natur und der zweiten, der industrialisierten Zivilisation, umgibt uns nun eine dritte Natur. Man kann sie leicht unterschätzen, denn alles in ihr ist nur scheinbar. Wir leben in der frühen Scheinzeit. Zur Erdkruste (der Lithosphäre), den Flüssen und Ozeanen (der Hydrosphäre), der Biosphäre und der Atmosphäre des blauen Planeten ist nun eine Technosphäre hinzugekommen.

Nach der explodierten Raumfähre Challenger, der verglühten Columbia, dem abgestürzten SpaceShipTwo und den Reaktorkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima ist klar, dass von den Großtechnologien, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, nur die Informationstechnologie Zukunftsmacht besitzt. Mit ihr hat sich der Kosmos nun nach innen gewendet – ins Netz. Diesmal kann jeder mitfliegen. Und diesmal sind wir aber auch alle mitverantwortlich, wenn etwas schiefläuft. Zugleich legt das Internet uns noch nie dagewesene Möglichkeiten in die Hände, etwas dagegen zu tun.

Digital umweltbewusst

In den neunziger Jahren hatte der Programmierer Karl Sims für eine Supercomputer-Firma spezielle Algorithmen entwickelt, die der damals extremen Leistungsfähigkeit der Maschinen angemessen sein sollten. Sims schuf phantastische Phänomene einer künstlichen Natur, etwa die heute klassische Animation Panspermia, in der die Reise eines Samenkorns durchs All und die Explosion der Fruchtbarkeit nach dem Aufprall auf einem Planeten zu sehen ist. Auf Spaziergängen, erzählt Sims, rege ihn jedes Grasbüschel und jeder Strauch zur Nachahmung im Computer an. Wenn man dann aber beginne, in die Details einzudringen, zeige sich eine unermessliche Komplexität schon im Kleinen. Aus der Natur kehrt Sims stets demütig zurück vor die Maschine. Die digitale Natur hilft uns, die ursprüngliche Natur besser zu verstehen. Das meine ich mit digitalem Umweltbewusstsein.

Die digitale Natur hilft uns auch, mit den modernen Formen von Überfülle und Redundanz zurechtzukommen. Kulturpessimisten beklagen die Schrecknisse der Informationsexplosion. Für sie ist das Internet ein horizontloser Ozean, in den Informationsmüll verklappt wird. Die Frage ist, wie man Informationen und Wissen, klar und gut wie Quellwasser, gewinnen und teilen kann.

Fruchtbare Landung im Hirn

Die Antwort darauf hat nicht so sehr mit Technologie zu tun, sondern mit uns selbst. Es gibt verschiedene Herangehensweisen an die überbordende, verschwenderische Menge an Information, die auf uns einrauscht. Der Pessimist erleidet sie angeblich. In Wahrheit ist es eine Faulheit, die Dinge möchten sich doch bitte von selbst klären und filtern. Vergeudung und Überfülle sind uralte Naturprinzipien, die digital bloß neue Gestalt annehmen. Das Pusteblumen-Prinzip, wonach viele Samen ausgestreut werden, damit zumindest einer überlebt, ist sehr alt, und mit der Verbreitung von Daten, ihrer fruchtbaren Landung im menschlichen Gehirn, ist es nicht viel anders.

Eine andere Möglichkeit ist, sich der Gischt zu öffnen und sich daran zu erfrischen und zu erneuern. Man kann sich nach einer Tour durchs Netz durchweht fühlen von Überraschungen, frischer Nachrichtenluft und dem Rauschen des Datenozeans und auf eine sehr moderne Weise erholt sein.

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Und hier noch wie immer der Tweet der Woche – diesmal der erste Tweet der Queen: