Nach der jüngsten Gewinnwarnung des Konzerns ist Siemens-Chef Peter Löscher stark unter Druck. Schon am Wochenende wollen die Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern über seine Zukunft beraten.

München - Wenn es der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt, dann ist es ein ziemlich großer. Siemens-Chef Peter Löscher musste nach einer langen Reihe vorangegangener Pleiten und Pannen nun auch noch seine Margenziele für 2014 als unerreichbar kassieren. Das war nicht irgendeine Vorgabe. Der ehrgeizige Versuch, die Konzernmarge von zuletzt 9,5 auf zwölf Prozent zu hieven, war das zentrale Managementziel des Österreichers für seine zweite Amtszeit an der Spitze des Konzerns. Damit wollte er die im Dauerumbau stehenden Münchner zur absoluten Weltklasse und Vorbild für Konkurrenten machen. „Für diesen Anspruch stehen ich und der gesamte Vorstand ein“, hatte er zuletzt versprochen und damit sein Schicksal daran geknüpft.

 

Konsequent wäre es deshalb, wenn Löscher seinen Rücktritt anbietet, falls ihm das nicht ohnehin schon nahegelegt worden ist. Die Uhr tickt: Am Freitag wurde bekannt, dass die Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Siemens-Aufsichtsrat, der normalerweise am kommenden Mittwoch tagen sollte, schon am Wochenende in getrennten Sitzungen über die Zukunft von Löscher beraten werden. Erste Gespräche hat es schon gegeben. Fest steht noch nichts. Das muss nicht mehr lange so sein. „Es kann jetzt jederzeit was passieren, alle Optionen werden diskutiert“, heißt es im Umfeld des angezählten Konzernchefs. Auch über mögliche Nachfolger wird diskutiert.

Der Siemens-Chef hat es sich mit der Belegschaft verscherzt

Klar ist, dass es nicht wieder eine externe Lösung geben wird, denn das Manko, von außen zu Siemens zu kommen, hat der zuvor beim US-Pharmakonzern Merck tätige Österreicher an der Isar nie überwinden können. Nach sechs Jahren an der Isar kann er immer noch keine Hausmacht vorzeigen. Von ihm in den Vorstand geholtes Toppersonal konnte sich nicht durchsetzen. Operativ und strategisch ging nach der mit Bravour bestandenen Bereinigung des Bestechungsskandal vieles schief. Erst setzte der Siemens-Chef zu Unzeit auf Wachstum. 100 Milliarden Euro Umsatz sollten her. Dann kam die Kehrtwende. Zwölf Prozent Marge sollten es nun sein.

Doch von 100 Milliarden Euro Umsatz ist Siemens heute weiter entfernt als 2011, als dieses Ziel verkündet wurde. Zwölf Prozent Marge sind jetzt Makulatur. Versprochen hat Löscher einiges, gehalten wenig. Allein sechs Ergebnisprognosen mussten in seiner von Misserfolgen gepflasterten Ära wieder kassiert werden. So etwas mögen die Finanzmärkte nicht. Unter Löscher hat die Siemens-Aktie ein Viertel verloren. Gleichzeitig hat es sich der einstige Hoffnungsträger mit der Belegschaft und der bei Siemens mächtigen IG Metall verdorben. Gerade bei einem Großkonzern wie Siemens ist aber der Betriebsfrieden ein wichtiges Gut. Stattdessen wirft ihm der im Aufsichtsrat sitzende Gesamtbetriebsratschef Lothar Adler vor, eine „Angstkultur“ geschaffen zu haben und unerreichbare Renditeziele statt Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Tatsache ist, dass Löscher seit einem Jahr das Personal über Details seiner Abbaupläne im Ungewissen lässt, insgesamt sollen sechs Milliarden Euro gespart werden. Als Folge zittern große Teile der weltweit 370 000 Siemens-Arbeitnehmer um ihre Jobs. 10 000 Stellen könnte es treffen, schätzt die IG Metall.

Löschers Sündenregister

Auch in strategischer Hinsicht ist Löschers Sündenregister ansehnlich. Die auf sein Betreiben teuer gekaufte Solartechnologie wird gerade abgewickelt. Die unter ihm geschaffene vierte Geschäftssäule „Infrastruktur und Städte“ ist mit einer Marge nahe null die größte Schwachstelle. Operativ hat der Technologiekonzern seine Technik nicht im Griff. Das fängt mit den Windrädern an, angefangen von der Nordsee bis hin zu Projekten an Land in den USA bis hin zu ICE-Zügen für die Deutsche Bahn, die nicht ausgeliefert werden können, weil Siemens eingestandenermaßen die Komplexität der Materie unterschätzt hat. Bei diesen Zügen hat Löscher sogar ein persönliches Versprechen an Bahn-Chef Rüdiger Grube gebrochen.

Die Tage des Österreichers scheinen gezählt. Als Nachfolger werden zwei Vorstandskollegen gehandelt, die beide bei Siemens groß geworden sind. Zum einen ist das Finanzchef Joe Kaeser, der eloquent und mit Detailwissen zuletzt ohnehin wie der eigentliche Chef von Siemens gewirkt hat. Zum anderen wird der Chef des Industriesektors Siegfried Russwurm als Kandidat gehandelt. Beide wären intern vermittelbar, was wegen der Unruhe im Personal besonders wichtig ist. Kaeser genießt zudem bei Börsianern hohes Ansehen. Sein Name ist aber fast so eng wie der Löschers mit den Zielen verknüpft, die sich reihenweise in Rauch aufgelöst haben.

Der einstige Hoffnungsträger wird zum Verlierer

Biografie
– Peter Löscher wurde am 17. September 1957 im österreichischen Villach geboren. Er ist Betriebswirt und arbeitete für die Pharmakonzerne Hoechst, Aventis und Merck. Dazwischen war er für den Siemens-Rivalen General Electric in den USA tätig. Im Juli 2007 wurde der Österreicher zum Siemens-Chef berufen, weil nach dem 2006 aufgedeckten Korruptionsskandal eine unbelastete Kraft von außen gefragt war. Diesen Skandal hat er relativ gut in den Griff bekommen.

Spartenkrise –
Nun steckt Loscher aber fest. Die Geschäfte von Siemens sind heute in vier Sektoren aufgeteilt. Drei davon schwächeln. Das gilt vor allem für den von Löscher neu zugeschnittenen Sektor Infrastruktur und Städte, der im laufenden Geschäftsjahr 2012/13 auf magere 1,9 Prozent Rendite kommt, Tendenz sinkend. In die gleiche Richtung geht es bei den Sektoren Industrie (9,2 Prozent) und Energie (7,7 Prozent). Nur die Medizintechnik ist mit 14,5 Prozent Rendite auf Kurs.

Aktie
– Die Gewinnwarnung hat von Siemens hatte die Aktien am Donnerstag auf Talfahrt geschickt. Mit minus 6,88 Prozent rutschten die Titel des Industriekonzerns ans Dax-Ende. Am Freitag erholten sie sich wieder etwas. Gerade als die meisten Investoren davon ausgingen, dass der Konzern Fortschritte bei der Sanierung mache, habe Siemens die Märkte geschockt, sagten Analysten. Die Reduzierung der Gewinnmargen des Konzerns zeige, dass der Wettbewerb härter werde.