Der Skandal mit Pferdefleisch in Lasagne zeigt, wie schwierig der globale Agrarhandel zu überwachen ist. Es gibt Lücken im Kontrollsystem.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Pferdefleisch ist für die Gesundheit nicht schädlicher als ein Schweineschnitzel. Immerhin 110 000 Tonnen Pferd werden von Europas Bürgern jedes Jahr wissentlich verspeist, teilt die EU-Kommission mit. Der Zusatz „wissentlich“ ist entscheidend - denn womöglich landete in den letzten Jahren viel mehr Pferd auch auf deutschen Tischen und Tellern, als arglose Verbraucher bisher ahnten. Der Skandal um falsch deklariertes Fleisch in Fertiggerichten hat in kurzer Zeit halb Europa erfasst. Die Spuren führen nach Rumänien, Zypern, Luxemburg, Holland und Frankreich, nach Irland und Schweden, nach Großbritannien und Irland. Und einiges deutet darauf hin, dass bisher nur die Spitze des Eisbergs zu sehen ist. Denn die Fehler liegen im System. Ein weiteres Mal zeigen sich die Schattenseiten der globalisierten Agrar- und Lebensmittelproduktion.

 

Eine Tiefkühl-Lasagne für unter zwei Euro beim Discounter – da greifen viele Verbraucher gerne zu. Der Gedanke daran, wie so billige Angebote möglich sind, wird dabei verdrängt. Hauptsache, es schmeckt halbwegs. Und man vertraut nahezu blind den Versprechen von Industrie, Handel und Politikern, dass die Produktionsprozesse und Lieferketten sicher sind und streng kontrolliert werden, vom Stall bis zur Ladentheke.

Dieses Vertrauen ist nun ein weiteres Mal erschüttert worden. Denn wie kann es sein, dass sich Pferdefleisch aus rumänischen Schlachthöfen auf dem Weg in deutsche Tiefkühltruhen in „Rindfleisch“ verwandelt? Wie ist es möglich, dass in halb Europa plötzlich Pferdegehacktes in Fertigprodukten wie Lasagne, Hamburgern, Moussaka und Kebab gefunden wird? Sehr zuverlässig können die versprochenen Kontrollen und Überwachungssysteme nicht sein.

Die Hersteller müssen nicht sagen, woher das Tier stammt

Nach dem dramatischen Ausmaß des BSE-Skandals verschärfte die EU-Kommission die Vorschriften für die Agrarbranche. Die Herkunft von Rindfleisch soll seither bis in den Stall nachprüfbar sein. Auch viele Erzeuger und Handelsketten werben mit Herkunftsnachweisen. Doch für verarbeitete Produkte gelten diese strengeren Vorschriften bisher nicht. Weder muss zum Beispiel bei einer Tiefkühl-Lasagne angegeben werden, woher das Fleisch stammt - noch wo das Tier geschlachtet oder verarbeitet wurde. Verbraucherschützer fordern seit vielen Jahren solch strengere Kennzeichnungen von Lebensmitteln. Denn auch bei der Etikettierung von angeblich regionalen Produkten und in der Werbung gibt es noch viele Lücken und Missstände. Doch die Forderungen laufen sowohl in Brüssel als auch bei der Bundesregierung meist ins Leere. Die einflussreiche Lobby der Agrar- und Lebensmittelbranche hat es bisher immer verstanden, schärfere Auflagen zu blockieren. Ob BSE, Gammel- oder Hormonfleisch – meist folgten der großen öffentlichen Aufregung über einen Lebensmittelskandal nur kleine Verbesserungen der staatlichen Überwachung.

Der jüngste Skandal offenbart die Kontrolldefizite bei importierten Lebensmitteln, die Experten schon lange beklagen. Wenn wie bei der Tiefkühl-Lasagne die Liefer-und Auftragsketten durch ein halbes Dutzend Länder führen, ist für die Kontrolleure nur noch schwer nachvollziehbar, wo die Schwachstellen sind. Das gilt für Obst, das mit Pestiziden belastet ist, ebenso wie für Bakterien im Fisch, Antibiotika in Shrimps oder Chemierückstände im Gemüse.

Wenn es – wie nun beim Pferdefleisch – schon innerhalb der EU nicht gelingt, solch skrupellose Betrügereien zu verhindern, ahnt man, dass die Kontrolle des stark wachsenden Welthandels mit Agrarprodukten noch weit größere Probleme aufwirft. So warnen Verbraucherschützer seit Jahren, dass einheitliche Standards für Lebensmittelkontrollen an den EU-Außengrenzen ebenso überfällig sind wie scharfe Sanktionen bei Verstößen.

Deutschland ist ein führender Importeur von Agrarprodukten

Doch daran hat vor allem die Wirtschaft wenig Interesse. Auch Deutschland profitiert vom freien Welthandel, der Milliardengeschäfte ermöglicht. Die Bundesrepublik ist eines der größten Einfuhrländer für Agrarprodukte, nicht zuletzt die Fleischimporte sind zeitweise stark gewachsen. Gleichzeitig haben die deutschen Bauern und die Lebensmittelindustrie ihre eigenen Exporte auf den Weltmarkt in den letzten Jahren enorm gesteigert, nicht zuletzt dank üppiger Subventionen. Eine Freihandelszone zwischen Europa und den USA, wie sie nun US-Präsident Obama anstrebt, könnte den Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks einen Nachfrageschub verschaffen. Doch bei Lebensmitteln zeigt sich ein Problem: Wollen Europas Verbraucher Burger oder Popkorn aus Hormonfleisch und Genmais, die in der US-Landwirtschaft inzwischen zum Alltag gehören?

Der Pferdefleisch-Skandal führt deshalb bei näherem Hinsehen zur eigentlichen Frage: Was ist der wahre Preis billiger Lebensmittel? Man kann sich über jeden neuen Skandal um Hormonfleisch oder Dioxin-Eier aufregen. Doch letztlich entscheidet jeder Griff ins Ladenregal mit darüber, ob der Trend zu Massentierhaltung, Gentechnik und Kostensenkung um fast jeden Preis ungebremst weitergeht. Das Billigschnitzel für ein paar Cent kann nur aus Schweinefabriken mit 80 000 Tieren kommen, wie sie gerade wieder in Ostdeutschland entstehen sollen. Der anhaltende Bio-Boom zeigt, dass Verbraucher mehr denn je naturnah erzeugte Nahrungsmittel bevorzugen. Die Siegel von Bioverbänden und regionalen Erzeugern garantieren am ehesten, dass Fleisch, Obst und Gemüse aus vertrauenswürdigen Quellen stammen.

Hier geht es zur Karte mit den Handelswegen des Pferdefleisches.