Die Zahl der Kirchenmitglieder sinkt. Der evangelische Dekan des Kirchenbezirks Waiblingen, Timmo Hertneck, spricht über die Konsequenzen – eine deutliche Kürzung der Zahl der Pfarrstellen.

Waiblingen - Pfarrermangel und Mitgliederschwund – das sind Fakten, die die Struktur der evangelischen Kirche verändern werden. Timmo Hertneck, der Dekan des Kirchenbezirks Waiblingen, plädiert dafür, kreativ damit umzugehen.

 
Herr Hertneck, Sie haben Ihr Amt als Dekan im Kirchenbezirk Waiblingen 2013 angetreten – und hatten gleich viel zu tun. Zum Beispiel galt es, ein Immobilienkonzept für die Gemeindehäuser in der Waiblinger Kernstadt zu entwickeln, um Kosten zu sparen.
Das stimmt, ich war gleich voll eingespannt. Aber der Einsatz hat sich gelohnt. Kirche verändert sich ja dauernd.
Darüber ist nicht jeder glücklich. Und nun geht es beim Pfarrplan 2024 schon wieder ums Einsparen, dieses Mal von Pfarrstellen. Ist das nicht frustrierend?
Ich gehöre nicht zu den Alarmisten. Aber für viele ist der Pfarrplan 2024 ein Schock. Sie befürchten, dass Kirche vor Ort abgewickelt wird. Diese Sorgen nehme ich sehr ernst, denn ich gehöre zu denen, die sagen: Kirche will auch vor Ort erlebt werden.
Sie sind also trotzdem optimistisch?
Sicher! Ich habe ja nicht Theologie studiert, um Pfarrstellen abzubauen. Aber kopflos zu reagieren, ist nicht meine Art. Es gibt Schwierigkeiten. Jetzt müssen wir schauen, wie wir passgenaue Lösungen finden.
Was genau ist ein Pfarrplan?
Pfarrpläne gibt es seit dem Jahr 2006. Sie werden alle sechs Jahre in der Mitte der Wahlperiode aufgestellt. Dabei schaut man sich an, ob die Pfarrstellen fair verteilt sind. Mitte März 2017 kommen von der Landessynode die Zahlen für den Pfarrplan 2024. Das heißt, wir erfahren, wie viele Pfarrer wir 2024 haben werden. Diese nehmen wir als Ausgangspunkt, um Vorstellungen zu entwickeln, wo und wie Pfarrerinnen und Pfarrer künftig sinnvoll eingesetzt werden können. Die Gemeinden werden den Prozess mitvollziehen und Rückmeldung geben. Im März 2018 geben wir auf der Bezirkssynode abschließend unser Votum ab.
Was bringt der Pfarrplan 2024?
Er steht unter dem Zeichen eines Mangels an Pfarrerinnen und Pfarrern. Dieser ist auch das Ergebnis einer verfehlten Personalpolitik. Ende der 1980er-Jahre sind Spitzenleute nicht übernommen worden. Man hat auch nicht sehen wollen, dass der Pillenknick noch hinzu kommt.
Was bedeutet das konkret?
Die Realität ist, dass wir laut der Prognose bis zum Jahr 2030 ein Drittel weniger Pfarrer haben werden. Und das bedeutet, dass wir zu diesem Zeitpunkt auch in jedem Kirchenbezirk ein Drittel weniger Pfarrer haben. Das ist die harte Realität. Aber zu dieser harten Realität gehört auch, dass die kirchliche Mitgliederzahl im selben Maß zurückgeht. Aus der Landeskirche treten Jahr für Jahr rund 30 000 Menschen aus. Die Zahl der Pfarrer, aber auch der Gemeindemitglieder, geht also zurück.
Was erwartet den Bezirk Waiblingen?
Man hofft derzeit, dass die Stellenkürzungen nicht ganz so gravierend sind, wie wir gerüchteweise gehört hatten. Nach den neuesten Zahlen gehen wir von der Kürzung von etwa fünf Pfarrstellen im Kirchenbezirk Waiblingen aus.
Wie bringt man das seinen Schäfchen bei?
Wir dürfen uns nicht vom Zeitgeist irre machen lassen. Wir sind Kirche. Unsere Stärke ist das Evangelium. Von unserem Auftrag her fragen wir: wie können Kinder gedeihen, wie können Menschen sonntags im Gottesdienst Großes erleben, wie können unsere Alten leben und, wenn es soweit ist, getrost sterben. Davon will ich reden und wie wir das für jeden Einzelnen hinbekommen, auch wenn jetzt einmal weniger Pfarrerinnen und Pfarrer zur Verfügung stehen.
Was ist Ihr Ziel?
Am Ende des Prozesses möchte ich hervorragende Grundstrukturen haben, die Vertrauen auch in die kleiner gewordene Kirche wecken. Wir wollen eine einladende, lebensbegleitende und glaubensstärkende Kirche sein.
Aber manche Gemeinden werden den Personalmangel zu spüren bekommen.
Unser Markenzeichen war es bisher, dass wir auch in kleinen Orten mit Pfarrern vor Ort sein konnten. Es ist nun tieftraurig, wenn es soweit kommt, dass in sechs Pfarrhäusern vor Ort kein Licht mehr brennen sollte. Auf der anderen Seite verspreche ich heute schon, dass kein Mensch und keine Gemeinde ohne pastorale Begleitung sein wird. Nur: der Pfarrer wohnt unter Umständen nicht mehr vor Ort.
Das heißt, die Kürzungen werden besonders den ländlichen Raum betreffen?
Mir liegt daran, eine sehr gute pastorale Begleitung von Menschen in Stadt und Land hinzubekommen. Wir müssen bei den Menschen bleiben. Deshalb wird das kirchliche Netz nicht nur wenige Stationen wie Waiblingen, Fellbach, Winnenden oder Weinstadt haben. Wir wollen weiterhin dezentral sein, so weit wir das können. Ich wünsche eigentlich jedem Weiler einen Pfarrer. Aber die Leute stimmen auch mit den Füßen ab über die Kirche. Wir haben derzeit gleich viele Austritte wie Taufen. Ich finde, es ist höchste Zeit, dass die Menschen die Kirche wieder zu ihrer eigenen Sache machen!
Trotzdem sind die Einnahmen aus der Kirchensteuer derzeit doch noch sehr hoch?
Ja, bei der Kirchensteuer läuft es momentan blendend.
Warum dann sparen?
Es gibt fette und magere Jahre. Wir sind im Moment noch in den fetten Jahren und müssen kluge Entscheidungen treffen für Zeiten, die sicherlich anders sind. Im Moment stehen die geburtenstarken Jahrgänge voll im Futter und viele von ihnen sind in der Kirche. Sie werden aber in den nächsten 15 Jahren in Rente gehen. Das wird sich erheblich auf die Kirchensteuer auswirken.
Ein bisschen erinnert das an die Strategie eines Konzerns, etwa einer Bank, die mehr und mehr Filialen schließt. Darf die Kirche denn wie ein Wirtschaftsunternehmen handeln?
Marktgesetze sind Facts, die Kirche kann ihnen nicht ausweichen. Aber sie kann vom Evangelium her kreativ damit umgehen. Sie kann aus Wenigem viel machen. Ich finde, wir können stolz darauf sein, was die evangelische Kirche leistet. Ob unsere Gesellschaft das alles ohne Kirche hinbekommen könnte?
Das klingt ein wenig bitter...
Wenn die Leute sagen, wir wollen die Kirche nicht aktiv mittragen, dann wird die Kirche nicht mehr in dem Umfang vor Ort sein können. Das ist die bittere Wahrheit.
Noch fließt aber die Kirchensteuer. Wo geht das Geld denn beispielsweise hin?
Die Landeskirche hat von den hohen Mehreinnahmen allein in unserem Bezirk eine ganze zusätzliche Stelle für die Flüchtlingsarbeit geschaffen, um die Ehrenamtlichen zu unterstützen. Im selben Umfang investiert sie in Syrien und anderen Herkunftsländern, um dort präventiv zu arbeiten.
Was antworten Sie einem Kirchenmitglied, das fragt, wieso hier gespart wird und dort ausgegeben?
Wenn wir wirklich etwas wollen, hat es bisher nie an Geld und Menschen gehapert.