Serie „Mein 2016“: Friedbert Baur ist vor etwas mehr als einem Jahr von Oslo zur Martin-Luther-Kirche in Sillenbuch gewechselt. Auch wenn die Erinnerungen an Norwegen noch präsent sind, hat er sich gut in Stuttgart eingelebt.

Sillenbuch - Im Grunde reicht mein 2016 bis in den Sommer davor zurück: Meine Frau und ich sind im Juli 2015 von Oslo nach Stuttgart gezogen. Zuerst war ich Interimspfarrer der Martin-Luther-Kirche, dann habe ich mich auf diese Stelle beworben und wurde gewählt. Im vergangenen Advent war Investitur, seitdem bin ich geschäftsführender Pfarrer in Sillenbuch.

 

Das erste Jahr hier war sehr spannend, doch die Erinnerungen an Oslo sind noch immer frisch. Neun Jahre lang habe ich dort als Pfarrer für die einzige deutschsprachige Gemeinde in ganz Norwegen gearbeitet. Ich war Repräsentant der Evangelischen Kirche in Deutschland und somit auch Ansprechpartner für alle deutschsprachigen Christen in Norwegen. In einer Villa im Zentrum von Oslo kamen die unterschiedlichsten Menschen verschiedener Konfessionen zusammen.

Ich mag die Lockerheit der Norweger, die sehr offen und entspannt sind. Dort duzen sich alle und legen Wert auf Gleichbehandlung. Extrawürste werden nicht gerne gesehen. Ich kannte das schon von einer Reise, die ich nach dem Abitur an einem Cannstatter Gymnasium mit meiner Schwester unternommen habe. Auch während des Studiums war ich längere Zeit in Oslo und habe Pfarrvertretung in Berlevåg gemacht. Das liegt hoch im Norden am Eismeer. Dort wird es im Sommer nie dunkel, im Winter nie hell.

Viele Stationen durchlaufen

Ich bin geboren in Schwenningen am Neckar und habe sowohl als Junge wie auch in den ersten Berufsjahren nach dem Theologiestudium in Tübingen viele Stationen durchlaufen. Unter anderem war ich zehn Jahre lang Pfarrer auf der Schwäbischen Alb. Nebenbei war ich zehn Jahre lang Vorsitzender einer Missionsgesellschaft im afrikanischen Tschad, den ich zuvor drei Monate lang bereist habe. Oslo aber ist ein Stück Heimat für mich. Auch für meine Frau Claudia, die dort als Hebamme gearbeitet hat. Natürlich vermisse ich Norwegen ein bisschen. Vor allem die riesigen Wälder, wo wir Radtouren unternommen haben oder im Winter mit den Skiern unterwegs waren. Und es war schön, auf den Fjord zu blicken. Trotzdem ist es gut, wieder in Deutschland zu leben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Muttersprache eine besondere Bedeutung hat: es geht tiefer, wenn etwas anklingt, was man in der Kindheit erlebt hat.

Für mich war es ein Glücksfall, nach Sillenbuch zu kommen, wo ich auf sehr offene Menschen getroffen bin und sich viele Möglichkeiten ergeben. Hier ist es im Gegensatz zu Bad Cannstatt, wo ich als Schüler gelebt habe, im Sommer auch nicht so heiß. Es gibt viel Grün, man kann durch den Eichenhain laufen. Wir haben uns gut eingewöhnt.

Am Anfang haben wir in einer kleinen Wohnung in Degerloch gewohnt. Da bin ich immer mit dem Fahrrad durch den Wald zur Martin-Luther-Kirche gefahren. Im April sind wir dann in das Pfarrhaus neben dem Äckerwaldzentrum gezogen. Hier am Gosheimer Weg sind wir sehr glücklich. Das Haus bietet viel Platz. Unser Sohn und unsere Tochter, mittlerweile 18 und 20 Jahre alt, sind zwar in Oslo geblieben, um ihre Ausbildung fortzusetzen, aber sie haben hier ihre Zimmer. Meine Frau hat eine Stelle auf der Wochenbettstation des Paracelsus-Krankenhauses in Ruit gefunden.

Menschen wollen keine Vorgaben, wie man richtig zu beten hat

Auch die Zusammenarbeit in der Gemeinde klappt sehr gut. Ich bin ein Teammensch und dankbar für die Unterstützung, die ich in meinem Kollegen Friedrich July habe. Er hat im März seine 50-Prozent-Stelle angetreten. Auch die Sekretärin, die Kirchenpflegerin, der Kirchengemeinderat: alle arbeiten gerne zusammen.

In den Monaten seit der Investitur habe ich die Offenheit der Sillenbucher schätzen gelernt. Das kenne ich ja noch von Oslo, wo in unserer Gemeinde der rheinische Katholik neben dem Pietisten aus Baden-Württemberg saß. Ich mag diese Vielfalt. Die Menschen wollen keine Vorgaben, wie man richtig zu beten hat. Sie wollen Vorschläge, Anregungen. Die Kirche der Zukunft, wie ich es gerne nenne, obwohl das etwas bombastisch klingt, sollte sich auch an Menschen richten, denen es unangenehm ist, beim Gottesdienst in der Kirche gesehen zu werden.

Ich selbst bin in einem pietistischen Haushalt aufgewachsen. Mein Vater war Prediger. Das ist ein Potenzial, aus dem ich schöpfe, und es gibt in dieser Bewegung eine Frömmigkeit, die ich mag. Es kommt mir so seltsam vor, diese Distanz zwischen den Strömungen in Württemberg zu erleben. Liberale, Pietisten, politisch orientierte Protestanten: Man kann doch niemandem sagen: „Du bist auf dem falschen Dampfer.“ Wir sind alle verschiedene Typen, und jeder betet anders. Wichtig ist, dass man niemandem etwas aufzwingt.

Das Bild, das über unserem Sofa im Esszimmer hängt, passt für mich besonders gut zu meiner Arbeit. Ich habe es auf einem Flohmarkt in Oslo gekauft. Es ist von dem auch in Norwegen eher unbekannten Maler Frithjof Smith-Hald und zeigt eine Bauersfrau mit zwei leeren Holzschalen. Die Frau hält sie so, als erwarte sie, dass sie bald gefüllt werden. „Wir sind Bettler, das ist wahr“, hat schon Martin Luther gesagt. Diese Schalen sind für mich ein Symbol für die leeren Hände, die Gott füllt. Auf unterschiedliche Weise.