Wenn ein Mensch stirbt, was passiert dann mit seiner digitalen Hinterlassenschaft? Der StZ-Kolumnist Peter Glaser ist der Frage nachgegangen.

Stuttgart - Die Schwierigkeiten mit dem digitalen Nachleben beginnen manchmal schon in dem Moment, in dem Freunde und Familie online vom Tod eines Bekannten oder Verwandten erfahren. Wie drückt man seine Anteilnahme aus, wenn einem etwa Facebook dafür nur eine unpassende Formel wie "Gefällt mir" anbietet?

 

Teile unseres Lebens finden inzwischen fast ausschließlich online statt, Korrespondenz etwa oder andere Kommunikationsspuren, die wir absichtlich oder nachlässig in den übrigen Teilen des Netzes hinterlassen, auf Facebook und Twitter, Flickr oder Youtube. Da zum Leben in letzter Konsequenz auch dessen Ende gehört und mit den Abermillionen von Nutzern längst auch der Tod Einzug in die digitale Welt gehalten hat, wächst der Frage, was mit den im Netz hinterlassenen Dingen geschehen soll, zunehmend Bedeutung zu.

Sollen Angehörige Zugang zu privaten E-Mails bekommen?

Die Menschen häufen virtuelle Besitztümer an, und damit sind nicht nur Lebensspuren in Form von Tweets, Statusmeldungen oder Blogpostings gemeint. Avatare in Online-Spielen wie "World of Warcraft" oder Simulationen wie Second Life können nicht unerhebliche finanzielle Werte oder geistiges Eigentum in der Hand halten. Der Zugriff auf passwortgesicherte Internetdaten im Todesfall ist heikel. Sollen Angehörige Zugang zu privaten E-Mails bekommen, auch wenn es kein Testament gibt, in dem der Verstorbene seinen letzten Willen zum Ausdruck gebracht hat?

Die Werke von Kafka sind der Nachwelt erhalten geblieben, weil sein Freund Max Brod sich über die Anweisung des Autors hinwegsetzte, alle Aufzeichnungen zu vernichten. Soll das nun im Internetzeitalter für jeden gelten? Oder gilt der Schutz der Privatsphäre über den Tod hinaus? Als der kalifornische Science-Fiction-Autor William Talcott starb, konnte seine Tochter die meisten Fans und Freunde nicht benachrichtigen. Talcott hatte das Passwort zu seinem E-Mail-Account und seinem Online-Adressbuch mit ins Grab genommen. Eine ausgedruckte Version gab es nicht.

"Sie sagen, der Zugriff sei durch seine Privatsphäre geschützt", sagte seine Tochter über seinen Mail-Provider, "aber er ist tot. Ich verstehe das nicht." Letztlich geht es auch um die Frage, ob Mails oder Nachrichten im Netz einen anderen Status genießen sollen als Briefe, die Angehörige in der Wohnung eines Verstorbenen finden. E-Mail-Anbieter oder die Betreiber sozialer Netze haben inzwischen Regeln für den Fall entwickelt, dass ein Nutzer stirbt. In den meisten Fällen müssen die Hinterbliebenen sich erst ausweisen und einen beglaubigten Totenschein vorlegen, um Zugriff auf den digitalen Nachlass zu erhalten. Manchmal, wie etwa bei Twitter, geben die Betreiber sich mit einem Link auf eine Traueranzeige oder einen Nachruf zufrieden. Bei Yahoo kann man einen hinterlassenen Account löschen lassen, nicht aber auf die verbliebenen Inhalte zugreifen. Facebook ermöglicht es, auf Wunsch die Gedächtnisversion eines Profils bestehen zu lassen.

Internetadresse in Stein gemeißelt

Ewige Erinnerung im Netz kann im Übrigen von kurzer Dauer sein. Acht Jahre lang hatte der Gladbecker Bernd Bruns mit Behörden um eine Grabplatte für die letzte Ruhestätte seiner Mutter gekämpft, auf der auch die Internetadresse der von ihm eingerichteten Gedenkseite im Netz verzeichnet ist; schließlich gab die Friedhofsleitung nach. Inzwischen hat sich die Adresse der Website allerdings geändert, die in Stein verzeichnete URL führt zu einer Fehlermeldung. Die vier Kinder der schwedischen Lehrerin Anna-Lena "Moje" Hashmi hatten ihrer Mutter bereits 1999 ein virtuelles Grab im Internet gegeben mit einer kleinen Fotogalerie, einer Rezeptsammlung, einer Liste ihrer Lieblingsbücher und ihren speziellen Haushaltstricks. Damit jeder die Seite finden konnte, ließen sie in den Grabstein die Internetadresse www.moje.pp.se einmeißeln.

Auch diese URL ist inzwischen erloschen. Auf einem Foto zum zehnjährigen Todestag von Anna-Lena Hashmi ist ein neuer Grabstein zu sehen, ohne eingemeißelte Internetadresse.